Nürnbergs Zapfsäulen der ersten Stunde

4.7.2019, 11:38 Uhr
Trotz überbordendem Corporate Design – also dem signifikanten Erscheinungsbild eines Unternehmens: Die moderne, leichtfüßige Architektur der Tanke in der Erlenstegenstraße 39 ist bis heute unübersehbar.

© Boris Leuthold Trotz überbordendem Corporate Design – also dem signifikanten Erscheinungsbild eines Unternehmens: Die moderne, leichtfüßige Architektur der Tanke in der Erlenstegenstraße 39 ist bis heute unübersehbar.

Es ist schon lustig:Während das Tanken und insbesondere die steigenden Kraftstoffpreise die Individualmotorisierten regelmäßig zur Weißglut treiben, scheinen historische Tankstellen einen gegenteiligen Effekt zu haben. Selbst auf die, die mit Architektur sonst wenig am Hut haben. Das ist ein wenig so wie mit Oldtimern, die im Straßenverkehr und selbst bei randalierenden Lackkratzern Seniorenschutz genießen.

Die frühen Automobilisten hatten’s auch nicht gerade leicht, denn für sie war der Treibstoff nicht nur ähnlich teuer, auch das Erstehen desselben war eine Aufgabe für sich: Um 1900 mussten sie nämlich ihr Benzin noch in kleinen Gebinden in der Apotheke erstehen.

Das markante Eckgebäude mit den Arkaden in der Bucher Straße 71 erinnert an eine der ältesten Nürnberger Tankstellen.

Das markante Eckgebäude mit den Arkaden in der Bucher Straße 71 erinnert an eine der ältesten Nürnberger Tankstellen. © Boris Leuthold

Nur wenige Betuchte konnten sich einen privaten Lagertank mit Zapfhahn für ihre Limousine leisten, so etwa 1904 das Nürnberger Hopfenhändler-Ehepaar Lili und Emil Hopf hinter ihrer Villa in der Blumenstraße 17 (heute Kunstvilla). Erst ab den Goldenen Zwanzigern, als die Zahl der Autos auf den Straßen zunahm, entstand nach und nach ein Netz aus öffentlichen Tankstellen.

Die meisten dieser frühen Zapfstellen waren „Marke Eigenbau“, also individuell für den jeweiligen Ort und Betreiber geplant. Zu ihnen zählt eine der ältesten erhaltenen Nürnberger Tankstellen, die Bevaulin-Tanke in der Bucher Straße 71, die Leonhard Schlötter in den 1930er Jahren eröffnet hat.

Auch später noch gönnte sich manch Betreiber reizvolle architektonische Lösungen: Für das Autohaus Krauss planten Friedrich Seegy sowie Robert und Eduard Kappler 1953 in der Regensburger Straße 70 eine eigene Tankstelle, deren weit auskragendes Betondach die geschwungene Linie der Fassade des angrenzenden Büro- und Ausstellungsgebäudes fortsetzte.

Auto-Krauss in der Regensburger Straße 70 bot ab 1953 nicht nur Neuwagen, sondern auch gleich den Kraftstoff dazu an. Heute existiert nur noch das Gebäude im Hintergrund.

Auto-Krauss in der Regensburger Straße 70 bot ab 1953 nicht nur Neuwagen, sondern auch gleich den Kraftstoff dazu an. Heute existiert nur noch das Gebäude im Hintergrund. © unbekannt (Sammlung Stefan Schwach)

Die großen Mineralölkonzerne und ihre Architekten setzten dagegen früh fast ausschließlich auf Typenbauten – und tun dies bis heute. Der Grund: Ein einmal erstellter Entwurf, der sich je nach Bedarf und Örtlichkeit modifizieren lässt, spart Bau- und Instandhaltungskosten und natürlich Bauzeit ein.

Auch Nürnbergs wohl berühmteste Tanke in der Erlenstegenstraße 39 ist eine echte „Type“. Geplant hat den Bau mit seinem vorschießenden Flugdach aus Spannbeton der Hannoveraner Architekt Walter Hämer 1958 für den US-Konzern Caltex.

Max Forsters 1961 eröffnete Tanke in der Zerzabelshofer Hauptstraße 41 beherbergt heute eine Firma für Autoreinigung und -pflege.

Max Forsters 1961 eröffnete Tanke in der Zerzabelshofer Hauptstraße 41 beherbergt heute eine Firma für Autoreinigung und -pflege. © Boris Leuthold

Wilhelm Mastiaux und Ulrich Rummel sind die Entwerfer der Typentankstelle in der Zerzabelshofer Hauptstraße 41 mit ihrer auffälligen „Pilzsäule“ unter dem Vordach. Wie NZ-Leser Dieter Thurner herausfand, gehörte die 1961 eröffnete Tanke dem Fahrradhändler Max Forster, der erst von Gasolin, später von Texaco und zuletzt von Aral beliefert wurde.

Wie die Tante-Emma-Läden um die Ecke, so starben auch die kleinen, inhabergeführten Tankstellen nach und nach aus, als Ende der 1960er Jahre vermehrt Großtankstellen mit x Zapfsäulen, Waschanlage, Bistro und Reisesupermarkt eröffneten, etwa jene in der Frankenstraße 224. Ironischerweise sind es heute wie damals in den 1920er und 1930er Jahren die angeschlossenen Reparaturwerkstätten und der Verkauf von Autobedarf und Lebensmitteln, die den Betrieb für manch kleines Licht am Markt noch einigermaßen rentabel machen.

Tankstelle der ersten Stunde: Shell-Tanke und Autowerkstatt an der Äußeren Sulzbacher Straße 15, um 1930.

Tankstelle der ersten Stunde: Shell-Tanke und Autowerkstatt an der Äußeren Sulzbacher Straße 15, um 1930. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Die meisten alten Tankstellengebäude sind mittlerweile Neubauten gewichen, andere haben eine neue Verwendung gefunden: So bietet heute im früheren Verkaufsraum der Bevaulin in der Bucher Straße 71 „Holla, zwei Waldfeen!“ Handgemachtes und Vintage-Produkte an. Max Forsters Tankstelle im Herzen von Zabo ist seit 1997 Sitz eines Fachbetriebs für Fahrzeugreinigung und die früheren Geschäftsräume von Auto-Krauss sollen nach Sanierung und Umbau in ein paar Jahren Büros und Gastronomie beherbergen.

Immerhin: Die derzeit geschlossene Shell-Tankstelle in der Erlenstegenstraße 39 – sie ist im Übrigen bislang die einzige in Nürnberg, die unter Denkmalschutz steht – soll wiedereröffnen. Allerdings ohne die allseits geschätzte Kundenbetreuung des Vorpächters. Ein Automat wird hier künftig die Geschäfte abwickeln. Schade, denn ohne die menschliche Komponente ist selbst die tollste Tankstelle nur halb so schön.

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