Neun Nürnberger Familien werden abgemeldet - und erfahren das nur zufällig

8.1.2021, 05:44 Uhr
Im Mehrfamilienhaus von Jean Drozak wird das Erdgeschoss saniert. Für die Polizei schien auch der Rest unbewohnt zu sein. 

© Michael Matejka, NN Im Mehrfamilienhaus von Jean Drozak wird das Erdgeschoss saniert. Für die Polizei schien auch der Rest unbewohnt zu sein. 

Stellen Sie sich vor, Sie geraten in eine Polizeikontrolle. Sie geben Ihren Namen und Ihre Adresse an. Der Beamte überprüft das und teilt Ihnen mit, dass das nicht stimmen kann, weil Sie unter dieser Adresse nicht gemeldet sind. Das ist doch nicht möglich, denken Sie. Natürlich wohnen Sie da, und gemeldet sind Sie auch! – Die Polizei hingegen sagt: Irrtum ausgeschlossen! Im Melderegister steht: Sie wohnen da nicht. So ergeht es Anfang November 2020 einer Mieterin von Jean Drozak.

Jean Drozak und seine Frau besitzen in der Volprechtstraße 21 in Gostenhof ein Mehrfamilienhaus, bestehend aus einem Vorder- und einem Hinterhaus. Weil die Mieterin ganz sicher ist, dass sie sich nicht abgemeldet hat, fragt sie bei ihrem Vermieter nach, der selbst in dem Haus wohnt. Doch auch er hat niemanden abgemeldet.

Hausbesitzer fällt aus allen Wolken

Als Hausbesitzer Drozak beim Einwohneramt nachfragt, fällt er aus allen Wolken. Nicht nur die eine Mieterin ist abgemeldet, sondern alle seine Mieter, insgesamt acht Parteien. Sein gesamtes Haus wird als unbewohnt geführt – und das seit Ende Juni 2020. "Wir waren alle etwa vier Monate offiziell obdachlos, ohne es zu wissen", sagt Drozak. Schnell wird er sich der Tragweite dieses Umstandes bewusst, denn keinen festen Wohnsitz zu haben, kann zu Problemen führen, beispielsweise für Mieter, die Hartz IV oder Kindergeld beziehen oder als Nicht-EU-Bürger in Deutschland wohnen.

Zunächst ist es für Drozak wegen der Corona-Einschränkungen gar nicht so einfach, einen Termin beim Einwohneramt zu bekommen. Doch als er klarmachen kann, wie viele Menschen betroffen sind, kommt Bewegung in die Sache. Innerhalb des Amtes wandert der Fall von Ebene zu Ebene, bis sich schließlich der Leiter der Meldebehörde des Falles annimmt.

Wo sind all die Bewohner hin?

Es kommt endlich Licht ins Dunkel: Die Polizei hatte ein Ermittlungsverfahren gegen einen früheren Mieter der Drozaks durchgeführt. Als sie diesen Mieter Ende Juni 2020 an seiner Wohnadresse aufsuchen will, trifft sie ihn nicht an. Er ist verzogen – und mehr noch: Seine Wohnung im Erdgeschoss des Hauses ist komplett entkernt, die Wände bis auf die Ziegel frei gehackt, die Böden rausgerissen. Für die Polizei ist klar: Hier wohnt niemand mehr. Den Rest des Hauses nehmen die Beamten nicht so genau in Augenschein, sie sind mittags vor Ort, nirgends brennt Licht, also gehen sie davon aus, dass es ebenso leer steht. Dass zu dem Vorderhaus ein voll bewohntes Rückgebäude gehört, übersehen sie.

Kann die Polizei jemanden nicht unter seiner Meldeadresse ermitteln, leitet sie diese Information an das Einwohneramt weiter. Dort werden die Mieter im Rahmen der "Registerbereinigung" abgemeldet. Eigentlich soll dann ermittelt werden, wohin diese Menschen gezogen sind. Doch offenbar war es dazu nicht gekommen, sonst wäre aufgefallen, dass plötzlich eine Handvoll Menschen, die zuvor alle in einem Haus gelebt hatten, in keiner anderen Stadt im Melderegister auftauchen.

Er nimmt es mit Humor: Jean Drozak in der Erdgeschoss-Wohnung, die derzeit saniert wird.

Er nimmt es mit Humor: Jean Drozak in der Erdgeschoss-Wohnung, die derzeit saniert wird. © Michael Matejka, NNZ

Nun hatten Drozak und das Amt zwar die Ursache gefunden, aber: "Das Einwohneramt kann die Mieter nicht einfach wieder anmelden", erklärt Jean Drozak. "Es steht quasi Aussage gegen Aussage – der Bürger gegen die Polizei. Man riet mir, ich solle die Polizei überzeugen, dass meine Familie und die acht anderen Parteien tatsächlich in dem Haus wohnen." Als er bei der Polizei vorspricht, erntet er nur ein müdes Lächeln. Die Polizei könne das nicht einfach so glauben. Vielmehr müsse das Einwohneramt die Polizei um Amtshilfe bitten. Inzwischen wird die Zeit der Obdachlosigkeit immer länger. Das Einwohneramt verfügt über einen eigenen Suchdienst, aber bis dieser Drozaks Fall behandelt, können Wochen vergehen.

Licht am Ende des Fensters

Doch weil auch dem Leiter der Meldebehörde die Schwierigkeit des Falles klar wird, ordnet er an, dass eine Überprüfung unverzüglich durchzuführen sei. Sechs Tage, nachdem Drozak das Amt zum ersten Mal kontaktiert hatte, nimmt der Suchdienst das Haus von außen in Augenschein. Er findet, anders als die Polizei, die Klingelschilder und Briefkästen der Bewohner. Und sieht nach Einsetzen der Dämmerung Licht im Obergeschoss des Vorderhauses.

Nun kann endlich die Abmeldung aller Mieter rückgängig gemacht werden. Jean Drozak nimmt die Sache mit Humor: "Ich muss sagen, dass uns die Stadt schnell geholfen hat, und kann es der Polizei nicht verübeln, dass sie dachte, es wohnt hier niemand mehr. Denn das Untergeschoss sah nun einmal wie eine wüste Baustelle aus." Das ist bis heute so – denn jetzt wartet Drozak zwar nicht mehr auf die Behörde, aber dafür auf die Handwerker.

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