Nürnberger Kreiswehrersatzamt: Eine Behörde sucht händeringend nach Aufgaben

1.4.2011, 00:00 Uhr
Nürnberger Kreiswehrersatzamt: Eine Behörde sucht händeringend nach Aufgaben

© Michael Matejka

Platz gibt es in dem schmucken Gebäude in der Allersberger Straße schon längere Zeit mehr als genug. Für 160 Beschäftigte ist das Kreiswehrersatzamt, eines von neun im Freistaat, vor 20 Jahren gebaut worden, 70 tun dort derzeit Dienst. Zu dem großzügigen Platz ist in den vergangenen Monaten noch jede Menge Spielraum hinzugekommen, Spielraum für Gedanken, wie es weitergehen soll. Die muss sich die gesamte Behörde machen, aber auch jeder Einzelne an seinem weitgehend aufgeräumten Schreibtisch.

Gerd Eickmeyer, ein Leitender Regierungsdirektor, ist in dem Haus der rastlose Chef. Der offene und alles andere als geheimniskrämerische Ostwestfale leitet die Behörde seit sechs Jahren. Er führt den Besucher unbekümmert durch die langen weißen Flure, vorbei an den Büros, in denen sich seine Kollegen spürbar größte Mühe geben, Arbeit zu finden.

Vor Eickmeyers Amtszimmer ist neben dem nüchternen Foto des Bundespräsidenten ein weißer Fleck. Dort hing bis vor kurzem noch Karl-Theodor zu Guttenberg. Das Bild des neuen Ministers ist noch auf dem Dienstweg. Das gerahmte Konterfei des Ex lehnt jetzt hinter der Tür mit dem Gesicht zur Wand. Das drückt auf keinen Fall Respektlosigkeit gegenüber dem Oberbefehlshaber a.D. der Truppe in Friedenszeiten aus, oder gar Unmut über das, was Guttenberg den Kreiswehrersatzämtern eingebrockt hat.

Allerdings wird Eickmeyer am Reform-Erbe, das Guttenberg den Ämtern mit seiner Reform völlig überraschend aufgetischt hat, noch einige Zeit zu kauen haben. Statt wie bisher rund 800 Wehrpflichtige im Monat, treten jetzt nur noch etwa 70 Freiwillige in Nürnberg an, also weniger als ein Zehntel. Statt wie bisher an fünf Tagen pro Woche wird hier nun an zwei Tagen untersucht, getestet und interviewt. Einen solchen Rückgang müssen die Beschäftigten erst einmal bewältigen, schließlich ist ihre Zahl gleich geblieben.

Die Wehrkraft Gerd Eickmeyers gegen die drohende Ausmusterung Nürnbergs ist bemerkenswert. Illusionen macht er sich aber nicht: „Bundesweit gibt es 52 Kreiswehrersatzämter, 15 bis 20 sollen als Zentren für Nachwuchsgewinnung, wie sie dann heißen, übrig bleiben. Für Bayern werden wohl zwei oder drei bleiben.“ Was aus dem Standort Nürnberg wird, ist „unklarer denn je“. Aber der hohe Beamte kämpft.

Der 58-Jährige hat ein Konzept erstellt, in dem er die Leistungsfähigkeit seiner Leute für die künftige Nachwuchsgewinnung bei der Bundeswehr ausführlich erläutert. Er wartet sehnlichst auf Material, mit dem er endlich bei der Werbung um Bundeswehrnachwuchs in die Vollen gehen kann. Und er zählt Gründe auf, die für Nürnberg sprechen. Das Aufkommen an Freiwilligen kann sich schon jetzt sehen lassen, das großzügige Gebäude mit Kantine oder Platz für Sportprüfungen oder Übernachtungen bietet unterschiedlichste Nutzungsmöglichkeiten, außerdem ist die Lage im Freistaat zentral.

Nürnberger Kreiswehrersatzamt: Eine Behörde sucht händeringend nach Aufgaben

Gerd Eickmeyer hat eine Karte Nordostbayerns vor sich liegen. Würzburg, Bamberg, Weiden, Regensburg hat er wie Nürnberg rot eingekringelt. In diesen Städten gibt es noch Kreiswehrersatzämter, und der hiesige Chef kann sich vorstellen, dass seine Kollegen das Ministerium oder die verantwortlichen Politiker nicht weniger als er selbst davon überzeugen wollen, dass gerade ihre Behörde Sinn macht. „Wir sitzen alle im selben Boot“, seufzt der Beamte.

Es herrscht so etwas Ruhe vor dem Sturm, der sich bis zur Entscheidung von ganz oben im Sommer oder im Herbst über seinem Amt zusammenbrauen könnte. Er muss täglich dafür sorgen, dass seine Mitarbeiter die Hoffnung nicht allzusehr fahren lassen. „Wo sollen die denn alle hin, wenn Nürnberg fällt? Alles ist in der Schwebe. Aber man darf sich nicht verrückt machen.“ Am besten hilft ein möglichst sinnvoller Zeitvertreib. Es werden Aktenbestände aufgearbeitet, Computer auf Vordermann gebracht, es wird Liegengebliebenes aufgeräumt.

„Ich habe mir Sicherheitsakten von Kollegen gekrallt“, erzählt zum Beispiel Oskar Moissl, „da gab es was zu tun.“ Der 45-jährige Diplomverwaltungswirt aus dem Nürnberger Land ist Musterungsberater. Früher saßen täglich um die 25 junge Männer zu Abschlussgesprächen an seinem Schreibtisch, in diesen Wochen sind es noch etwa 15 — und das, wohlgemerkt, nur an den zwei übrig gebliebenen „Ladungstagen“ pro Woche.

Moissl erkennt auch gute Seiten an seiner arbeitsmäßigen Zwangsbeschränkung. Die Beratung muss jetzt nicht mehr hopplahopp über die Bühne gehen. Er kann in seinen Rest-Gesprächen richtig in die Tiefe gehen. Was die Zukunft im Dienst des Bundes bringt? „Ich bin offen für alles, aber man hofft immer noch, dass es in Nürnberg in irgendeiner Form weitergeht.“

Sein Kollege Klaus Reiter gibt sich „noch gelassen“. Der Regierungshauptsekretär aus Dietenhofen bei Ansbach ist schon 30 Jahre bei der Truppe. Seit 2006 musste er bereits dreimal den Arbeitsplatz wechseln. „Ich habe schon öfter erlebt, dass was aufgelöst wurde“, meint der 52-Jährige, „bei der Bundeswehr ist das nichts Neues.“ Wenn es nicht anders geht, wird er eben Wochenend-Heimfahrer.

Bei Evelyn Zimmerer, der Personalratsvorsitzenden im Amt, laufen die stillen Sorgen und Ängste der Kollegen zusammen. Manche haben finanzielle Verpflichtungen, müssen Angehörige versorgen, Alleinerziehende fürchten einen Umzug in eine ganz andere Ecke des Landes.

„Man unterhält sich und vertröstet“, sagt Zimmerer, „wissen tue ich aber genauso viel wie die anderen, nämlich nichts.“ Weiterbildungskurse stehen derzeit hoch im Kurs, man hilft intern aus, wo das möglich ist. Es kam auch schon vor, dass Mitarbeiter Werbebriefe für die Bundeswehr gefaltet und eingetütet haben. Die Sinn-Suche im Büro fällt derzeit nicht immer leicht.

Einige Wochen kann man sich, so Zimmerer, über die Runden retten, „wenn das länger dauert, schlägt das schon aufs Gemüt“. Von leeren Durchhalteparolen hält sie nichts. „Man kann eigentlich nur abwarten.“ Zimmerer ist für den psychologischen Dienst im Kreiswehrersatzamt zuständig. Jetzt, wo es keine Wehrpflichtigen mehr gibt, kann sie ihre Erfahrungen vielleicht auch nutzen, um geknickte Kollegen zu stützen.

Wer von ihnen die Möglichkeit hat, bewirbt sich schleunigst auf eine andere Dienststelle und geht in Nürnberg von der Fahne. Gerd Eickmeyer spricht von verständlichen „Absetzbewegungen“. Er selbst bleibt bis zuletzt, auch wenn er derzeit wenig Erbauliches erlebt. Kürzlich haben sich Herren von der Bundesimmobilien-Verwaltung im Haus umgesehen. Die haben das gut erhaltene Gebäude in der Allersberger Straße taxiert. Man muss schließlich wissen, für was man es sonst noch verwenden könnte, außer als Kreiswehrersatzamt.