Nürnberg: Kinder- und Jugendnothilfe ist chronisch überlastet

4.9.2018, 05:47 Uhr
Die Nothilfe ist immer in Bereitschaft - und muss sich in Notsituationen schnell um betroffene Kinder kümmern.

© Peter Kneffel/dpa Die Nothilfe ist immer in Bereitschaft - und muss sich in Notsituationen schnell um betroffene Kinder kümmern.

Die chronische Überbelegung verlangt den Mitarbeitern des Jugendamts und des Vereins Schlupfwinkel alles ab. Auch nach dem Abschied des langjährigen Geschäftsführers Peter Singer wird die bewährte Kooperation unter seiner Nachfolgerin Christine Goldberg fortgesetzt. An der Spitze des neuen Aufsichtsrats setzt sich Singer aber weiter für eine engagierte Jugendhilfe ein.

Wenn es zum Äußersten kommt und – wie in einem vor wenigen Tagen geschilderten Fall – schon ein Neugeborenes und Kleinkinder in Obhut genommen werden müssen, kümmern sich besondere Bereitschaftspflege-Familien um die Kleinen. Die Drei- bis Zwölfjährigen müssen sich die knappen Plätze in einer Kindernotwohnung in der Einrichtung an der Reutersbrunnenstraße in Gostenhof teilen. Und knapp ein Dutzend Plätze stehen für 13- bis 17-Jährige in der Jugendschutzstelle zur Verfügung.

Privater Sicherheitsdienst im Einsatz

Weil der Engpass hier besonders groß ist, wurde die Kapazität mit einer zweiten Einheit inzwischen knapp verdoppelt. "Trotzdem ist die Einrichtung bis zum Anschlag belastet", räumt Frank Schmidt, stellvertretender Leiter des Jugendamts, ein. Das geht sogar so weit, dass sich die Stadt inzwischen schon Mahnungen der Regierung von Mittelfranken eingehandelt hat, wie bei einer Veranstaltung des Vereins Schlupfwinkel bekannt wurde.

Fordert einen Ausbau des Notdienstes: Peter Singer, langjähriger Schlupfwinkel-Geschäftsführer, mit seiner Nachfolgerin Christine Goldberg.

Fordert einen Ausbau des Notdienstes: Peter Singer, langjähriger Schlupfwinkel-Geschäftsführer, mit seiner Nachfolgerin Christine Goldberg. © Wolfgang Heilig-Achneck

Der sich mit seinen Mitarbeitern seit jeher auch auf "schwierige Fälle" spezialisiert hat: Wiederholt kam es schon zu kritischen Zuspitzungen, wenn Jugendliche hier landeten, die keinerlei Regeln respektierten und buchstäblich über die Stränge schlugen. „Es gibt welche, die schon aus anderen Einrichtungen rausgeflogen sind“, erläutert Schmidt. Und die so unberechenbar sind, dass die Stadt vorsichtshalber einen privaten Sicherheitsdienst engagieren musste, der rund um die Uhr in der Einrichtung präsent ist.

Dafür, dass solche "verhaltensoriginellen Jugendlichen", wie Singer sie nennt, auf andere Schutzsuchende treffen, seien die Räume definitiv viel zu eng, macht der Verfechter von Kinder- und Jugendrechten geltend. Als er sich nach 32 Jahren Tätigkeit beim Schlupfwinkel kürzlich in den Ruhestand verabschiedete, wiederholte er deshalb das Angebot des Vereins an die Stadt, sich an einem Um- und Ausbau zu beteiligen. Wünschen würde sich auch Schmidt einen Neubau, doch seriöse Pläne gebe es dafür bisher nicht.

Nürnberger sind die Krisenfeuerwehr für die Region

Stärker beansprucht als früher ist der Kinder- und Jugendnotdienst indes noch aus einem weiteren Grund: Als Krisenfeuerwehr sind die Nürnberger seit drei Jahren auch im gesamten Umland unterwegs (außer im Landkreis Neustadt/Aisch), wenn außerhalb der regulären Dienstzeiten der örtlichen Jugendämter Fachkräfte der Jugendhilfe gefordert sind – natürlich gegen entsprechende Erstattung der Kosten. Geregelt ist das in einer kommunalen Zweckvereinbarung.

Die Folge: Etwa jeder vierte Jugendliche in der Nürnberger Notaufnahme stammt aus dem Umland, bleibt oft allerdings nur für wenige Tage, bis das jeweils zuständige Jugendamt eine passende Bleibe gefunden hat.

Die Kooperation zwischen der Stadt und dem Schlupfwinkel gilt unterdessen weiter als bundesweit vorbildlich. Vor mehr als 30 Jahren hatte der Schlupfwinkel – damals in Gostenhof – eine eigene „Zufluchtsstelle“ geschaffen; diese ging vor 16 Jahren im seither gemeinsam mit der Stadt betriebenen Kinder- und Jugendnotdienst auf. Mit Vorteilen für beide Seiten: Die Einbindung bedeutet für den Verein ein festes Standbein – und er kann weiter einlösen, was sein Name verspricht. Die Stadt dagegen profitiert von der hohen Flexibilität und dem Engagement des Vereins.

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