Schläge, Tritte, Psychoterror: Wenn Frauen ihre Partner quälen

10.3.2021, 15:16 Uhr
Nicht immer sind Männer die Täter - auch Frauen sind Täter häuslicher Gewalt. Auch wenn dies noch immer ein Tabu ist.

© Angelika Warmuth, dpa Nicht immer sind Männer die Täter - auch Frauen sind Täter häuslicher Gewalt. Auch wenn dies noch immer ein Tabu ist.

Opfer von Partnerschaftsgewalt sind zu über 81 Prozent Frauen. Das zeigt die aktuelle Kriminalstatistische Auswertung zur Partnerschaftsgewalt des Bundeskriminalamtes (BKA). Demnach wurden 2019 insgesamt 141792 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt. Knapp 115000 Opfer waren weiblich.

Das heißt zwar, dass Frauen deutlich häufiger Opfer von häuslicher Gewalt werden, aber auch, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt, wenn Männer von ihren Partnerinnen gequält werden – ob nun psychisch, körperlich oder eben beides. Allein bei Stalking und Bedrohung in der Partnerschaft waren laut Statistik in elf Prozent der Fälle Männer die Opfer.

Gewalt gegen Männer: Hohe Dunkelziffer

„Das große Problem ist, dass nur die Fälle in der Kriminalstatistik auftauchen, die auch aktenkundig wurden. Die Realität spiegeln diese Zahlen nicht wieder“, sagt Angela Geißler von der „Gewaltberatung Nürnberg“. Einem Verein, der Täter und ihre Opfer begleitet und versucht, ihnen zu helfen. Experten gehen grundsätzlich von einem erheblichen Dunkelfeld aus, wie auch BKA-Präsident Holger Münch bei der Vorstellung der Statistik warnte.

Angela Geißler ist nicht nur Beraterin, sie hat sich mit dem Thema auch wissenschaftlich beschäftigt.

Angela Geißler ist nicht nur Beraterin, sie hat sich mit dem Thema auch wissenschaftlich beschäftigt. © e-arc-tmp-20210303_100439-1.jpg, NNZ

Valide Zahlen zu weiblichen Tätern in Paarbeziehungen gibt es nicht. Eine Pilotstudie im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zu allgemeinen Gewalterfahrungen von Männern aus dem Jahr 2005 kam zu dem Schluss, dass jeder vierte Mann mindestens einmal körperliche Gewalt durch seine Partnerin erlebt hat. Zwar waren nur 266 Männer interviewt worden, doch die Umfrage gilt als repräsentativ.

Ein Tabuthema

Frauen als Täterinnen, Männer als Opfer sind bis heute noch immer ein Tabuthema. Während sich die Forschung, wie etwa in den USA, Canada oder Portugal, bereits intensiv durch Studien damit beschäftigt hat, steckt das Thema in Deutschland vergleichsweise in den Kinderschuhen. Zudem hat im öffentlichen Bewusstsein noch kein Umdenken stattgefunden.

„Das Problem ist unter anderem, dass Gewalt anders wahrgenommen wird. Bei Frauen wird sie häufig bagatellisiert“, sagt Sozialarbeiterin Angela Geißler. Spioniert ein Mann das Handy seiner Partnerin aus, verbietet ihr, sich mit Freundinnen zu treffen oder versucht sie bewusst von der Familie zu isolieren, spricht man von einer Form häuslicher Gewalt. „Wenn eine Frau so handelt, heißt es, dass sie eben die Hosen in der Beziehung anhat“, so Angela Geißler weiter.


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Zudem würden manche Opfer die Gewalt gar nicht als solche wahrnehmen. Also gelangen noch weniger Taten hinter der geschlossenen Wohnungstür ans Tageslicht als ohnehin schon. Auch Scham spielt eine große Rolle. Welcher Mann gibt gerne zu, dass er zuhause geschlagen wird oder vergewaltigt - denn auch das gehört zur Erlebniswelt manchen Mannes, wie die aktuelle Kriminalitätsstatistik ebenfalls zeigt.

Hohe Nachfrage

Das Thema bleibt virulent: Auch deshalb wurde aus dem 2003 gegründeten Verein „Männer gegen Männergewalt Nürnberg“ zehn Jahre später die „Gewaltberatung Nürnberg“. „Wir haben irgendwann festgestellt, dass die Nachfrage auch unter männlichen Opfern steigt“, wie der Leiter Peter Grundler sagt.


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Bleiben die Frauen, die ihre Aggressions- oder Gewaltprobleme alleine nicht in den Griff bekommen. Speziell für sie ist Angela Geißler Ansprechpartnerin. Obwohl es dieses Angebot erst seit Januar gibt und nicht beworben wurde, ist die Resonanz groß. „Vielleicht ist es für Frauen einfach leichter, sich einer Frau anzuvertrauen“, sagt Angela Geissler, die sich mit der Thematik nicht nur in der Praxis beschäftigt, sondern auch ihre Masterarbeit mit dem Titel „Vom Wegschauen zum Hinschauen – Häusliche Gewalt von Frauen in intimen Paarbeziehungen“ geschrieben hat.

Andere Formen

Wie auch bei gewalttätigen Männern, ist die Problematik kein Phänomen einer besonderen Gruppe. „Es trifft alle Schichten, jeden Bildungsstand und jedes Alter.“ Die Gründe sind so vielschichtig, wie bei Männern. Die Form der Gewalt ist aber eine andere, wie portugiesische Psychologinnen herausgefunden haben. Die häufigste Variante ist psychologische Gewalt, wie etwa Beleidigungen, Erniedrigungen, Kontrollen, Verbote, Drohungen und Erpressungen. Viele Männer wehren sich nicht dagegen, sondern ertragen sie stillschweigend. Wenn Männer sich wehren, dann eher körperlich.


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Die zweithäufigste Variante bei Frauen ist körperliche Gewalt. Auch Frauen schlagen zu, sie beißen, kratzen, reißen an den Haaren oder treten. Doch das kommt der Untersuchung zufolge relativ selten vor. Wesentlich häufiger benutzen sie Gegenstände. Die dritte Variante ist sexuelle Gewalt.

Die Frauen, die Angela Geißler kennenlernt, eint alle eines: „Sie übernehmen Verantwortung, bereuen ihre Taten, schämen sich, sonst würden sie sich nicht Hilfe suchen“, davon ist sie überzeugt. Gemeinsam mit den Frauen versuche sie, alternative Handlungsstrategien zu entwickeln. Doch Hilfsangebote wie diese sind, wie auch für gewalttätige Männer, nicht weit gestreut.

Zu wenig Hilfe

In Nürnberg richtet sich neben der Gewaltberatung unter anderem auch die Stadtmission gemeinsam mit Treffpunkt e.V. mit ihrer „Respekt!“-Fachstelle an Männer und Frauen, die gegenüber ihrem (Ex-) Partner gewalttätig geworden sind. Doch es herrscht großer Nachholbedarf, wie die „Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit häusliche Gewalt“ mahnt und den flächendeckenden Ausbau der Arbeit mit den Tätern fordert. Denn egal, ob nun Frauen oder Männer die Täter sind. Die Arbeit mit ihnen bedeutet am Ende auch Opferschutz.


info@gewaltberatung-nuernberg.de
www.gewaltberatung-nuernberg.de

Respekt! Fachstelle Mittelfranken:
www.treffpunkt-nbg.de

Anlaufstelle für betroffene Männer:
www.iska-nuernberg.de/bhgm

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