Der Kornmarkt trägt Blau-Gelb

"Putin ist ein Mörder!": Tausende protestieren in Nürnberg gegen Ukraine-Krieg

Isabel Lauer

Lokalredaktion Nürnberg

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26.2.2022, 21:28 Uhr
"Stand with Ukraine!": Eine Demonstrantin auf dem Kornmarkt fordert Beistand für das Land nach der russischen Invasion.

© Stefan Hippel, NNZ "Stand with Ukraine!": Eine Demonstrantin auf dem Kornmarkt fordert Beistand für das Land nach der russischen Invasion.

"Für Sie auch eine Flagge?" Elisabeth und Jennifer ziehen eine Stoffbahn nach der anderen aus ihren Plastiktüten. "Blau oben, gelb unten", geben sie den Abnehmern mit auf den Weg. Die beiden Schwestern aus Nürnberg verschenken auf dem Kornmarkt Ukraine-Fahnen und -Bändchen, so viel sie können. Ihre Oma und die Mutter, die ein Gardinengeschäft betreibt, haben am Morgen in aller Eile Stoffe zusammengenäht. Die Mädchen, 18 und 14 Jahre alt, müssen sich um ukrainische Verwandte sorgen. "Wir beten jetzt einfach sehr viel für den Frieden", sagen sie. "Für die Ukraine genauso wie für Russland."

Den Krieg als Kind vor 80 Jahren erlebt

Irgendwas tun, nicht mit Wut und Entsetzen allein daheim bleiben, das wollen nach Polizeiangaben zwischen 3000 und 3500 Menschen am Samstagnachmittag bei der Demonstration gegen die russische Invasion in der Ukraine. Aufgerufen haben die Allianz für ein freiheitlich-demokratisches Russland und der Verein der Ukrainer in Franken. Es kommen doppelt so viele wie bei der ersten größeren Versammlung zwei Tage zuvor.

So voll ist der Kornmarkt fast nie: Nach Polizeiangaben versammelten sich am Samstagnachmittag zwischen 3000 und 3500 Teilnehmer.

So voll ist der Kornmarkt fast nie: Nach Polizeiangaben versammelten sich am Samstagnachmittag zwischen 3000 und 3500 Teilnehmer. © Roland Fengler, NNZ

Erna Schmitt zum Beispiel, 80 Jahre alt. Mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter ist sie aus Lauf nur aus einem Grund zur Demo gefahren, der zweiten ihres Lebens nach Wackersdorf: "Weil ich mit den Menschen so mitfühle." Sie war vier Jahre alt, als die Familie 1945 aus Böhmen per Viehwaggon nach Bayern fliehen musste. "Die Erinnerungen meiner Mutter an Krieg und Vertreibung waren herzzerreißend, ich kenne noch den Hunger und die Angst."

Wunsch nach Waffen

Jan David Grebe weiß auch nicht wohin mit seiner Fassungslosigkeit. "Ich fühle mich total ohnmächtig. Es tut mir mega weh und leid für die Betroffenen. Es ist das Mindeste, ihnen hier zu zeigen, dass uns nicht egal ist, was passiert." Der Student aus Stuttgart, auf Wochenendbesuch zu Gast, schreibt gerade noch drei Ausrufezeichen unter das "Stop War" auf seinem improvisierten Protest-Kartondeckel, bevor sich Umstehende seinen Filzstift borgen. Er sei aber auch wütend auf die deutsche Regierung, die der ukrainischen Armee nur Helme geliefert hat, fügt er an.

Damit ist der junge Mann nicht allein. "Wir brauchen kein Mitleid, sondern Schutzwaffen" oder "Defend Our Sky, Nato" ("Verteidigt unseren Luftraum") fordern Plakate. Das ist im Sinn von mehreren der rund 15 Rednerinnen und Redner, die gut zwei Stunden lang mehr Unterstützung für die Ukraine verlangen. Für die wiederholte Kritik an "Putin-Verstehern" in der deutschen Gesellschaft bekommen sie Beifall. Der Wunsch nach Waffen auf einer Anti-Kriegs-Demo – nicht nur dieser Gegensatz ist hier besonders, sondern auch die Dynamik des Geschehens. Schon wenige Stunden später verkünden die Nachrichten einen deutschen Kurswechsel beim Ausschluss Russlands aus dem Swift-Zahlungssystem und bei Waffenlieferungen.

Neben Franken mit Verbindungen in die Ukraine stehen auch russischstämmige Nürnberger hinter der Demo und berichten am Mikrofon, den Tränen nah, von ihrer Angst um die Leben ihrer Freunde. "Putin ist ein Mörder, ein gefährlicher Verbrecher", ruft Mitorganisatorin Elizaveta Shlosberg, selbst in Russland aufgewachsen. "Aber Putin ist nicht Russland! Es gibt ein anderes Russland." Immer wieder erklingt der Sprechchor "Putin Huylo", der den russischen Präsidenten mit einem groben Schimpfwort verflucht. Poster zeigen Putin mit Hitler-Bart oder Stalin-Frisur. Demonstranten haben aber auch Friedenszeichen und Herzchen dabei.

"Gerhard Schröder aus der SPD werfen"

Wer meine, die Solidarität auf der Straße bringe nichts, irre, sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete Verena Osgyan auf dem Podium. "Die meisten Menschen in Russland wollen keinen Krieg. Wir müssen auch für sie zusammenstehen, weil sie nicht frei demonstrieren können." Osgyan spricht sich zu diesem Zeitpunkt noch für ausschließlich nichtmilitärische Reaktionen gegen Russland aus. SPD-Stadtrat Michael Ziegler fordert auf der Bühne ein Parteiausschlussverfahren gegen den früheren SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder. "Ich schäme mich für ihn. Dieser Mann hat seine Seele verkauft." CSU-Politiker treten an dem Nachmittag nicht auf.

Oberbürgermeister Marcus König (CSU) hatte an einer Kundgebung am Donnerstag teilgenommen und auf Facebook geschrieben: "Es ist wichtig, dass wir unsere Solidarität zeigen, dass wir öffentlich machen, dass wir gegen diesen Krieg und gegen die Völkerrechtsverletzung durch Präsident Putin sind."

Dafür tritt Nürnbergs Alt-Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) mit einem kurzen Beitrag in Erscheinung. Es lohne sich, für die Hoffnung zu kämpfen, "dass dieser Wahnsinn beendet werden kann", sagt er. Maly zitiert den regimekritischen russischen Schriftsteller Wladimir Sorokin, der soeben in einem deutschen Zeitungsbeitrag den "Putinismus" totsagte. Dieser sei "geliefert, weil die Welt der Freiheit und Demokratie größer ist als seine finstere verdrossene Butze".

Volle Lorenzkirche

In St. Lorenz versammeln sich im Anschluss rund 200 Menschen zu einem deutsch-ukrainisch-russischen Friedensgebet. "Vielleicht hilft jetzt wirklich nur noch beten", sagt die evangelische Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern. Das sei aber gar nicht so wenig. "Wenn wir beten, verbinden wir uns miteinander. Und wir sind viele." Sabine Arnold, die bei der SinN-Stiftung in Nürnberg Menschen aus der früheren Sowjetunion betreut, berichtet in der voll besetzten Kirche, von welchen Verzweiflungsmomenten ihr Augenzeugen in der Ukraine am Telefon erzählen.

Mit Sprüchen wie "Puck Futin" oder "Putin = Killer" verschafften die Demonstranten ihrem Zorn über den russischen Präsidenten Luft.

Mit Sprüchen wie "Puck Futin" oder "Putin = Killer" verschafften die Demonstranten ihrem Zorn über den russischen Präsidenten Luft. © Stefan Hippel

Materialspenden gesucht

Veranstalterinnen der Demonstration beginnen derweil mit einer Hilfsaktion. Am Nürnberger Hallplatz 15-19, in den Räumen der FDP, könnten Bürger ab sofort Materialspenden abgeben, die dann über ein Netzwerk der Vereine Bamberg UA, Allianz für ein freiheitlich-demokratisches Russland und "Ost Anders" an die polnisch-ukrainische Grenze gebracht würden, kündigt Organisatorin Tanja Ehrlein an. "Wir brauchen eigentlich alles." Decken, robuste Stiefel, Fleece- und Regenjacken, Medikamente und medizinisches Material könnten genauso Verwendung finden wie Powerbanks, Batterien, Taschenlampen, Lebensmittelkonserven, Müsliriegel und Wasser. Die Annahmestelle soll vorerst bis 6. März samstags und sonntags von 15 bis 19 Uhr, montags bis freitags von 16 bis 20 Uhr geöffnet sein. Auch eine gut erreichbare Lagerhalle in der Stadt suchen die Helfer kurzfristig. Zum Kontakt geht es hier oder hier.

Beim Friedensgebet nach der Demonstration mit Fürbitten auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch war die Lorenzkirche voll besetzt.

Beim Friedensgebet nach der Demonstration mit Fürbitten auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch war die Lorenzkirche voll besetzt. © Roland Fengler

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