"Online bin ich lockerer": Von der Partnersuche im Netz

14.10.2018, 05:58 Uhr

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Thomas (41) hätte es romantischer gefunden, wenn er seine Freundin zufällig im Supermarkt getroffen hätte. "Das hört sich schöner an als zu erzählen, dass wir uns bei Parship kennengelernt haben", sagt der Ingenieur aus Nürnberg. Er möchte seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen. Nur sein enger Freundeskreis weiß, dass er online auf Partnersuche war.

"Ich gehe nicht jedes Wochenende aus und versuche, Frauen kennenzulernen, dafür bin ich nicht der Typ", sagt Thomas. Als er vor rund zwölf Jahren nach Nürnberg zog, war da auch nicht gleich ein Freundeskreis, über den er eine Partnerin hätte finden können. Dating-Portale sollten ihm endlich die Traumfrau bescheren.

Algorithmus schlägt Frauen vor

"Man schreibt, welche Eigenschaften einem an einer Frau gefallen, und der Algorithmus liefert Vorschläge." Das klang für Thomas praktisch und effizient. Doch was er damals mit Ende 20 fand, war eben nicht die große Liebe, sondern viele Affären. "Ich schrieb mir gleichzeitig mit bis zu fünf Frauen, da ging es auch um erotische Fantasien." Man traf sich, aber nichts hielt länger.

Knapp zehn Jahre später startete er einen zweiten Anlauf bei Parship und lernte dort seine jetzige Freundin kennen. Sie schrieb Thomas an, als er gefrustet kaum noch online ging. "Das Angebot an Frauen war längst nicht mehr so groß wie mit Ende 20, wahrscheinlich weil viele mit 30 fest liiert sind." Sein Fazit: Online-Dating ist teuer, es frisst viel Zeit, und die Profile der Kandidatinnen ähnelten sich oft. "Ich war schon froh, wenn eine Frau mal was Witziges geschrieben hat und bei Hobbys nicht nur ,shoppen, reisen und essen gehen‘ stand." Sein Blick auf die Frauen haben sich aber nicht verändert: "Klar, erst mal habe ich nach dem Aussehen entschieden, wen ich anschreibe, aber spätestens beim ersten Telefonat spielte auch der Charakter eine Rolle."

Drei von zehn Deutschen suchten schon mal im Internet einen Partner. Die einen wünschen sich Sex, die anderen die Liebe für den Rest des Lebens. Der Umsatz von Dating-Portalen in Deutschland ist seit 2003 rasant gestiegen, 2017 betrug er erstmals mehr als 210 Millionen Euro.

"Bis circa 2010 ist der Markt geradezu explodiert, seitdem steigen die Umsätze weniger stark", sagt Soziologin Marie-Kristin Döbler. Die 29-Jährige promoviert an der Universität Erlangen zum Thema Paarbeziehungen. Online-Dating sei zwar ein Trend, werde aber von den Medien oft übertrieben dargestellt. "Die Zahl der Nutzer ist seit rund sechs Jahren relativ konstant. Die Leute sind nur häufiger als früher auf mehreren Plattformen unterwegs." Weltweit werde Tinder gerade mal von 3,7 Millionen Menschen genutzt, was in keiner Relation zu der großen Bekanntheit der App stehe.

Lust auf Unverbindlichkeit

Auch Laura (48) suchte auf Tinder. Nicht nach dem Mann fürs Leben, sondern nach Spaß und Selbstbestätigung. Nach ihrer Scheidung hatte sie Lust auf Unverbindlichkeit. Tinder zeigt Fotos von Singles in der Nähe, mit einem Wisch nach rechts bekundet man Interesse, geht der Finger nach links, fällt der Kandidat durch. Das Unkomplizierte kam Laura, die nach einem Studium als Angestellte arbeitet, gerade recht.

In sechs Monaten traf sie sich mit sieben Männern. "Geschrieben habe ich aber mit viel mehr Männern." Offline sei es viel komplizierter, in Kontakt zu kommen. "Online war ich lockerer, ich schrieb direkt, was ich wollte und was mir an einem Mann gefiel." Dass es bei Tinder erst mal nur um Äußerlichkeiten geht, störte sie nicht. "Ich habe mich nicht wie auf einem Fleischmarkt gefühlt, weil ich die Entscheidung traf, mit wem ich mich treffe."

Doch sie lernte auch die Schattenseiten der App kennen. Männer, die falsche Fotos auf ihr Profil stellen, um sich attraktiver zu machen. Männer, die ihre Partnerin ganz offen mit einer Tinder-Bekanntschaft betrügen wollen. "Ein Mann aus Gera schlug vor, dass wir uns auf einem Parkplatz treffen." Andere Männer chatteten mit ihr tagelang und ließen dann die erste Verabredung platzen. "Auf Tinder geht es nicht um Verbindlichkeit oder Zuverlässigkeit", wer tindert muss keine Verantwortung übernehmen. Viele Männer sammelten online Frauenkontakte wie Trophäen. "Gesellschaftlich ist das der totale Rückschritt", sagt die 48-Jährige.

Liebevolle Porträts

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Männer große Dating-Tools wie Tinder erfunden haben, die allein über optische Reize funktionieren. Frauen planen Dating anders. Bekanntestes Beispiel ist Whitney Wolfe Herd, ihre App Bumble lässt Frauen den ersten Schritt bei der Kontaktaufnahme machen. Auch die Berlinerinnen Anni Kralisch-Pehlke und Jule Müller wollen sich mit ihrer Online-Plattform "Im Gegenteil" von Tinder unterscheiden. Singles aus zwölf deutschen Großstädten werden auf der Homepage ausführlich porträtiert, mit Home-Storys und vielen Fotos. Auch Singles aus Nürnberg suchen über die Plattform.

"Wir wollten eine liebevoll gestaltete Seite", sagt Anni Kralisch-Pehlke. 2013 ging die online, Mitbegründerin Jule Müller war damals Single und von Apps wie Finya angeödet. "Da findet man Fotos von Männern mit nacktem Oberkörper und einem Kakadu auf der Schulter oder vor ihrem Sportwagen", das sei ziemlich seltsam. Und definitiv nicht das, was Frauen toll finden.

Die sind auf "Im Gegenteil" in der Überzahl — was die Seite von der Konkurrenz unterscheidet. "Gefühlt sind aber auch mehr Frauen ab 35 ohne Partner als Männer in dem Alter", schätzt Kralisch-Pehlke. Sie glaubt, dass sich Männer um die 40 oft noch gar nicht binden wollen und jüngere, möglichst attraktive Freundinnen suchen. "Frauen Mitte 30 wollen aber ernst genommen und nicht nur als Lustobjekt gesehen werden."

Die 35-Jährige weiß, dass auch Nutzer ihres Portals früher bei Tinder aktiv waren. "Einige haben dort eine richtige Sucht entwickelt und hatten ständig wechselnde Partner, bis sie merkten, dass ihnen das nicht guttut." Online-Dating sei auch ein Weg, sich abzulenken, sagt Laura aus Nürnberg. Von den Fragen, um die es im Leben gerade tatsächlich geht. Sie ist auch deshalb wieder offline, weil sie nicht länger weglaufen will vor ihrem Wunsch, sich tatsächlich zu binden.

Ein Spiegel der Gesellschaft

Soziologin Marie-Kristin Döbler glaubt nicht, dass die Partnersuche via App eine gesamtgesellschaftliche Wirkung haben wird. "Aber sie kann die Selbstwahrnehmung verändern. Tinder und Co. stellen die Marktförmigkeit der eigenen Person und der potenziellen Partner in den Vordergrund. Alles an ihm oder ihr muss passen und wir verlieren aus dem Blick, dass auch das Unperfekte gut sein kann." Beziehungsunfähiger mache Online-Dating aber nicht. "Vielleicht sind uns Beziehungen nur wichtiger als früher und wir wechseln öfter unsere Partner, weil wir stärker abwägen, wer tatsächlich zu uns passt."

Letztlich seien die Apps ein Spiegel der Gesellschaft. Einige Männer irritiere es, wenn Frauen den ersten Schritt machen, egal ob online oder im echten Leben. "Und einige Frauen orientieren sich auch im Netz hierarchisch eher nach oben und suchen den Mann, der besser verdient als sie."

Dass es Thomas romantischer gefunden hätte, wenn er seine Freundin über Bekannte oder im Schwimmbad kennengelernt hätte, versteht Döbler gut. Umfragen haben gezeigt, dass es die meisten doch schöner finden, offline der großen Liebe zu begegnen. Daran konnten Tinder, Finya und all die anderen Apps bislang nichts ändern.

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