Nicht zu essen verbindet manchmal auch

18.6.2018, 18:00 Uhr
Nicht zu essen verbindet manchmal auch

© Horst Linke

Janes Höhner schließt die Augen und atmet tief durch. Als der 19-jährige Student den Kopf senkt und mehrere Sekunden lang still in sich geht, weiß man auch ohne Worte, was ihm gerade durch den Kopf schwirrt: Dankbarkeit. Unter anderem für den islamischen Gebetsruf, der gerade durch den Speisesaal hallt und den Sonnenuntergang markiert. Nach 17 Stunden Fasten darf Höhner nun endlich wieder essen und trinken.

Eine Szene, die viele Muslime in Deutschland und auf der Welt während des Ramadan Tag für Tag ähnlich erleben. Das Besondere hier: Janes Höhner ist gar kein Muslim, sondern Christ. Der 19-Jährige studiert derzeit sogar Theologie, um einmal Pfarrer zu werden. Fehl am Platz ist er beim Fastenbrechen in Gostenhof deswegen trotzdem nicht. Es findet immerhin in einer Einrichtung der evangelischen Landeskirche, dem christlich-islamischen Begegnungszentrum Brücke-Köprü, statt.

Für Höhner und seine Kommilitonen von der Augustana-Hochschule der Evangelisch-Lutherischen Kirche Bayern ist die Einladung zu diesem besonderen Fastenbrechen eine gute Übung im interreligiösen Dialog. Der ist nämlich längst Teil des Lehrplans für das Pfarramt-Studium, wie Janes Höhner bestätigt. "Es ist schließlich wichtig, das Miteinander und Gemeinsamkeiten wie die Liebe zur Schöpfung hervorzuheben", sagt er und betont: "Man muss sich klarmachen, dass das mit den Religionen keine Konkurrenzgeschichte ist."

Dass Miteinander statt Konkurrenz im Begegnungszentrum Brücke nicht nur ein hehres Ideal ist, zeigt sich auch bei der Ramadan-Veranstaltung: Statt nur gemeinsam zu essen, wie bei vielen Fastenbrechen, wird hier sogar gemeinsam gekocht. Schon dreieinhalb Stunden vor Sonnenuntergang stehen die Theologie-Studenten aus Neuendettelsau sowie eine Gruppe von Lehramtsstudenten aus Nürnberg in der großen Lehrküche der Brücke und schnallen sich blaue und rosa Kochschürzen um den Leib.

Grünkern mit Röst-Mandeln

Unter Anleitung von Küchenchef Ali Ezo aus Syrien bereiten die angehenden Pfarrer und Pädagogen ein orientalisches Menü mit mehreren Gängen. Auf der Karte stehen neben Linsensuppe, frischem Salat sowie einer Mischung aus Reis und gegartem, arabischem Grünkern mit gerösteten Mandeln auch Hähnchenschenkel mit Kartoffeln aus dem Ofen. Damit alles pünktlich zum Sonnenuntergang auf den Tischen landet und die Geduld der Fastenden nach einem Tag ohne Essen und Trinken nicht weiter strapaziert wird, legen sich die Gäste wie auch die Mitarbeiter des Begegnungszentrums mächtig ins Zeug.

Der Syrer Ezo und die türkische Sozialpädagogin Gülþan Boz sind dabei längst nicht die Einzigen, die während der Arbeit am Herd oder Schneidbrett permanent die unerbittlich tickende Uhr im Auge behalten: Auch mehrere Arabisch sprechende Helferinnen und der 23-jährige Mohammed Marghan, der derzeit Bundesfreiwilligendienst leistet, verstärken das multinationale und interreligiöse Küchenteam und fasten zugleich.

Nicht zu essen verbindet manchmal auch

© Horst Linke

Dass das durchaus eine Herausforderung sein kann, spüren auch Janes Höhner und sein 22-jähriger Kommilitone David Wendel, der heute ebenfalls auf Essen und Trinken verzichtet: "Ich esse öfter mal eine ganzen Tag nichts, weil ich nicht dazukomme", sagt der Theologiestudent, "aber ohne zu trinken fällt die Produktivität schon ziemlich ab." Auch Höhner erlebt das Trinkverbot als "ziemlich heftig", gerade bei heißen Sommertemperaturen. "Hut ab vor Fußballspielern aus muslimischen Ländern, die kürzlich in der WM-Vorbereitung gespielt haben, obwohl sie fasten", sagt er.

Das Ziel der konfessionsübergreifenden Aktion, wie es Einrichtungsleiter Pfarrer Thomas Amberg in seiner Einladung formuliert hatte, haben die beiden jungen Männer an diesem Tag sicher erreicht: "Wir setzen ein Zeichen der Verbundenheit mit den fastenden Muslimen in unserer Gesellschaft und darüber hinaus mit allen Menschen, die weltweit hungern." Die Fähigkeit, sich ein Stück weit in muslimische Mitmenschen hineinversetzen zu können, dürfte angehenden evangelischen Theologen in einer multlikulturellen Gesellschaft mit vielen Religionen sicher nicht schaden.

Um kurz vor halb zehn ist es dann endlich so weit. Nach einem Segenswunsch von Pfarrer Amberg und dem Gebetsruf eines ägyptischen Muezzins darf das Küchenteam endlich essen. Doch das entpuppt sich für einige als gar nicht so einfach. Schon nach vergleichsweise wenigen Bissen ist David Wendel nämlich pappsatt und blickt verwundert auf seinen leeren Teller: "Ich hätte gedacht, dass man nach dem Fasten mehr essen kann."

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