Schulverweigerer ruinieren sich die Zukunft

29.6.2016, 21:29 Uhr
Schulverweigerer ruinieren sich die Zukunft

© dpa

Manchmal muss die Polizei hartnäckig klingeln. Wenn die ganze Familie noch schläft und sich niemand dafür zuständig fühlt, das Kind in die Schule zu schicken. Manchmal auch glauben Eltern, ihr Nachwuchs befinde sich längst im Unterricht. Dabei drückt er sich in der Stadt herum. Wenn dann Beamte in Zivil oder Uniform vor der Haustür stehen, um das Kind abzuholen und in die Schule zu bringen, ist die Ratlosigkeit groß.

Mit etwa 80 Teilnehmern hat die Landeszentrale für Gesundheit in Bayern gerechnet, die die Tagung organisiert hat. Gekommen sind 180: Ärzte, Therapeuten, Schulpsychologen, Sozialpädagogen, Lehrer, Vertreter von Jugendämtern und Beratungsstellen. Der Andrang beweist die Brisanz des Themas. Denn darin sind sich alle einig: Wenn Kinder nicht mehr zur Schule gehen, ist ihr Weg ins Abseits vorgezeichnet. Kein Abschluss, keine Ausbildung, keine Arbeit, ein Leben am Rande der Gesellschaft.

Es ist freilich nicht immer Unlust, die Kinder zu Schulverweigerern macht. Häufig sind emotionale und psychische Probleme die Ursachen: die Angst vor dem Versagen, vor Ausgrenzung und Ablehnung. Am Klinikum Nürnberg gibt es in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eine Ambulanz für „Schulabsentismus“. Oft äußerten sich Schwierigkeiten in Phasen des Übergangs, sagt der Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Sven Lienert. Etwa wenn der Wechsel vom Kindergarten in die Schule oder von der Grund- in eine weiterführende Schule ansteht. Betroffen seien alle Schichten und Schulformen. „Es zeigt sich eine etwas höhere Rate in sozial benachteiligten Familien. Aber auch sehr gut gestellte sind betroffen. Dort herrscht häufig die Tendenz, die Probleme zu bagatellisieren.“

Schätzungen gehen davon aus, dass 500.000 Schüler in Deutschland regelmäßig vom Unterricht fernbleiben. In Nürnberg gibt nur die Zahl der Bußgeldbescheide einen Überblick über Schulschwänzer – 656 wurden im vergangenen Jahr erwischt. Eine statistische Erfassung der „Schulverweigerer“ generell gibt es nicht.

Angst vor Trennungen

Dr. Eveline Kraus-Kinsky vom jugendärztlichen Dienst der Stadt Fürth kennt die unterschiedlichsten Fälle aus ihrer täglichen Arbeit. Da war zum Beispiel der Junge, der unter einer Phobie litt, unter Trennungsangst. Das Kind hatte einen Elternteil verloren und fürchtete, dass auch der andere stirbt, während es im Unterricht sitzt. Ein anderes Kind hatte zwei Jahre lang nicht mehr die Schule besucht. „Die Eltern hatten die Ärzte in ganz Fürth abgeklappert und immer wieder Atteste geholt“, erzählt Kraus-Kinsky. Das gibt es eben auch: Dass Eltern ihre Kinder nicht gehen lassen. Weil sie aus einem Land ohne Schulpflicht kommen. Weil die Kinder daheim Aufgaben übernehmen müssen, für die sie eigentlich nicht zuständig sind: etwa einen kranken Angehörigen pflegen.

Andere Eltern wieder unterstützen aus lauter Überfürsorge ihr Kind beim Schwänzen und verstärken damit dessen soziale Phobie. Und manche zahlen einfach immer wieder die Bußgelder, weil sie mit ihren Kindern nicht mehr klarkommen.

Ganz wichtig sei, sagt Agnes Mehl von der Erziehungsberatungsstelle der Stadt Fürth, so früh wie möglich aktiv zu werden. „Je länger dieser Zustand anhält, desto schwieriger wird es, ihn zu beenden.“ Manchmal reicht eine ambulante Therapie, um die Probleme der Kinder in den Griff zu bekommen, manche Schüler brauchen einen Klinikaufenthalt. „Leichter ist es auf jeden Fall zu helfen, wenn die Betroffenen wirklich einen Abschluss machen wollen“, sagt Agnes Mehl. „Wenn sich jemand schon komplett von der Schule verabschiedet hat, ist es schwer, etwas zu ändern. Und auch dann, wenn die Eltern nicht mitmachen.“

In Nürnberg wurde vor 18 Jahren das Modell PJS eingeführt: Polizei, Jugendhilfe und Schule kümmern sich gemeinsam um Kinder und Jugendliche mit Problemen, darunter auch Schulverweigerer. Die Zusammenarbeit sei wichtig und funktioniere sehr gut, sagt Gerda Steinkirchner vom Jugendamt. Solche Methoden wie eingangs beschrieben würden übrigens nur bei Dauerschwänzern angewandt, stellt Christiane Weeger vom Polizeipräsidium Mittelfranken klar. Ins Auto gezerrt werde auch niemand. Und Gerda Steinkirchner weist schließlich noch einmal ausdrücklich darauf hin, wie wichtig es ist, den jungen Leuten zu helfen. „Schulschwänzen birgt ein hohes Risiko. Im schlimmsten Fall steht am Ende eine kriminelle Karriere.“

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