«Patriotismus ist doch okay“

22.6.2006, 00:00 Uhr
«Patriotismus ist doch okay“

Güntay Bozkurt ist in der Türkei geboren, fühlt sich aber (fast) wie ein Deutscher. Seit 25 Jahren lebt der 30-Jährige in Deutschland, einen deutschen Pass besitzt er seit vielen Jahren - und zwar nur den deutschen, wie er betont.

In seinem Laden in der Nürnberger Innenstadt hängen ganz unterschiedliche Fahnen. Dass auch die Bundesbürger wieder Flagge zeigen, hält er für ganz normal. «So muss es sein“, sagt er, «das finde ich gut und schön“. Es sei doch ungerecht, wenn alle Nationen feiern dürften, nur die Deutschen nicht. Dass die eingebürgerten Türken ihrer neuen Heimat die Daumen drücken, findet er okay. Er selbst fiebere ja schließlich auch bei Klinsmann und Co mit. Und wenn sich die Türkei qualifiziert hätte? «Dann wäre ich 60 Prozent für die Türkei und den Rest für Deutschland.“

Freude über das Fahnenmeer

Teenager wie Ariane Löscher, Flavia Marcinko und Natalia Wrzaszczyk sind ebenfalls der Meinung, dass Deutschland ruhig mehr Nationalbewusstsein zeigen sollte. «Es ist doch in Ordnung, wenn überall Fahnen wehen; in anderen Ländern ist es doch auch möglich.“ Flavias Wurzeln sind kroatisch, Natalias Eltern stammen aus Polen - dennoch stehen die beiden Gymnasiastinnen voll hinter der deutschen Nationalelf. Die WM würde das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, loben die drei. Ohnehin sei die Stimmung in Nürnberg zurzeit ganz schön aufregend. Befürchtungen, dass die Bilder von deutschen Fahnen im Ausland Ängste vor einem wieder erstarkten und nationalistischen Deutschland schüren könnten, haben sie nicht. «Es zeigt doch niemand das Hakenkreuz“.

Michael Mayer freut sich über das bunte Fahnenmeer. «Das ist doch mal etwas anderes - endlich mal ein bisschen Farbe“, meint der 24-Jährige. Der Nürnberger hat eine Fahne fest um seine Hüften geschlungen. «Normalerweise trage ich das nicht“, sagt er, «denn so patriotisch bin ich nicht, zur WM aber passt es eigentlich ganz gut.“ Dass sich andere Länder an deutschen Fahnen und Wimpeln stören könnten, glaubt er nicht. «Wenn andere Staaten die WM austragen, zeigen sie doch auch ihre Fahnen. Das ist doch völlig normal.“

Wie ein bunter Farbklecks sieht Michael Göbel aus: Der Lagerist hat seinen Motorradhelm mit den deutschen Farben geschmückt. Mit gefährlichem Nationalismus hätte das aber nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Der Nürnberger hat mit seinem Fotoapparat und seiner Videokamera in den letzten Tagen schon viele Iraner und Mexikaner fotografiert und sich dabei mit einigen sogar angefreundet. «Da wird doch eher die Freundschaft zwischen den verschiedenen Nationalitäten gefeiert, als Patriotismus beschworen.“

Nicht ganz so überschwänglich äußert sich Manuela Macher. «Es gibt Fans, die freuen sich wirklich nur über den Sieg, aber es gibt auch Fans, die ein Fußballspiel für ihre nationalistischen Umtriebe nutzen wollen“, sagt die 35-Jährige. Freilich stelle das kein ausschließlich deutsches Phänomen dar. Generell lehnt sie aber das neue deutsche Selbstbewusstsein nicht ab. «Wenn man Maß hält, ist es schon in Ordnung.“

Mit ausschließlich positiven Gefühlen beobachtet Bernd Bierl diese Entwicklung. «Ich finde es toll, dass wir endlich wieder ein bisschen nationalstolz sein dürfen. Wir wurden bisher zur Zurückhaltung gezwungen.“

«Wir haben uns doch geändert“

Die deutschen Fahnen würden heutzutage auch beweisen, dass es mittlerweile ein anderes Deutschland ist. «Wir haben uns doch geändert“, sagt der Ruheständler, der den Zweiten Weltkrieg als Kind noch miterlebt hat.

Und die jüngsten Übergriffe auf Ausländer und auf Deutsche mit dunkler Hautfarbe? «Die Täter gehören doch zu einer Randgruppe, die es immer geben wird“, antwortet der Nürnberger. «Diese jungen Menschen werden verführt, das war schon immer so.“

Francis und Bobby können gar nicht verstehen, warum sich die Deutschen über ihr neues «Wir“-Gefühl so viele Gedanken machen.

«It’s fine“ («Das ist wunderbar“), antworten die zwei Engländer, die zur WM Deutschland das erste Mal besuchen. Es sei gut, dass die Deutschen endlich ein bisschen Patriotismus und Nationalstolz an den Tag legen. Für sie als Ausländer stelle das wirklich kein Problem dar - auch nicht mit Blick auf die deutsche Geschichte. «Der Zweite Weltkrieg ist doch schon lange vorbei“, sagen sie.

Immerhin befänden wir uns im Jahr 2006 — und da würde man in Deutschland von der dunklen Vergangenheit so gut wie nichts mehr merken. «Wir haben auf jeden Fall nur positive Erfahrungen gemacht“, sagen die beiden, «jeder hat uns freundlich begrüßt.“

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