Nürnberg ist beliebtes Ausflugsziel für türkische Schüler

3.5.2013, 12:00 Uhr
Nürnberg ist beliebtes Ausflugsziel für türkische Schüler

© Aslanidis

Wenn man Anastasia und ihren Mitschülern zusieht, wie sie einer nach dem anderen in die Bäckerei stürmen, um sich drinnen mit Schoko-Croissants, Quark-Plundern oder zuckergusstriefenden Krapfen einzudecken, könnte man die zwölf Dritt- und Viertklässler glatt für eine Schülergruppe aus Nürnberg halten.

Nur wer stehen bleibt und hinhört, dem fällt das Deutsch der Kleinen auf. Obwohl viele von ihnen aussehen, als stammten sie aus Gostenhof oder der Südstadt, ist die Aussprache der Neun- bis Zehnjährigen korrekt und akzentfrei, die Wortwahl ungewöhnlich gehoben. Und das, obwohl keiner von den Mädchen und Jungs in Deutschland lebt.

Ihr Geheimnis: Die zwölf türkischen Kinder besuchen den Grundschul-Ableger einer traditionsreichen Institution in der türkischen Bildungslandschaft, des 1884 gegründeten „Istanbul Lyzeums für Jungen“. Die Eliteschule, die unter anderem zwei ehemalige Premierminister und den derzeitigen Außenminister Ahmet Davutoglu zu ihren Absolventen zählt, ist in der Türkei nämlich vor allem für eines berühmt: für ihren herausragenden Deutschunterricht. Selbst ein anerkanntes deutsches Abitur kann hier erworben werden.

Die Grundschüler, die heuer zu Gast in Nürnberg sind, erhalten ihre ersten Lektionen bereits im Kindergarten, berichtet Deutschlehrerin Banu Kýlýç. „Das Niveau ist in dem Alter aber natürlich noch nicht sehr hoch“, meint die 40-Jährige, die als Jugendliche selbst in Deutschland zur Schule gegangen ist. „Ich würde sagen, dass die Kinder etwa auf A2-Niveau sind.“ Zum Vergleich: Wer zu einem Ehepartner nach Deutschland ziehen will, muss „nur“ das Niveau A1 nachweisen. Eine Hürde, an der nicht wenige scheitern.

Junge Globetrotter

Außergewöhnlich sind bei den Dritt- und Viertklässlern aber nicht nur ihre Sprachkenntnisse, sondern vor allem das soziale Umfeld, aus dem die Privatschüler stammen. Auf die Frage, wie ihnen Nürnberg gefällt, erweisen sich die kleinen Dreikäsehochs als wahre Globetrotter, die dank wohlhabender Eltern schon weit herumgekommen sind: So etwa Anastasia, für die Nürnberg selbst einem Vergleich mit Venedig oder teuren Schweizer Kurorten standhält: „Hier gibt es ja das Playmobilland und auch der Turm der Sinne ist toll.“ Als einziger Christin unter den Schülern haben der Halb-Russin auch die vielen alten Kirchen Nürnbergs gefallen.

Andere, wie Olgar. sehen das historische Erbe kritischer: „Nürnberg ist eine braune Stadt“, mäkelt der Neunjährige, bevor er die auf den ersten Blick hochpolitisch anmutende Kritik aufklärt und zum Weißen Turm deutet: „Alle alten Gebäude hier sind aus demselben Stein.“ Deniz (10) ist dagegen von den am Bosporus als besonders ordentlich gerühmten Einheimischen enttäuscht: „Auf den Straßen liegt genauso viel Dreck wie zu Hause. Die Deutschen sind wohl gar nicht so diszipliniert, wie es immer heißt.“

Nürnberg ist beliebtes Ausflugsziel für türkische Schüler

© Horst Linke

Sich einen authentischeren Eindruck von „den Deutschen“ zu verschaffen, das können die Privatschüler bei ihrem Besuch nicht. Unterrichtsbesuche oder gemeinsame Aktivitäten mit Gleichaltrigen aus Nürnberg stehen nicht auf dem Programm. Stattdessen gibt es vormittags Deutschunterricht an der privaten Sprachschule DID, nachmittags Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten wie Tiergarten oder Burg und am Wochenende Zeit, um mit Mami oder Papi zu shoppen oder die Stadt unsicher zu machen. Die Eltern sind beim Deluxe-Trip der Kleinen nämlich ebenfalls in Nürnberg und schlafen mit ihren Sprösslingen im Sterne-Hotel mit Altstadtblick.

Weniger mondän, aber dafür umso familiärer untergebracht ist eine zweite türkische Schülergruppe, die derzeit ebenfalls in Nürnberg gastiert, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Abgesehen von diesem Lernziel und der Destination Nürnberg haben die zwölf Gymnasiasten aus der Schwarzmeerprovinz Zonguldak wenig gemeinsam mit ihren jungen Landsleuten aus Istanbul. Schließlich sind die rund 400 Kilometer geografische Distanz noch das Geringste, was eine staatliche türkische Schule wie das Atatürk-Gymnasium und die noble Privatschule am Bosporus voneinander trennen.

Aufgeschlossene Lehrer

Während dort Sprachreisen und Auslandsaufenthalte feste Bestandteile des Curriculums sind, bedarf es an öffentlichen Schulen schon sehr aufgeschlossener und einfallsreicher Pädagogen, um weniger wohlhabenden Kindern und Jugendlichen Ähnliches zu bieten. Ein Weg, um Schülern die Welt zu zeigen, sind internationale Förderprogramme. „Einige unserer Schüler sind beispielsweise im Rahmen eines Comenius-Projekts gerade in Griechenland“, berichtet Semih Güres, stellvertretender Schulleiter des türkischen Gymnasiums. Gemeinsam mit Deutschlehrerin Necla Kýlýç begleitet er zwölf Schüler, die, statt das Nachbarland auf der anderen Seite der Ägäis zu besuchen, lieber in Nürnberg kreativ sein wollten.

Im Mittelpunkt des Schüleraustausches mit dem Willstätter-Gymnasium, der heuer erstmals stattfindet, stehen nicht die üblichen Ausflüge, sondern ein Theaterstück. Das müssen die Schüler aus Zonguldak und ihre zwölf Nürnberger Partner, bei denen sie wohnen, am Ende einer gemeinsamen Probenwoche auf die Bühne bringen, erklärt Ulrich Herwanger, der das Projekt mit Lehrerkollegin Birgit Möckel managt. Wie sie das Thema „Gemeinsam Türkisch - gemeinsam Deutsch“ umsetzen, bleibt den Jugendlichen selbst vorbehalten, sagt Elke Haertel: „Es wird eine Performance, die von den Schülern kommen und sich entwickeln soll.

Gemeinsames Theaterprojekt

Was dabei herauskommt und am Ende in der „Werkstatt 141“ im ehemaligen AEG-Werk aufgeführt wird, wissen daher weder die angehende Theaterlehrerin, noch ihre Kolleginnen Miriam Boas und Lisa Jäger, mit denen sie die Gymnasiasten coacht. Weil keiner der Jungen und Mädchen Bühnenerfahrung mitbringt, arbeiten sie an Grundlagen wie Körperspannung und Bühnenpräsenz. Weil sie dabei in deutsch-türkische Schüler-Paare aufgeteilt sind, bleiben sie nicht unter sich, sondern sind zu Kooperation und Austausch gezwungen. Ziel ist ohnehin keine perfekte Aufführung, sondern „die Jugendlichen mit Methoden der Theaterpädagogik zusammenzubringen“, sagt Lisa Jäger.

Obwohl die meisten der türkischen Schüler zum ersten Mal in ihrem Leben im Ausland sind und die Deutschkenntnisse nach nur zwei Jahren Unterricht in der Türkei nicht berauschend, scheint das Rezept gut aufzugehen - dank Englisch und Internet: „Wir haben uns schon vorher auf Facebook kennengelernt“, verrät Drilona (13), die gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Diellza die Türkinnen Sera Melis und Tuba (beide 16) zu Hause aufgenommen hat. „Aber durch die intensiven, gemeinsamen Proben macht der Austausch doppelt so viel Spaß.“
 

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