Datenschutz

Nürnbergerin entsetzt: Verwendete Gesundheitsamt Daten weiter?

10.6.2021, 20:17 Uhr
Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr helfen bei der Nachverfolgung von Kontakten Infizierter im Gesundheitsamt. Sie müssen auch die Vorgeschichte der Betroffenen kennen, um sie gezielt informieren zu können, heißt es im Gesundheitsreferat Nürnberg.

© Rolf Vennenbernd, dpa Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr helfen bei der Nachverfolgung von Kontakten Infizierter im Gesundheitsamt. Sie müssen auch die Vorgeschichte der Betroffenen kennen, um sie gezielt informieren zu können, heißt es im Gesundheitsreferat Nürnberg.

Im guten Glauben, alles richtig gemacht zu haben, fuhr Carola Müller (Name geändert) am Ende der Pfingstferien beruhigt mit ihrer Familie vom Urlaubsdomizil in Südtirol zurück nach Nürnberg. Denn die Lehrerin hatte alle vorgeschriebenen Formalitäten bezüglich der Pandemie erledigt.

Sie hatte sich, die Kinder und den Ehemann im bayerischen Einreiseportal eingetragen, die digitale Meldung vollständig ausgefüllt. Ebenso hatte die zweifach geimpfte Mutter ein negatives Testergebnis elektronisch hochgeladen.

Sofort in die Quarantäne

"Jetzt kann ja nichts mehr schief gehen", dachte sich Carola Müller - und lag prompt falsch. Denn kaum in der Wohnung angekommen, fand sie in ihrem privaten Mailpostfach eine Nachricht des Nürnberger Gesundheitsamtes vor. Sie sei aus einem Risikogebiet eingereist, hieß es darin, und müsse sich nun sofort in eine zehntägige Quarantäne begeben. Zudem müsse sie spätestens nach 48 Stunden ein Corona-Testergebnis vorlegen. Übermittle sie einen negativen Test oder weise sie die vollständige Impfung nach, könne sie die Quarantäne auch wieder beenden.

Das alles hatte Müller aber bereits in Österreich vor dem Grenzübertritt ins System gestellt. Empört über diesen Formbrief rief sie bei der angegebenen Nummer der Bürgerhotline an. Dort erfuhr sie, dass es sich wohl um eine "Datenpanne" handelte und sie die Mail ignorieren könne.

Als sie aber vergangenen Montag den Dienst in ihrer Schule wieder antrat, war für Müller der Fall immer noch nicht ausgestanden. Denn die städtische Aufforderung, sich in Quarantäne zu begeben, entdeckte sie auch unter ihren Dienstmails.


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Wie kam sie dahin? "Meine dienstliche Mailadresse gebe ich bei privaten Anliegen niemals an", sagt Müller. Auch ihr Vorgesetzter habe hoch und heilig versichert, während ihres Urlaubs keinen Kontakt zum Gesundheitsamt gehabt zu haben. Allerdings hatte er der Behörde bereits zu Jahresbeginn Müllers Mailadresse genannt, weil sie Kontaktperson in einem Corona-Fall an der Schule war.

Der frühere Vorstandsvorsitzende des Nürnberger Klinikums, Alfred Estelmann, koordiniert die Nachverfolgung. Die bisherige Datenbank soll demnächst eingefroren werden, wenn eine neue Software installiert wird.

Der frühere Vorstandsvorsitzende des Nürnberger Klinikums, Alfred Estelmann, koordiniert die Nachverfolgung. Die bisherige Datenbank soll demnächst eingefroren werden, wenn eine neue Software installiert wird. © Roland Fengler, NNZ

"Ich bin entsetzt, beide Vorgänge haben doch nichts miteinander zu tun", erbost sich Carola Müller. Längst müssten ihre Daten vom Februar wieder gelöscht sein. Sie wittert Missbrauch, zumal sie vom Datenschutzbeauftragten der Stadt keine Auskunft bekam.

Alles sei korrekt, versichert Dr. Alfred Estelmann, der neue Berater von Gesundheitsreferentin Britta Walthelm, der auch die Kontaktnachverfolgung des Gesundheitsamtes koordiniert. Denn in der Datenbank führe man ganz bewusst Kontakt- sowie Verdachtspersonen und Reiserückkehrer zusammen. Nur so könne man die Corona-Entwicklung auswerten und zum Beispiel überprüfen, ob Reiserückkehrer für einen Anstieg der Inzidenzen verantwortlich seien - oder eben gerade nicht.

Zudem müssten die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes wissen, ob Kontaktpersonen eines aktuellen Falls bereits früher schon einmal als Kontaktpersonen gemeldet wurden, etwa an Schulen, in Heimen oder Kindergärten, sagt Estelmann. Denn dann müsse man nicht ein weiteres Mal über Quarantäne aufklären. Mitarbeiter seien bereits von Betroffenen als "inkompetent" beschimpft worden, weil sie die Vorgeschichte nicht gekannt hatten.

Wenn die Stadt demnächst auf die neue Software "Sormas" umsteigt, sollen die bisher gesammelten Daten eingefroren, anonymisiert und wissenschaftlich ausgewertet werden, verspricht Estelmann, der bis zu seinem Ruhestand Vorstandsvorsitzender des Klinikums Nürnberg war. Ein paar Daten müsse man aber übertragen, sagt er, zum Beispiel, den Nachweis, dass jemand vollständig geimpft ist. Damit man nicht wieder versehentlich eine Bürgerin wie Lehrerin Carola Müller in Quarantäne schicken will, wenn sie sich nach einer Reise zurückmeldet.

Wie im Mittelalter

Der Nürnberger IT-Spezialist und Prozess-Experte Mesut Yavuz, der Berliner Gesundheitsämter bei der Digitalisierung berät, beklagt, dass die Behörden technisch immer noch "wie in der Hofkammer der Fürstbischöfe" arbeiten. Investitionen seien verschlafen worden. Das Nürnberger Gesundheitsamt, mit dessen System-Fachleuten er im Austausch steht, sei bereits gut aufgestellt. Doch auch hier findet sich eine Meldesoftware, die "in die Steinzeit" gehöre.

Die neue Datenbank-Software "Sormas" müsse nun effizient eingesetzt werden, damit sich die Investition auch rentiere. Sie biete viele Möglichkeiten und Schnittstellen und dürfe nicht nur für alles rund um das Thema Covid-19 verwendet werden, sagt Yavuz. So könne man Masernerkrankungen damit ebenso dokumentieren wie Schuleingangsuntersuchungen. Den Wandel von der lahmen Bürokratie hin zu bürgernaher Effizienz müsse man rasch hinbekommen. Dann würde auch Carola Müller auf Anhieb erfahren können, was mit ihren Daten passiert.

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