Sozialticket: Studie mit Lücken

13.7.2012, 12:00 Uhr
Sozialticket: Studie mit Lücken

© Matejka

Der „Nürnberg-Pass“ für Haushalte mit geringem Einkommen also vor allem Hartz-IV-Empfänger, aber auch Bezieher von Wohn- und erweitertem Kindergeld — beschert aktuell rund 37000 Bürgern Vergünstigungen bei Kulturangeboten und städtischen Leistungen. Und er ist der Schlüssel zu ermäßigten Monatskarten im öffentlichen Nahverkehr von Nürnberg, Fürth und Stein zum Preis von 30,80 Euro. Im vergangenen Jahr verkaufte die VAG davon rund 70000 Stück, also knapp 6000 im Monat.

Ein ähnliches Ergebnis liefert jetzt auch eine Untersuchung des Münchener Socialdata-Instituts, einem langjährigen Partner der VAG. Danach hat im vergangenen Jahr nur jeder fünfte Nürnberg-Pass-Inhaber den Sozialtarif genutzt; für rund zwei Drittel kam das aus unterschiedlichen Gründen nicht infrage — vor allem, weil sie als Schüler ohnehin „versorgt“ sind oder weil sie als Berufstätige auf ein Ticket ohne Ausschlusszeit angewiesen sind.

Viele kennen das Angebot nicht

Allerdings musste jeder Achte direkt oder indirekt zugeben, dass er oder sie von dem Angebot gar nichts wusste. Für diese und zahlreiche weitere Erkenntnisse — beispielsweise zur Häufigkeit von Fahrten oder zur Nutzung anderer Tickets — haben die Münchener Verkehrsforscher ein ganzes Jahr lang Nürnberg-Pass-Inhaber aus gut 800 Haushalten schriftlich und zum Teil auch mündlich befragt. Die Antwortquote lag bei 60 Prozent — und war damit ungewöhnlich hoch, unterstrich Geschäftsführer Werner Brög bei der Vorstellung der wichtigsten Ergebnisse im Sozialausschuss des Stadtrats.

Die Ergebnisse dürfen daher als verlässlich eingestuft werden; zudem verfügt Socialdata aufgrund der langjährigen Kooperation über die nötigen Vergleichsdaten mit der Gesamtbevölkerung. Allerdings sind der aufwendigen und entsprechend teuren Studie auch wenig überraschende Einsichten zu entnehmen, etwa dass zwei Drittel der Personen mit Nürnberg-Pass über kein Auto verfügen und große (kinderreiche) Haushalte unter den Pass-Besitzern überdurchschnittlich stark vertreten sind.

Keine Geheimniskrämerei

In verschiedenen Szenarien versuchte Socialdata zu ermitteln, welche Kosten auf die VAG und die Stadt zukämen, wenn ein günstigeres Sozialticket angeboten würde. Bei einem Preis von 23 Euro für eine Person und 26,50 Euro mit Mitnahmeberechtigung würde die Nachfrage zwar rapide steigen, könnte aber die an anderer Stelle entstehenden Einnahmeausfälle nicht ausgleichen. Unterm Strich bliebe ein zusätzliches Defizit von 180000 Euro.

Dass nicht einmal die Stadträte vor der Sitzung mit Unterlagen zur Vorbereitung versorgt worden waren, verteidigte Sozialreferent Reiner Prölß mit dem Hinweis auf „methodisches Neuland“, das mündliche Erläuterungen erfordere. Den Verdacht einer Geheimniskrämerei wies er weit von sich, nach der „ersten Lesung“ gestern und nun anstehenden Beratungen in den Fraktionen solle die Hauptdebatte im Oktober geführt werden.

Tickets für 15 Euro?

Wie die voraussichtlich verläuft, zeichnete sich gestern schon ab: Während die CSU keinerlei Handlungsbedarf sieht (Stadträtin Andrea Loos: „Die Leute sind im Wesentlichen zufrieden“), monierten Brigitte Wellhöfer (Bündnis-Grüne), Thomas Schrollinger (ÖDP) und Marion Padua (Linke Liste) mit unterschiedlichen Akzenten, dass weder eine Variante ohne Ausschlusszeit durchgerechnet wurde, noch die Auswirkungen eines supergünstigen Tickets für 15 Euro, wie es das Bündnis Sozialticket verlangt. Das hatte vor der Sitzung seine Forderung mit der Übergabe weiterer Unterschriften untermauert. Allerdings zeichnet sich im Rat keine Mehrheit für die Übernahme eines höheren Defizits bei der VAG ab.

Einen Eklat hätte beinahe Hans-Joachim Patzelt („Offene Linke“) heraufbeschworen: Unter Berufung auf frühere Zusagen versuchte er sich ein Rederecht zu ertrotzen, obwohl er dem Ausschuss nicht angehört. Bürgermeister Klemens Gsell sah sich genötigt, ihn mit der Bemerkung „Sie tanzen auf des Messers Schneide!“ energisch zur Ordnung zu rufen.

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