«Stadt muss mehr tun«

14.10.2009, 00:00 Uhr
«Stadt muss mehr tun«

© Horst Linke

Nürnberg nennt sich heute Stadt des Friedens und der Menschenrechte. Erfüllt sie diesen hohen Anspruch?

Rainer Huhle: Wenn man im In- und Ausland unterwegs ist, merkt man, dass Nürnberg da eine Vorreiterrolle spielt. Für das Image ist das eine Erfolgsgeschichte. Dazu gehören die Straße der Menschenrechte, der internationale Preis und das Doku-Zentrum. Auf der lokalen Ebene könnte noch mehr passieren. Daran arbeitet aber auch das Menschenrechtsbüro.

Was muss auf lokaler Ebene noch geschehen?

Huhle: In der Menschenrechtsbildung im schulischen und außerschulischen Bereich könnte noch viel getan werden. Das andere Problem ist die Situation von Flüchtlingen. Da liegt einiges im Argen, zum Beispiel wenn es um Abschiebungen geht. Da wird viel zu wenig Rücksicht auf die Lebenssituation der Betroffenen genommen, die oft schon sehr lange in Nürnberg leben.

Da ist die Stadt eher machtlos. Da ist der Staat zuständig.

Huhle: Die Menschen leben hier in Nürnberg und haben hier die Probleme. Dem kann sich eine Stadt der Menschenrechte nicht entziehen.

Wie ist das Verhältnis zwischen dem Zentrum als Einrichtung der zivilen Gesellschaft und dem städtischen Büro?

Huhle: Wir arbeiten konstruktiv zusammen und ergänzen uns in der Menschenrechtsarbeit. Ich rechne damit, dass der Kontakt noch besser wird, denn wir haben die Zusage, dass wir nächstes Jahr ins Heilig-Geist-Spital mit einziehen können, wo künftig das städtische Menschenrechtsbüro, das Amt für Internationale Beziehungen, und der neue Rat für Integration untergebracht werden sollen. Wir hoffen, dass sich durch diese Nähe mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit ergeben. Die Stadt hat bisher unsere Miet- und Bürokosten übernommen. Alles andere müssen wir über Spenden, Mitgliedsbeiträge oder Kurse finanzieren.

Am Anfang nannte sich Ihr Verein Informationszentrum für Menschenrechte in Lateinamerika. Für diesen Kontinent interessierten sich damals auch viele Jugendliche. Che-Poster waren weit verbreitet. Ist die Jugend auch heute noch für das Thema Menschenrechte so wie damals zu begeistern?

Huhle: Viele von uns hatten seinerzeit starke Verbindungen nach Lateinamerika. Nach ein paar Jahren haben wir gemerkt: Nur Lateinamerika ist auf Dauer nicht tragfähig. Die Politisierung der Jugend betraf aber damals schon nur eine Minderheit. Mit einem Che-T-Shirt ist es ja nicht getan. Heute merken wir, dass wir andere Themen anbieten müssen. Die Lateinamerika-Exotik wirkt nicht mehr. Wir setzen jetzt bei der deutschen Erinnerungskultur und aktuellen Fragen an. Nächstes Jahr wird das unter anderem sein «75 Jahre Nürnberger Rassegesetze«. Wir behandeln dabei auch heutige Formen der Diskriminierung. Ein anderer Schwerpunkt wird der Bereich soziale Menschenrechte sein, ein relativ neues Feld, das wir da beackern. Es geht dabei natürlich nicht darum, ob etwa höhere Krankenkassenbeiträge oder hundert Euro mehr oder weniger bei Hartz IV eine Menschenrechtsfrage sind. Das ist nicht die Frage. Aber der Staat ist in der Pflicht, allen Menschen eine auskömmliche Existenz zu sichern. Darüber muss man streiten, weil das nicht so einfach ist, wie die Aussage: Niemand darf gefoltert werden. Ein anderes Beispiel: Das Recht auf Bildung wird nicht verwirklicht, wenn breite Schichten benachteiligt werden.

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