Nürnbergs neue U-Bahn: Darum dauert Mammutprojekt Jahre

9.1.2019, 05:46 Uhr
Nürnbergs neue U-Bahn: Darum dauert Mammutprojekt Jahre

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Sie sind die Köpfe hinter der neuen Nürnberger U-Bahn: Bernd Meier-Alt (VAG Nürnberg) und Andreas Pfleger (Siemens Mobility GmbH, Wien) leiten für ihre Arbeitgeber das Projekt "G1" – das Kürzel ist die Modellbezeichnung für den "Gliederzug 1", der in Wien gebaut wird. Seit Herbst 2015 arbeiten die beiden Ingenieure eng zusammen. Im Interview mit der Nürnberger Zeitung erklären sie, warum es Jahre dauert, eine neue U-Bahn zu bauen. Und sie erzählen, wie das Mammutprojekt ihr persönliches Verhältnis verändert hat.

Was waren die größten Herausforderungen bei dem Projekt "G1"?

Bernd Meier-Alt: Die vielen Anforderungen irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Die Fahrgäste haben Wünsche, Sehbehinderte und viele andere Kundengruppen haben ihre Bedürfnisse, der Designer hat gewisse Vorstellungen, und die Vorgesetzten natürlich auch. Und das so hinzubekommen, dass es für alle akzeptabel ist und technisch realisierbar bleibt, war nicht leicht.

Andreas Pfleger: Für Siemens war es definitiv die technische Komplexität des Fahrzeuges. Es gibt ein großes Konvolut an Vorschriften, Normen und Standards, die eingehalten werden müssen. Das zu beachten und all die Interessen, von denen Herr Meier-Alt schon gesprochen hat, zu berücksichtigen, ist eine große Herausforderung. Und am Ende soll der Zug ja auch noch "State of the Art" sein.

Auf was dürfen sich die Fahrgäste freuen?

Meier-Alt: Auf durchgängige Fahrzeuge und klare Lichtzeichen, die zeigen, ob die Türen gerade auf oder zu gehen. Und für mobilitätseingeschränkte Personen haben wir viel Raum geschaffen. Da gibt es auch genügend Platz für Kinderwagen, Rollstühle oder Fahrräder.

Pfleger: Definitiv modernes Design! Wenn man in das Fahrzeug eintritt, atmet man durch. Es ist der neueste Stand der Technik verbaut und das Fahrzeug erfüllt hohe Sicherheitsanforderungen.

Andreas Pfleger ist bei Siemens für Nürnbergs neue U-Bahn zuständig.

Andreas Pfleger ist bei Siemens für Nürnbergs neue U-Bahn zuständig. © Schieder

Sicherheit ist ein gutes Stichwort. Einige Menschen fühlen sich unwohl in der U-Bahn – welche Rolle hat das bei der Konzeption gespielt?

Meier-Alt: In dem durchgängigen Zug können sich Fahrgäste leichter von kritischen Situationen entfernen. Bei Einzelwagen ist das nicht möglich. Das subjektive Sicherheitsempfinden steigt. Außerdem haben wir die Videoüberwachung ausgeweitet. In den neuen Bahnen gibt es die doppelte Anzahl an Kameras. Die haben auch eine deutlich höhere Auflösung. Da erkennt man Gesichter auf zehn Meter Entfernung.

Pfleger: Sicherheit hatte höchste Priorität beim Projekt "G1". Im Prinzip ist in dem Fahrzeug nahezu alles verbaut, was zum Thema Sicherheit momentan am Markt verfügbar ist. Der Abfertigungsprozess wird nochmals optimiert: Die Fahrgäste erkennen am "G1" noch besser, wann die Türen zum Einsteigen offen stehen und wann sie schließen. LED-Leuchtleisten innen über der Tür und außen in den Türblättern signalisieren, ob sich die Tür öffnet oder schließt. Analog zu einer Ampel signalisiert Grün "Einsteigen" und Rot "Stehen bleiben".

Warum ist es für die VAG denn so problematisch, wenn Fahrgäste im letzten Moment in die Bahn springen und dann in der Türe hängenbleiben?

Meier-Alt: Gefährlich ist es für den Fahrgast nicht. Die Tür klemmt mit maximal 15 Kilogramm Gewicht ein. Das ist nicht angenehm, Verletzungen entstehen da aber nicht. Problematisch ist eher, dass einer, der reinspringt und die Tür aufdrückt, 400 andere Fahrgäste aufhält. Wenn dadurch die Tür beschädigt wird, kann das einen eng getakteten U-Bahn-Betrieb empfindlich stören. Übrigens öffnet und schließt der Fahrer die Türen, ohne dass er dazu auf den Bahnsteig heraustritt. Dies ist vergleichbar mit den heutigen Fahrzeugen im automatischen Betrieb. Für die Sicherheit sorgt auch hier eine Reihe von Systemen rund um die Tür.

Bernd Meier-Alt ist Projektleiter bei der VAG.

Bernd Meier-Alt ist Projektleiter bei der VAG. © Schieder

Der Vertrag über den "G1" wurde Ende 2015 unterschreiben. Erst 2021 werden alle Züge ausgeliefert sein. Warum dauert das so lange?

Pfleger: Man stellt sich vielleicht vor, man hat ein Konzept, geht in eine Werkstatt und baut den Zug. In Wirklichkeit sind im Vorfeld intensive Gespräche mit dem Kunden und auch Behörden notwendig. Es gibt eine lange Designphase, in der sehr präzise für nahezu jedes Bauteil definiert wird, wie man das baut, warum man das so baut und ob das tatsächlich der neueste Stand der Technik ist. Diese Phase hat etwa 18 Monate gedauert. Auch in der Fertigung ist das Fahrzeug sehr komplex. Wenn man sieht, wie viele Kabel hier verlegt werden, wie viele Systeme es sogar mehrfach an Bord gibt, dann weiß man, dass man das nicht in ein paar Tagen abarbeitet. Dafür hat man am Ende ein Produkt, das sich in ganz Europa sehen lassen kann. Vielleicht sogar in der ganzen Welt.

Meier-Alt: Die ersten Fahrzeuge kommen aber schon im Februar zu uns. Mit mehrmonatigen Prüfungen und Testfahrten in Nürnberg wird die notwendige Kompatibilität mit den streckenseitigen Einrichtungen wie zum Beispiel dem Zugsicherungs- und Funksystem nachgewiesen. Im Herbst wollen wir erstmals Fahrgäste mit dem "G1" mitnehmen.

Sie beide arbeiten seit gut drei Jahren eng zusammen – wie hat sich Ihr Verhältnis entwickelt?

Pfleger: Wir sprechen immerhin noch miteinander (lacht).

Meier-Alt: Na ja, es gibt natürlich unterschiedliche Rollen. Einer will was zu einem bestimmten Preis und der andere fertigt etwas zu diesem Preis. Da wird es immer Reibungspunkte geben. Man muss Kompromisse finden, aber bis jetzt lässt sich das alles sehen.

Pfleger: Es gibt Momente, in denen man sehr eng zusammenwächst. Es gibt aber Situationen, da müssen wir in unsere Rollen zurück. Denn am Ende des Tages vertreten wir zwei verschiedene unternehmerische Positionen. Aber natürlich versteht man sich mit der Zeit und weiß, wie der andere auf bestimmte Themen reagiert. Ich möchte unterstreichen, dass wir ein sehr gutes Verhältnis haben. Wir sind durch dick und dünn gegangen. Gute Kapitäne erkennt man erst, wenn der Wind etwas rauer bläst.

Meier-Alt: Das stimmt alles. Ohne gegenseitiges Verständnis geht es nicht.

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