Solidarität fühlt sich jetzt anders an

29.3.2020, 18:04 Uhr
Solidarität fühlt sich jetzt anders an

  Man hatte den Eindruck gewinnen können, der Begriff Solidarität sei in den letzten Jahren nur noch im gewerkschaftlichen Kontext salonfähig. Plötzlich erlebt er eine Wiederentdeckung, und Neuinterpretation. Und das durch ein tödliches Virus. Ich finde, auch darüber sollten wir nachdenken.

Die Beachtung und Achtung derer, die einer besonderen Gefahr ausgesetzt sind und das gesellschaftliche Leben am Laufen halten, ist gewachsen. Ob ein Umdenken stattfindet, dass medizinische Gesundheitsfachkräfte, Polizisten, Kassiererinnen, Zusteller, Altenpflegerinnen, Psychologinnen und Pädagoginnen auch nach dem Angriff auf unser aller Gesundheit für unser Zusammenleben und Wohlergehen unerlässlich sind, wird sich zeigen. Als Gewerk-schaften werden wir nicht locker lassen, diese Wertschätzung gegenüber Politik, Arbeitgebern und Nutznießern einzufordern. Und eins dürfte klar sein: Diese Wertschätzung gibt es nicht zum Nulltarif.

Nicht die Manager in Nadelstreifen, Finanzhaie, Investmentzocker und Steuervermeidungskünstler sind wichtig, sondern Beschäftigte und Ehrenamtliche, die jetzt dem Gemeinwohl mit Verstand, Geschick, Einfühlungsvermögen und helfenden Händen zur Verfügung stehen und dadurch Schäden und Leid begrenzen.

Die drastischen Ausgangsbeschränkungen machen deutlich: Der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen, also auf Begegnung, auf gegenseitige Anerkennung, auf ein soziales Miteinander angewiesen. Diesen Schmierstoff einer Gesellschaft kann der Markt nicht erzeugen. Es braucht vielmehr einen starken und handlungsfähigen Staat, der Solidarität organisieren und dadurch Menschen schützen kann. Es braucht auch starke Gewerkschaften, die sich für ein Kurzarbeitergeld und eine Aufzahlung einsetzen. Es braucht auch Mitbestimmung im Betrieb, damit nicht die Beschäftigten die Verlierer in der Krise sind. Es braucht auch gut funktionierende und ausgestattete gesetzliche Sozialversicherungssysteme, damit die Menschen vor Erkrankung, Arbeitslosigkeit und Armut geschützt werden.

Schweren Herzens können Kolleginnen und Kollegen nicht ihrer Arbeit nachgehen, werden Veranstaltungen und Aktionen abgesagt. Aber abgesagt sind nicht Freundlichkeit, Gespräche, Beziehungen, Solidarität und Nachdenken. Wie wir diese Erfahrungen nutzen, unsere gemeinsame Zukunft sozialer, gerechter und wertschätzender zu gestalten, liegt alleine an uns.

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