Er schreibt der Toten Liebesbriefe

Prozess um Totschlag: Mutmaßlicher Täter glaubt nicht an den Tod der Freundin

13.7.2021, 13:56 Uhr
Prozess um Totschlag: Mutmaßlicher Täter glaubt nicht an den Tod der Freundin

© Sven Grundmann, News5

Sie lächelt, eine junge Frau mit halblangem, dunkelblondem Haar und braunen Augen. Im Schwurgerichtssaal wird eine Fotografie von ihr an die Wand projiziert, ihren Eltern bleiben nur Bilder wie diese. Und die Erinnerung an ihre Tochter.

Kathrin B. (Namen aller Betroffenen geändert) hatte Wirtschaftswissenschaften studiert, sich zur Fachinformatikerin ausbilden lassen und lernte an der Fernuniversität Hagen weiter. Ihr Ziel: der Master für Wirtschaftsinformatik.

Vater rettete dem Freund noch das Leben

Das Leben wird vorwärts gelebt, doch erst rückwärts verstanden - und heute erinnert sich Kathrin B.s Vater, ein Mediziner aus Erlangen, als Zeuge im Landgericht Nürnberg-Fürth an die Karrierepläne seiner Tochter. Nur wenige Meter von ihm entfernt sitzt Adil M., jener Mann, der ihm laut Anklage vor einem Jahr, am 10. Juli 2020, das geliebte Kind genommen hat. Adil M. trägt Fußfesseln, er schweigt.

Kathrin B.s Vater spricht ruhig und gefasst. "Unsere Tochter hat uns regelmäßig besucht, zweimal war auch ihr Freund dabei - und ihm habe ich sogar das Leben gerettet."

Prozess um Totschlag: Mutmaßlicher Täter glaubt nicht an den Tod der Freundin

© Sven Grundmann, News5

Adil M. litt , nur wenige Wochen vor der Tat, unter einer schweren Sepsis. Ihn plagten Fieber und Schüttelfrost, der Mediziner ließ ihn ins Krankenhaus bringen, und später, als er den Arztbrief verfasste und M.s Krankenunterlagen erhielt, wurde ihm das Ausmaß der Erkrankung des Mannes langsam klar.

Adil M. zog sich seit Monaten zurück; er scheute den Kontakt zu anderen Menschen, selbst ins Fitness-Studio ging er nur in den frühen Morgenstunden. Kathrin B.s Eltern, beide sind Ärzte, werteten dies als mögliche Anzeichen einer Depression, nicht als Zeichen einer Psychose.

Das Paar schmiedete Zukunftspläne

Vielleicht wollten sie auch zuversichtlich sein. Ihre Tochter war sichtlich verliebt, und sie hatte von gemeinsamen Zukunftsplänen berichtet.

Adil M., der zuletzt als Sicherheitskraft tätig war, wollte die Berufsoberschule besuchen und das Abitur nachholen, Kathrin B. hatte bereits Bafög für ihn beantragt, ihre Eltern werteten all dies positiv. Doch nun, als der Mediziner über seinem Arztbrief saß, erfuhr er, dass Adil M. bereits zeitweise in der Psychiatrie untergebracht war und regelmäßig Cannabis konsumierte. "Aus heutiger Sicht ist es mein Fehler, dass ich die Tragweite nicht erfasst habe."


Hilferufe rissen die Nachbarn in der Reindelstraße aus dem Tiefschlaf


Am Ende seiner Aussage bittet der Vater im Landgericht Nürnberg-Fürth darum, eine Anmerkung machen zu dürfen. Aus seiner Sicht liege der Zusammenhang von Drogenmissbrauch und Psychose auf der Hand, deshalb kritisiere er die Bemühungen mancher Gruppen, den Konsum von Cannabis zu legalisieren. Er wolle dies als Beitrag zu der öffentlichen Diskussion verstanden wissen. Und er ergänzt: Auch der Messerstecher in Würzburg habe zu Drogen gegriffen.

Auch Kathrin B.s Mutter schildert, dass sie eine Szene mit Adil M. erst aus heutiger Sicht anders deute: Im Januar 2020 sei Kathrin mit ihrem Freund bei ihren Eltern in Erlangen zu Besuch gewesen, Adil habe so heftig in seiner Tasse gerührt, dass der Kaffee überschwappte.

Ein Gespräch war kaum noch möglich

Das Gespräch habe sich eigentlich um seinen weiteren Bildungsweg gedreht, doch er verkündete plötzlich, Kathrin zu lieben, sie heiraten zu wollen. Er lese derzeit viel im Koran und überdies wünsche er sich Kinder. Kathrin versuchte, den Freund zu bremsen, doch ein echtes Gespräch, so erinnert sich die Mutter, sei damals mit ihm kaum möglich gewesen.

In der Nacht zum 10. Juli 2020 schrie Kathrin B. so laut um Hilfe, dass mehrere Nachbarn in der Reindelstraße, nahe der Bahnhofstraße gelegen, die Polizei alarmierten - schnell war klar, dass es hier nicht nur um Ruhestörung ging. Die Polizisten entdeckten Kathrin B.s Körper blutverschmiert auf dem Fußboden. Sie konnte nicht mehr gerettet werden. Adil M. klammerte sich an ihren Körper: "Ich bin ein Engel und fliege durch das Universum", soll er verkündet haben.

"Stimmen haben befohlen, sie zu töten"

Heute geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass er Kathrin B. erschlagen hat, doch dabei nicht in der Lage war, zu erkennen, was er tat, sich nicht steuern konnte.

Susanne Stübner, Leiterin der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach, hat Adil M. zweimal als Gutachterin untersucht. Sie schildert M.s Erinnerungslücken an die Tat, im Laufe der Zeit habe er sich unterschiedlich geäußert. Ihr gegenüber gab er auch an: "Stimmen haben mir befohlen, sie zu töten."

Liebesbrief mit Herzchen

Im August 2020 hatte er einen Brief an Kathrin verfasst, das Schreiben gelangte über die Briefkontrolle zu dem Gericht. Er hatte Herzchen auf das Papier gemalt und schrieb, dass er nicht glauben könne, dass sie tot ist. Wenn er all dies hinter sich habe, wolle er sie heiraten.

Das Landgericht Nürnberg-Fürth rechnet derzeit mit fünf Verhandlungstagen bis Ende Juli. Die Staatsanwaltschaft strebt in dem Sicherungsverfahren die unbefristete Unterbringung von Adil M. in der Forensik an.