Quidditch in Nürnberg: Die Erben Harry Potters

26.2.2020, 05:39 Uhr
Quidditch in Nürnberg: Die Erben Harry Potters

© Foto: Eduard Weigert

Wer an die Zaubereischule nach Hogwarts will, muss an diesem Nachmittag durch keine Wand rennen. Auch nach Gleis Neundreiviertel muss niemand suchen, die Erben Harry Potters haben sich nicht versteckt. Auf dem ehemaligen Sportplatz der DJK Bayern am Pegnitzgrund sitzen sie in kleinen Gruppen auf dem inzwischen etwas löchrigen Rasen, immer wieder schauen ein paar Spaziergänger vorbei. Aus ihren Blicken, einer Mischung aus Neugier und Verwunderung, lässt sich vor allem eine Frage ablesen: Was machen die hier eigentlich?

Wer das wissen will, fragt am besten bei Andreas Knecht nach. Der 26-Jährige studiert in Bamberg Pädagogik und Soziologie – und er ist der Trainer der Spielgemeinschaft aus Nürnberg, Bamberg und Eichstätt. In ein paar Minuten wird seine Mannschaft gegen Passau Quidditch spielen, ein paar Meter weiter wedelt ein gutes Dutzend junger Menschen schon wild mit den Armen, nur das mit dem Fliegen scheint einfach nicht zu klappen.

In den Büchern und Filmen von Joanne K. Rowling spielt Quidditch als Sport an der Zaubereischule von Hogwarts eine große Rolle, der junge Harry Potter schreibt in den Romanen Geschichte, weil er als Erstklässler bereits für die Mannschaft von Gryffindor spielen darf. Doch die einzig sichtbaren Spuren, die hier, im Nürnberger Pegnitzgrund, zu Harry Potter führen, sind ein rot-gelber Schal Gryffindors um den Hals einer Zuschauerin und ein grauer Hogwarts-Pullover. Ansonsten könnten sich die Menschen nebenan auch auf Handball oder Rugby vorbereiten.

Warum also Quidditch? Andreas Knecht muss nicht lange überlegen, "die Spieldynamik ist einzigartig", sagt er, "und es ist eine ganz besondere Mischung aus Laufsport und Vollkontakt." Man muss also als Kind nicht alle Harry-Potter-Bände verschlungen haben, um im Jahr 2020 Quidditch zu spielen, dafür hat sich der Sport mittlerweile auch viel zu sehr emanzipiert von seinem fiktiven Vorbild in Hogwarts.

Sport neben dem Mainstream mit Stäben statt Besen

Allein schon, weil vieles, was Zauberer können, für Muggel, also Menschen ohne Zaubereifähigkeiten, einfach nicht möglich ist. Harry Potter fliegt zum Beispiel beim Quidditch auf einem Besen durch die Luft, "das ist rein physikalisch nur schwer möglich", sagt Knecht ohne einen Anflug von Ironie, "die Spieler haben dafür Stäbe zwischen den Beinen."

Wie das aussieht, zeigt sich ein paar Minuten später, als Andreas Knecht an der Seitenlinie steht und seine Spieler auf dem Platz herumrennen. Wer alles, was sie dort machen, verstehen will, braucht ein paar Minuten. Und muss sich hineinversetzen in die Welt von Harry Potter und seinen Freunden. Dorthin, wo alles ein bisschen anders läuft als in der Realität. Wer sich auf die Reise in die eigene Vergangenheit begibt, versteht mit jedem Spielzug mehr, was hier eigentlich passiert. Und er stellt sich nicht mehr diese eine Frage: Was machen die hier eigentlich?

Quidditch in Nürnberg: Die Erben Harry Potters

© Foto: Eduard Weigert

Trotzdem sieht reales Quidditch ein bisschen gewöhnungsbedürftig aus. Die einen rennen mit einem Leerrohr zwischen den Beinen über den Platz, die anderen werfen mit Bällen, um anderen die Bälle aus der Hand zu werfen. Die Szenerie wirkt wie eine große Klassenfahrt, wie ein riesiges Völkerballspiel damals, in der miefigen Turnhalle, nachdem die Barren und Recks abgebaut waren und der schöne Teil des Sportunterrichts begann. Die einen imitieren den Klatscher, der in der Fiktion hinter den Spielern herfliegt, um sie vom Besen zu werfen, die anderen versuchen, den Quaffel, also den Spielball, in einen der Ringe der gegnerischen Mannschaft werfen.

Nochmal: Warum also Quidditch? "Der Hype an Trendsportarten hält an, es gibt ein Interesse für Sportarten außerhalb des Mainstreams", sagt Trainer Knecht, "dazu kommt ein gesteigertes Bewusstsein für eine gesunde Lebensweise." Er selbst ist durch einen Tutor an der Uni in Bamberg auf den Sport aufmerksam geworden, überhaupt ist Quidditch bislang sehr studentisch geprägt. Inzwischen gibt es Verbände, im vergangenen Jahr sogar eine EM in Bamberg, bei der Deutschland Vierter wurde. Und eine Bayernliga, an der die fränkisch-oberbayerische Spielgemeinschaft erstmals teilnimmt.

In dieser Bayernliga führt Passau deutlich, als nach einer guten Viertelstunde der goldene Schnatz ins Spiel kommt. Der kann natürlich auch nicht fliegen und ständig seine Richtung wechseln wie in den Romanen. Stattdessen baumelt ein Tennisball an der Hose eines menschgewordenen Schnatz‘. Der darf sich mit allem gegen die Sucher verteidigen, es sieht dann tatsächlich aus wie beim Rugby. Oder: So, als würde jemand versuchen, durch die Wand auf Gleis Neundreiviertel zu kommen. 

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