Neuer Todesfall in JVA: Suizid nicht verhindert

24.6.2009, 00:00 Uhr
Neuer Todesfall in JVA: Suizid nicht verhindert

© Horst Linke

Der Einschluss in die Zelle ist am Sonntag früher als an Werktagen. Punkt 16.45 Uhr verriegelt ein Justizbediensteter die Tür. Als die Zelle am nächsten Morgen, um fünf Uhr, wieder aufgeschlossen wird, ist Klaus Bayer (Name geändert) tot; seit mehreren Stunden schon. Er hat sich mit einem Schnürsenkel stranguliert. Er hat wahrgemacht, was er gegenüber JVA-Mitarbeitern angekündigt hatte: «Ich werde mich umbringen.«

Ganz offen Selbstmordgedanken geäußert

Bayer saß erst seit wenigen Monaten in der Justizvollzugsanstalt Bayreuth ein. Er war aus einem anderen Gefängnis dorthin verlegt worden. Mit einer mehrjährigen Haftstrafe im Gepäck. Er hatte sich an Kindern vergangen. Bayer, selbst Vater mehrerer Kinder, kam in die sozialtherapeutische Abteilung, um eine Therapie zu beginnen.

«Beim Zugang wirkte er absolut unauffällig«, erinnert sich Maria Anna Kerscher, stellvertretende Leiterin der JVA Bayreuth. Monate später sollte sich das ändern. Bayer äußerte ganz offen Selbstmordgedanken.

Verlegung in eine videoüberwachte Zelle

Die Anstaltsleitung reagierte noch am selben Tag. «Die Psychologin, Sozialarbeiter und der Arzt wurden eingeschaltet«, sagt Kerscher im Gespräch mit unserer Zeitung. Bayer musste seine Einzelzelle verlassen. Er wurde in eine Zelle mit 24-Stunden-Videoüberwachung verlegt, damit er sich nichts antun konnte. In eine sogenannte Beruhigungszelle, die eine Besonderheit hat: Die Häftlinge können am Bett fixiert werden, falls sie randalieren. Was Bayer nicht tat. Vier Tage lang blieb er laut Kerscher dort.

Dann wurde er zurück in seine Einzelzelle verlegt. Laut Kerscher habe Bayer «gegenüber der Psychologin und dem Arzt zu erkennen gegeben, dass er nicht mehr an Selbstmord denkt«. Er habe Kinder und Verantwortung, soll er gesagt haben. Die Psychologin hält das für plausibel. Sie sieht keine Suizidgefahr mehr. Eine verhängnisvolle Fehlentscheidung. Ein paar Wochen später bringt sich Bayer um.

«Wir haben sogar mehr gemacht«

Die JVA-Leitung weist jeden Vorwurf, falsch reagiert zu haben, zurück. Die Anzeichen seien sehr ernst genommen worden. Der Häftling sei, als er Suizidabsichten äußerte, nicht, wie sonst üblich, in eine Zelle mit anderen verlegt worden. «Wir haben sogar mehr gemacht und sicherheitshalber die Videoüberwachung gewählt«, sagt Kerscher.

Fälle werden prinzipiell verschwiegen

Auch die Staatsanwaltschaft Bayreuth, die jeden Todesfall in der dortigen JVA untersucht, kam zu dem Ergebnis, dass niemandem ein Vorwurf zu machen sei. Der Öffentlichkeit werden solche Suizidfälle prinzipiell verschwiegen.

Auch im vergangenen Jahr hat sich ein Häftling in Bayreuth umgebracht. «Versuche haben wir immer wieder«, sagt Kerscher. Im Jahresbericht von 2008 der JVA ist von drei sogenannten «Selbstbeschädigungen« die Rede.

Erste Zeit hinter Gittern besonders kritisch

Besonders kritisch ist generell die erste Zeit hinter Gittern. Bei Haftantritt prüft ein Gefängnisarzt in einem Aufnahmegespräch, ob Tendenzen zu einer Selbstgefährdung zu bemerken sind. Beispiel: Vergangene Woche nahmen Spezialeinheiten der Polizei in Nürnberg drei mutmaßliche Drogenhändler fest. Der jüngste von ihnen, ein 18-Jähriger, versuchte sich in einer Polizeizelle mit seinem T-Shirt zu strangulieren. Dies wurde sofort bemerkt. Nachdem Haftbefehl erlassen war, kam der Mann in U-Haft.

Nicht nur in einem solchen Fall, sondern prinzipiell kommt der neue Gefangene zunächst rund eine Woche in eine Gemeinschaftszelle mit einem oder mehreren Mithäftlingen, damit er Gesprächspartner hat und um bemerken zu können, ob «jemand Unsinn macht«, sagt Stefan Heilmann vom Justizministerium auf Anfrage.

Abgestufter Plan von Einzelmaßnahmen

Äußert ein Häftling Selbstmordgedanken, tritt ein abgestufter Plan in Kraft, erläutert Hans Welzel, der Chef der Nürnberger JVA. Der Gefährdete kann von der Einzelzelle wieder in Gemeinschaftshaft gebracht werden - bis hin zu stündlicher Kontrolle durch Wachpersonal. Nächste Stufe: ein Sicherheitsraum, der durch eine Videokamera lückenlos überwacht werden kann. Die einschneidendste und schärfste Maßnahme für akute Krisensituationen, etwa nach dem Verkünden eines harten Urteils: ein sogenannter «besonders gesicherter Haftraum ohne gefährdende Gegenstände«, mit denen der Gefangene sich etwas antun könnte.

Er muss den Gürtel abgeben, darf nur eine Papierhose tragen, deshalb wird der Raum besonders geheizt. «Gefesselt wird nie jemand«, versichert Welzel. Im Schnitt bleibt der Gefährdete zwei Tage lang in dieser Isolation, die ja auch eine starke Einschränkung des Menschen bedeutet,dann kommt er zurück in Gemeinschaftsunterbringung und führt Gespräche mit Arzt und Psychologen.

Auch die Nürnberger JVA war in den Schlagzeilen

«Auf keinen Fall«, sagt Welzel auf Anfrage unserer Zeitung, komme in Nürnberg ein Suizid-Kandidat nach der Zeit in einer Sicherheitszelle sofort wieder in eine Einzelzelle zurück - wie es im Fall Klaus Bayer in Bayreuth geschehen ist.

Allerdings macht die Nürnberger JVA Schlagzeilen, weil die Staatsanwaltschaft Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegen den Chefarzt der Anstalt erhoben hat: Ihm wird vorgeworfen, dass er nachts nicht in die JVA kam, als ein U-Häftling sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte - der Mann verblutete.

Vorbeugung hat an Bedeutung gewonnen

Generell habe die Suizid-Prophylaxe aber stark an Bedeutung gewonnen, sagt Stefan Heilmann vom Ministerium: «Es gibt mehr Sensibilität. Es wird mehr getan.« Wurden 1997 im Freistaat noch 28 Selbsttötungen in Haft registriert und in anderen Jahren über 20, so sank die Zahl 2006 auf 13 Fälle, 2007 auf zwölf und 2008 auf 14 Fälle - bei durchschnittlich über 12.000 Gefangenen.

Auf Fortbildungsveranstaltungen werden die Justizvollzugsbediensteten geschult, berichtet Heilmann. Die Federführung dabei hat die Arbeitsgruppe Nationales Suizid-Präventions-Programm des kriminologischen Dienstes in Niedersachsen, in der auch zwei Beamte aus Bayern mitwirken. Trotz allem ist Heilmann klar: Ganz verhindern kann man es nie.«