Senioren-Meisterschaften: Wo Tennis noch Tennis ist

16.11.2013, 17:00 Uhr
"Mitspielen? Bestimmt nicht!" Auch hinter den Fangnetzen stehen und sitzen Tennis-Spieler — teilnehmen wollen längst nicht mehr alle.

© Eduard Weigert "Mitspielen? Bestimmt nicht!" Auch hinter den Fangnetzen stehen und sitzen Tennis-Spieler — teilnehmen wollen längst nicht mehr alle.

Früher, da hatten sie ein Bügelbrett und eine Schachtel Reißnägel, erzählt Günter Steinmüller. Und handgeschriebene Spielpläne, Dutzende Seiten voll. Die haben sie ausgebreitet, auf dem Bügelbrett. Und mit den Reißnägeln nach und nach markiert, wen sie bereits eingeteilt hatten."Eine Heidenarbeit“, sagt Steinmüller. Als der Turnierplan irgendwann fertig war, richteten sie einen Telefondienst ein. „Die 350 Spieler wollten ja wissen, wann sie genau aufschlagen müssen.“ Acht Tage Arbeit waren das, ein Tennisturnier zu organisieren. „Und dann“, sagt Günter Steinmüller, „hat am Ende trotzdem immer irgendetwas nicht gestimmt.“

Seit 33 Jahren organisiert der Nürnberger bereits die Bayerischen Meisterschaften im Tennis. Damen, Herren, Seniorinnen, Senioren. Im Sommer auf Sand, mal in Nord- und mal in Südbayern. Im Winter auf Teppich, immer in Nürnberg. "Das Tennis Center Noris“, sagt er, "ist prädestiniert für diese großen Turniere“; der Belag sei gut in Schuss, es gibt 16 Plätze. Und, für die Seniorenmeisterschaften wie an diesem Wochenende besonders wichtig: „Die Bälle werden nicht ganz so schnell.“

"Früher hat es ausgereicht zu laufen"

Für Günther Ströber ist das einer der Gründe, warum er überhaupt noch Tennis spielt. Ströber, viel Parfüm, Lederjacke, die grauen Haare zum Zopf geflochten, feiert heuer seinen 83. Geburtstag. Hätte er 63. gesagt, man hätte es ihm sofort geglaubt. "Früher“, sagt Ströber, "hat es ausgereicht zu laufen.“ Vor ans Netz, zurück an die Grundlinie, links, rechts.

Und immer schlagen, schön gerade, wie an der Schnur gezogen. Ströber geht zwei Schritte zurück, holt aus und macht es vor. Leicht in die Knie gebeugt, zieht er mit seinem Arm langsam eine Kreisbewegung durch die Luft. "Je älter man wird“, sagt er, "desto besser musst du den Ball treffen. Damit du nicht mehr laufen musst.“

Ströber ist als Zuschauer da. Mit einer Gruppe älterer Männer hat er sich in den dunklen Gang, der die Plätze verbindet, hinter ein Fangnetz gestellt. „Mitspielen?“, fragt er und zieht die Augenbrauen hoch. „Bestimmt nicht.“ 30 Jahre sind die Jüngsten gerade einmal alt, bis Altersklasse 70 reicht der Spielplan. Altersklasse 75, sagt er, würde er sich gerade noch zutrauen. „Fünf Jahre sind in meinem Alter ein großer Unterschied. Zehn Jahre sind Welten.“

Tennis, sagt Günter Steinmüller, hat sich verändert. Als er, Jahrgang 1939, mit 22 Jahren von der Universität zu Siemens und vom Badminton zum Tennis wechselte, lernte er den Sport mit einem Holzschläger von Dunlop. Er spricht das so, wie man es schreibt. „Heute fangen die Kinder mit fünf an, haben Hightech-Schläger, machen Konditionstraining“, sagt Steinmüller, "wir haben damals einfach nur Tennis gespielt.“

Die Schlaghärte nimmt zu

Günther Ströber nickt. Er war in seiner Jugend ein guter Tischtennisspieler. "Als das mit dem Topspin anfing“, sagt er, "hat das den Sport revolutioniert.“ Ähnlich war das beim Tennis. Heute wischen die Jugendlichen so über den Ball, sagt er, und macht es wieder vor. Die Flugbahn lässt sich schwer berechnen, die Schlaghärte nimmt zu. "So schnell kann von uns niemand mehr reagieren. Und dann ist das Feld zu groß.“ Gegen Jüngere spiele er daher, wenn überhaupt, nur noch im Doppel. „Mit einem, der gut laufen kann. Dann überstehen wir vielleicht den ersten Satz.“

Siegreich überstehen muss man bei den Bayerischen Seniorenmeisterschaften zwei Gewinnsätze. Nur dann kommt man in die nächste Runde. Wenig Probleme damit hat Erhard Windisch in der Altersklasse 70. Jahrzehntelang spielte der drahtige Senior beim 1. FC Nürnberg, stets hochklassig. In der deutschen Rangliste steht er auf Platz eins, sogar einen Tennisclub hat er einst gegründet, den TC Windisch. „Der Erhard“, sagt Vereinskollege Ströber und guckt zu ihm rüber auf Platz zwei, „spielt schon verdammt gutes Tennis.“

Windisch, ganz in Weiß, mit wenigen, sehr kurzen weißen Haaren, ist immer noch Tennislehrer. Sein Gegner in Runde zwei, gegen den er gerade aufschlägt, „heißt Uwe Engel und ist Rentner“, sagt Ströber. Er tue ihm ein wenig leid. „In Runde zwei den Windisch, das ist schon bitter.“ Engel, die weißen Socken fast bis zum Knie gezogen, schwarze Dreiviertelhose, grauer Schnauzer und Haarkranz, schlägt sich wacker. Er wird trotzdem in die Trostrunde der Verlierer müssen.

Nur zwei telefonische Anmeldungen

360 Teilnehmer hatten sich im Internet für das Turnier angemeldet, nur zwei, darauf legt Steinmüller wert, haben das telefonisch gemacht. „Wo man doch sagt, wir Rentner können das nicht mit dem Internet.“

Trotzdem konnte er nur 307 annehmen, 50 sind auf die Warteliste gewandert. Damit es keinen Ärger gibt, geht es streng nach Rangliste. Samstag und Sonntag wird gespielt, von früh um neun bis spät in die Nacht. „Anders“, sagt der Turnierdirektor, „kriegen wir den Spielplan gar nicht durch.“ Und das, obwohl sich eine Handvoll Spieler gar nicht angemeldet hat, weil es heuer erstmals kein Preisgeld gibt; 100 Euro für die Sieger, die sich der Verband sparen will, 2000 Euro insgesamt.

Senioren-Meisterschaften: Wo Tennis noch Tennis ist

Steinmüller, seit dem Ausscheiden von Peter von Pierer zum Bezirksvorsitzenden des Bayerischen Tennisverbands aufgerückt, findet das schade. Deshalb hat er stattdessen ein paar Flaschen Wein besorgt. Die Frauen, sagt er, bekommen Prosecco.

Auch Steinmüller, die feinen grauen Haare zum Seitenscheitel gekämmt, dazu eine Brille mit Metallgestell, steht jetzt in diesem dunklen Gang, von dem aus man auf alle Plätze blicken kann. Dumpf hört man, wie die Bälle hin und her geschlagen werden, ab und an ein Jubelschrei, öfters mal ein verärgertes Ächzen. Schiedsrichter gibt es keine. Früher mussten das die Spieler machen, die gerade Pause hatten. Bald aber wollten sie ihnen das nicht mehr zumuten, zwei Stunden auf einem Hochstuhl in der Sonne sitzen und dann noch spielen müssen.

"Wen ich kenne, den bescheiß’ ich nicht“

"Jetzt“, sagt Steinmüller, „regeln das die beiden Kontrahenten untereinander. Das funktioniert eigentlich ganz gut.“ Eigentlich? Natürlich gebe es ein paar, deren Ehrgeiz über die Grenzen des sportlichen Anstands hinausgehe. Vor allem, sagt Steinmüller, sind das manche Damen. „Die kennen wir aber, die bekommen am Finaltag dann einen der drei Schiedsrichter auf ihren Platz.“ Das man sich kennt untereinander, sei ohnehin der große Vorteil. „Denn wen ich kenne, den bescheiß’ ich nicht“, sagt Steinmüller.

Selbst mitgespielt hat er trotzdem noch nie. Er spielt im Familienkreis, mittwochs ein Doppel mit Sohn und Schwager. Die Hüfte zwickt. „Seitdem ich mal einen Matchball verwandelt habe, mein Gegner aber steif und fest behauptet, er sei im Aus gewesen, spiele ich keine Turniere mehr.“

Günther Ströber verabschiedet sich, er möchte sehen, ob Windisch auf Platz zwei gewinnt. „Alles andere wäre peinlich“, sagt er.

Auch Günter Steinmüller muss sich wieder um sein Turnier kümmern, sie haben schon nach ihm gesucht, vorn, beim großen Monitor, der alle Ergebnisse und Partien blitzschnell und, wenn es sein muss, auch in größeren Buchstaben anzeigt. Wobei, diesen Monitor, den würde er jetzt doch gern noch schnell zeigen. „Das Internet und diese Computer“, sagt er dann zum Abschied, „das sind schon tolle Erfindungen.“
 

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