Rosa steht Jungen gut und Blau auch Mädchen

8.3.2019, 08:00 Uhr
"Aquaman" Jason Momoa kam im rosa Anzug zur Oscarverleihung Ende Februar. Charlize Theron schritt im hellblauen Kleid über den roten Teppich.

© Frazer Harrison/afp - Montage: nordbayern "Aquaman" Jason Momoa kam im rosa Anzug zur Oscarverleihung Ende Februar. Charlize Theron schritt im hellblauen Kleid über den roten Teppich.

Rosa Wände, rosa Bettwäsche und ein rosa Teppich. Im Schrank hängen rosafarbene Kleider. Auf dem Boden stehen eine rosa Puppenküche, ein Barbiepferd und ein Glitzer-Plüsch-Einhorn. Hannas Kinderzimmer scheint ein wahr gewordener Mädchentraum zu sein. Bei ihrem Bruder sind Wände, Bettwäsche und Teppich blau. Darauf stehen Bausteine, eine Eisenbahn und ein elektrischer Kran. "So ist das eben", sagt ihre Mutter.

Wie soll es auch anders sein. In Spielzeugkatalogen und Kaufhäusern lernen Kinder schnell, was zu ihnen gehört. Die Jungen spielen mit Werkzeug und Autos, die Mädchen mit Puppen und Reiterhof. Auf rosa Shirts steht "Kleine Prinzessin", auf blauen "Superheld".

"Das ist eine gefährliche Geschichte", sagt Klaudia Kramer. Die Psychologin erforscht, wie Mädchen und Jungen von klein auf Interessen entwickeln. "Durch solche Zuschreibungen schränken wir Kinder in ihren Entwicklungsmöglichkeiten ein."

Jungs, die zur Puppe greifen, bekommen zu hören: "Das ist nichts für dich". In den rosa Regalen der Spielwarenabteilung finden Mädchen keine ferngesteuerten Autos. Wer nicht ist, wie er vermeintlich zu sein hat, bekommt das Gefühl vermittelt, nicht ins Konzept zu passen. "Im Laufe unserer Kindheit erwerben wir ein bestimmtes Wissen über Geschlechterrollen", erklärt Kramer. Sie arbeitet am Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie an der Universität Erlangen-Nürnberg und unterrichtet die Pädagogen von morgen.

Schemata wichtig für das Gehirn

Mit etwa eineinhalb Jahren erkennen sich Kinder selbst im Spiegel und entwickeln auch ein Bewusstsein dafür, dass sie ein Mädchen oder ein Junge sind. "Unsere Entwicklung ist immer ein Zusammenspiel aus Anlage und Umwelt", sagt die Psychologin. Erbgut und Erziehung wirken unterschiedlich stark. Durch ihr Umfeld lernen Kinder: Wie verhält sich ein typisches Mädchen? Wie verhält sich ein typischer Junge? "Solche Schemata sind für unser Gehirn auch wichtig, damit wir Dinge schnell einordnen können." Jeder hat ebenso ein Bild von einem typischen Vogel oder einem Haus im Kopf. Trotzdem gibt es bei genauerem Hinsehen hunderte verschiedene Versionen. "Wir müssen dringend weggehen von der Gruppenbetrachtung der Jungen und Mädchen und uns das einzelne Kind stärker anschauen."

Jahrhundertelang haben alle Babys sowieso weiße Kleidung getragen. Die ungefärbte Baumwolle ließ sich heiß waschen, ohne auszufärben. Es gibt ein berühmtes Bild von US-Präsident Franklin D. Roosevelt aus dem Jahr 1884. Darauf trägt der damals Zweijährige ein weißes Rüschenkleid, weiße Socken und schwarze Lacksandalen. Seine blonden Locken fallen ihm über die Schultern. Roosevelt sieht aus wie ein Mädchen würden die Leute heute sagen. Doch das Phänomen, dass Jungen und Mädchen beim ersten Blick in den Kinderwagen zu unterscheiden sein sollen, ist noch ganz jung.

Erst der technische Fortschritt hat es gegen Ende des 19. Jahrhunderts möglich gemacht, Kleidung massenhaft zu färben. Pastelltöne sind zu dieser Zeit beliebt: Jungen werden rosa gekleidet und Mädchen in Hellblau. Das amerikanische Frauenmagazin "Ladies Home Journal" schreibt im Jahr 1918: "Der Grund dafür ist, dass Rosa als entschlossenere und kräftigere Farbe besser zu Jungen passt, während Blau, weil es delikater und anmutiger ist, bei Mädchen hübscher aussieht." Von Prinzessin Astrid von Schweden, die 1927 schwanger war, ist überliefert: Sie lasse ihre Wiege in der Jungenfarbe Rosa dekorieren, weil sie sicher sei, einen Prinzen zu erwarten. Sie gebar eine Tochter.

Rot wie Blut, Blau steht für Ruhe

Könige tragen Purpurmäntel als Zeichen ihrer Macht. Rot gilt als starke, aggressive Farbe. Rot wie Blut. Rosa, als abgeschwächtes Rot, ist daher für Jungen bestimmt. Der Farbe Blau wird dagegen eine beruhigende Wirkung zugeschrieben, die Ruhe und Harmonie ausstrahlt. Blau wie das Meer und der Himmel. Maria, die Mutter Gottes, wird im blauen Mantel dargestellt. Also ist Hellblau, das kleine Blau, die Mädchenfarbe.

Die Zuschreibung ändert sich erst in den 1940er Jahren. Eine Theorie geht davon aus, dass die Uniformen der Matrosen "abfärbten". Kleine Jungs werden fortan gerne in blaue Matrosenanzüge gesteckt. Auch Blue Jeans kommen in Mode. Die Goldgräber und Cowboys, die sie in den USA als Erste tragen, gelten als Inbegriff der Männlichkeit.

Andere Quellen vermuten, dass auch die Nationalsozialisten ihren Teil beigetragen haben. Männer, die unter dem Verdacht der Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt werden, müssen einen "Rosa Winkel", ähnlich dem Judenstern, tragen. Spätestens als die erste Barbie-Puppe 1959 in pinker Verpackung auf den Markt kommt, ist Rosa als Mädchenfarbe zementiert.

"Die Zuschreibung von Rosa und Blau für ein bestimmtes Geschlecht ist etwas absolut Willkürliches", sagt Kramer. "Das kann man klar aus der bisherigen Forschung ableiten." Dass heutzutage viele Mädchen Rosa als Lieblingsfarbe angeben und Jungen Blau, ist keine Veranlagung, sondern Sozialisation. "Kinder wollen dazugehören", sagt die Psychologin. Seit jeher ist es ein Vorteil, in der Evolution von einer Gruppe akzeptiert zu sein und so beschützt zu werden. "Zugehörigkeit ist eine der großen Motivationen, die unser Handeln bestimmen."

Wenn alle Jungs Fußball spielen, ist es leichter mitzumachen, als zum Ballett zu gehen. "Natürlich gibt es Mädchen, die sich von Anfang an mehr für Technik als für Puppen interessieren, aber sie haben es aufgrund ihres Umfelds schwerer, ihre eigentlichen Präferenzen durchzusetzen."

In der Schule Stereotype hinterfragen

Nur wer darin ermutigt wird, das zu tun, was ihm Spaß macht, traut sich auch selbst mehr zu. Wer Spaß hat, beschäftigt sich mehr mit einer Tätigkeit, übt und wird besser. "Unser Gehirn verstärkt nun mal die Synapsen, die angesprochen werden." Mädchen, die hören, dass sie schlecht in Mathe sind, glauben das und werden wirklich schlechter, obwohl sie besser sein könnten.

Jungen, denen eine Puppe weggenommen wird, werden später kaum Grundschullehrer. Dabei bräuchte die Gesellschaft dringend mehr Frauen in Ingenieurswissenschaften und mehr Männer in sozialen Berufen. "Sie wären wichtige Vorbilder für die nächste Generation – außerdem geht es in Zeiten des Fachkräftemangels auch gar nicht mehr anders", sagt Barbara Kappes. Sie ist Professorin für Medizinische Biotechnologie und seit Dezember Frauenbeauftragte der Technischen Fakultät in Erlangen. Nur 23 Prozent der Studierenden hier sind weiblich. "Ich würde mir ein Verhältnis von 50 zu 50 wünschen, aber das ist utopisch für die nächsten Jahre." Universitäten investieren viel Zeit und Geld, um mehr Frauen in technische und Männer in soziale Studiengänge zu locken. Es gibt Girls- und Boys-Days, ein Mädchen- und Technik-Praktikum, Forscherinnen-Camps.

"Aber wenn Rollen schon im Kindergartenalter festgelegt werden, ist es schwer, sie später wieder aufzubrechen – gerade in der Pubertät", sagt Kramer. In diesem Alter geht es nicht mehr nur darum, der eigenen Gruppe zu gefallen, sondern plötzlich auch dem anderen Geschlecht. "Dann ist es Zeit, in der Schule und zu Hause Stereotype zu hinterfragen", sagt die Psychologin. "Das ist mühsam, aber es führt kein Weg daran vorbei."

Wer sich gegen seine eigentlichen Neigungen stemmt, wird später im Beruf nicht glücklich. "Langfristig kann das psychische Konsequenzen haben", warnt Kramer. "Deshalb ist es für junge Menschen so wichtig, ihre eigenen Interessen finden zu können und diese auch angstfrei weiterverfolgen und entfalten zu dürfen."

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