Tragödie in der Südstadt

Nürnbergerin stieß Tochter aus dem Fenster: Richter ordnen Therapie an

Ulrike Löw

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2.2.2022, 15:50 Uhr
Weil sie ihre Tochter aus dem Fenster stieß, muss eine Nürnbergerin hinter Gitter und auf Entzug. Sie wurde gestern im im Nürnberger Strafjustizzentrum an der Fürther Straße verurteilt.

© Eduard Weigert, NNZ Weil sie ihre Tochter aus dem Fenster stieß, muss eine Nürnbergerin hinter Gitter und auf Entzug. Sie wurde gestern im im Nürnberger Strafjustizzentrum an der Fürther Straße verurteilt.

Der Anblick war grausam: Die Frau stand im Nürnberger Stadtteil Gibitzenhof am offenen Fenster im zweiten Stock, ihre verzweifelten Schreie hallten durch den Hinterhof. Schreie, die später sogar im Hintergrund aufgezeichnet wurden - als ihre Nachbarn den Notruf wählten und die Rettungskräfte alarmierten.

Die Frau hielt ihre fünfjährige Tochter über den Fenstersims - dann geschah das Unfassbare. Sie ließ ihr Kind einfach fallen. 7,80 Meter in die Tiefe.

Eine Nachbarin redete noch auf Heidi L. (Name geändert) ein, versuchte, die damals 29-Jährige von der Tat abzuhalten und blieb doch hilflos. Ein weiterer Nachbar, er schob gerade sein Fahrrad aus dem Keller, sah das kleine Mädchen gegen 6 Uhr morgens schwerverletzt im Hof liegen.

Und nun spricht die 16. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth unter der Vorsitzenden Richterin Gabriele Ebenhöch eine, gelinde formuliert, milde Freiheitsstrafe aus - wie kann das sein?

Heidi L., die gerade verurteilte Frau, ist keine "Horror-Mutter". Sie hat ihre Tochter nicht misshandeln oder verletzen wollen. Und schon gar nicht wollte sie ihr Kind durch den Stoß aus dem Fenster bestrafen oder dem Mädchen das Leben nehmen. Ganz im Gegenteil: Heidi L. wollte ihre Tochter schützen.

Gefangen im Wahn

In den Stunden, bevor die Tragödie ihren Lauf nahm, litt Heidi L. unter Wahnvorstellungen. Sie war davon überzeugt, dass bewaffnete Einbrecher in die Wohnung eingedrungen waren und ihr und ihrer Tochter nach dem Leben trachteten. Erst schob sie eine Kommode vor die Türe des Schlafzimmers, dann plante sie, ihre Tochter zu retten, indem sie das Kind aus dem Fenster, nach unten in den Hinterhof, abseilte. Die Wirklichkeit konnte Heidi L. nicht mehr erfassen, sie war gefangen im Wahn.

Ihre Psychose war durch Drogen und Medikamente ausgelöst worden, drei Tage vorher hatte sie ein Schmerzmittel und Antiepileptika geschluckt und Methamphetamin konsumiert. Sie hätte, und diesen Vorwurf hält das Urteil fest, damit rechnen müssen, dass sie von Halluzinationen gequält werden könnte - denn nach dem Konsum von Drogen hatte sie schon einmal unter Wahnvorstellungen gelitten.

Verhängnisvoller Mix aus Medikamenten und Drogen

Doch Heidi L. war sicher, dass dies nicht noch einmal passieren würde. Sie griff zu Drogen und Medikamenten und handelte deshalb fahrlässig.

Da der Gesetzgeber nicht will, dass sich Täter massiv betrinken, bekiffen oder wie auch immer berauschen, um schuldunfähig und kriminell zu werden und dann gar nicht bestraft werden können, bietet das Strafgesetzbuch mit dem so genannten Vollrausch-Paragrafen eine Hilfskonstruktion.

Hilfskonstruktion: Vollrausch-Paragraf

Heidi L. hat eine fahrlässige Körperverletzung an ihrer Tochter begangen, doch dafür wird sie nicht bestraft, sondern wegen ihres Vollrausches. Die Strafe darf jedoch nicht schwerer sein als die Strafe, die für die begangene Tat droht. Fahrlässige Körperverletzung sieht als Strafrahmen eine Geldstrafe oder bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe vor - und so betrachtet, hat das Gericht seine Möglichkeiten fast voll ausgeschöpft.

Das Urteil ist bereits rechtskräftig – und es entspricht auch dem Antrag der Staatsanwaltschaft und von Rechtsanwalt Michael Löwe. Er hat die Frau verteidigt, und betont, dass Heidi L. nun unbedingt mit Hilfe einer Therapie von ihrer Sucht loskommen will. Sie hofft darauf, dass ihre Tochter irgendwann wieder bei ihr leben darf. Derzeit ist das Mädchen bei Pflegeeltern.

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