Stadt der Liebe: In Nürnberg halten Ehen länger

29.7.2017, 05:59 Uhr
Nürnberger Ehen halten länger, wie das Amt für Stadtforschung und Statistik belegt. Vielleicht spielt ein allgemeines Gefühl von größerer Lebensunsicherheit eine Rolle? Das meint zumindest ein Paar-Therapeut.

© dpa Nürnberger Ehen halten länger, wie das Amt für Stadtforschung und Statistik belegt. Vielleicht spielt ein allgemeines Gefühl von größerer Lebensunsicherheit eine Rolle? Das meint zumindest ein Paar-Therapeut.

Das Amt für Stadtforschung und Statistik hat genau aufgelistet: Im Jahr 2016 ließen sich 1026 Paare in Nürnberg scheiden. Davon waren 522 unter zwölf Jahre verheiratet, 504 lagen darüber. Letztere hatten sich vor zwölf Jahren bis weit über 20 Jahre das Jawort gegeben.

Die stellvertretende Amtsleiterin Barbara Lux-Henseler kann mit einem Blick in ihren Computer belegen, dass der Trend einer "längeren Haltbarkeit" von Ehen nahezu linear verläuft. Ganz deutlich ist die Zahl von Scheidungen unter zwölf Jahren Lebensgemeinschaft nämlich abgebröckelt: Von 66,3 Prozent im Jahr 1995 auf 63 Prozent zur Jahrtausendwende, hin zu 56,5 Prozent in 2010 und nun also 50,9 Prozent in 2016.

Diese Entwicklung ist nicht Nürnberg-spezifisch, sondern lässt sich deutschlandweit belegen. Ehen scheitern heute im Durchschnitt nach 15 Jahren, so die Auswertung des Statistischen Bundesamts. Früher lag die gesetzlich vollzogene Auflösung bei etwa zwölf Jahren. Dass sich Scheidungen zeitlich nach hinten verschieben, zeigt sich in Nürnberg am rapiden Anstieg bei den Trennungen ab 20 Jahren: 1995 waren das 16 Prozent aller Scheidungen, 2016 lag die Quote bei 23,8 Prozent.

Ehe-Trend: Menschen suchen Halt

Woran der Trend zum längeren Beisammensein liegt, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Ansgar Ehrlich, Leiter der Psychologischen Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen in Langwasser, vermutet: "Es kann mit der gesellschaftlichen Großwetterlage zusammenhängen. In unruhigen Zeiten, wenn sich Krisen häufen, suchen wir Menschen im Privaten Halt. Wenn Schwierigkeiten auftauchen, versuchen daher viele, zu sanieren statt abzureißen."

Seit vier Jahrzehnten bietet die katholische Beratungsstelle der Diözese Eichstätt Hilfesuchenden fachliche Gespräche an. Im vergangenen Jahr suchten 312 Paare das Büro in Langwasser auf. Was sind die häufigsten Stolpersteine für eine langjährige Ehe? "Oft heißt es: ,Wir können nicht mehr miteinander reden‘", berichtet der 57-jährige Pastoralpsychologe, "die Partner reagieren sofort gereizt und genervt."

Veränderungen in der Beziehung sind häufig Knackpunkte: Wenn ein Paar Nachwuchs bekommt, fühlt sich der Mann oft nur mehr als fünftes Rad am Wagen, meint Ehrlich. Oder wenn die Kinder eines Tages ausziehen und einen eigenen Hausstand gründen, fragen sich viele Eltern: Was hält uns eigentlich noch zusammen?

Beratung als Chance für Beziehung

Die Konflikte sind vielschichtig und lassen sich natürlich nicht in einem einzigen Gespräch aufarbeiten. Im Durchschnitt kommen die Paare zu sieben Sitzungen. Viele bleiben anschließend zusammen: Sie haben die Beratung als Chance für ihre Beziehung gesucht.

Natürlich gibt es auch derart verfahrene Situationen, dass Ehepaare im Lauf der Beratung zu dem Entschluss kommen, ihre gemeinsame Zeit zu beenden. Hier bietet die katholische Beratungsstelle an, Trennungsgespräche zu moderieren. Das ist wichtig, wenn Kinder von der Scheidung betroffen sind, meint Ehrlich: "Studien zeigen, dass das Entwicklungsrisiko für Kinder ganz entscheidend von der Elternbeziehung während und nach der Scheidung abhängt."

Die Trennungsgespräche sind aber nicht nur für
den Nachwuchs wichtig. "Meist fühlt sich ein Partner als Verlierer", meint der Eheberater, "er oder sie fühlt sich erniedrigt, beschämt, gescheitert und ausgetauscht."

Der 57-Jährige und seine vier Kolleg(inn)en sehen es dann als ihre Aufgabe an, "beim Neuaufstellen zu helfen." Es sei selbstverständlich, dass die Beratung für jedermann offen ist, völlig unabhängig von Religion oder kulturellen Unterschieden.

Auf Testament achten

Juristen weisen darauf hin, dass bei einer Scheidung auch Testamente und Erbverträge der neuen Lebenssituation angepasst werden sollten. Denn das Erbrecht hat die klassische Familie im Blick, nicht eine Patchwork-Familie. Stiefkinder sind leiblichen oder adoptierten Nachkommen nicht gleichgestellt.

Nach Scheidungen werden bestehende Urkunden oft vergessen, erklären Notare. Dadurch kann es später zu bösen Überraschungen kommen. Erbberechtigt sind nur verheiratete Eheleute, gleichgeschlechtliche Partner mit einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sowie die leiblichen Kinder. Das bedeutet: Bei einer eheähnlichen Gemeinschaft haben nur die leiblichen Kinder eines Verstorbenen Erbansprüche, die Stiefkinder und der neue Partner gehen leer aus - falls es nicht anders vertraglich geregelt ist.

Die Stiftung Warentest gibt ein Beispiel, wie eine vergleichsweise einfache Konstellation im ungeregelten Erbfall zu Ungerechtigkeiten führt: Ein Paar ist in zweiter Ehe verheiratet, jeder Partner bringt zwei Kinder mit. Stirbt der Mann zuerst, erbt seine Frau die Hälfte und seine Kinder jeweils 25 Prozent. Stirbt anschließend die Frau, erben nur mehr ihre
beiden Kinder. Der Nachwuchs des Mannes bekommt nichts. Daher sollten sich Paare nicht nur über eine aktuelle Scheidung Gedanken machen, sondern auch über die weit darüber hinausreichenden Angelegenheiten, argumentieren Juristen.

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