Telefonkarten: einst begehrt, heute Ladenhüter

17.4.2013, 07:00 Uhr
Telefonkarten: einst begehrt, heute Ladenhüter

© Stefan Hippel

Im dem roten Ziegelstein-Haus an der Allersberger Straße wurden die Telefonkarten-Rohlinge zwar nicht hergestellt, beschichtet und beschriftet. Doch Lager, Vertrieb und Geschäftsführung waren in dem denkmalgeschützten Poststadt-Gebäude untergebracht. In den Boom-Zeiten arbeiteten hier 500 Beschäftigte, weitere 200 Kollegen kamen in anderen Standorten dazu. Eine Erfolgsgeschichte scheinbar ohne Ende.

Doch heute sind nur mehr weniger als 20 Mitarbeiter in Nürnberg und Bonn mit der „Telefonkarte Comfort“ befasst. Kein Wunder: Konnte die Telekom im Spitzenjahr 1998 stolz den Verkauf der 500-millionsten Fernsprechkarte mit Chip verkünden, so brach der Absatz bereits kurze Zeit später rapide ein. Die blitzartige Ausbreitung des Mobiltelefons ist Ursache des Niedergangs: Wer braucht im Zeitalter der Handy-Flatrate noch eine Plastikkarte, um damit am öffentlichen Fernsprecher zu telefonieren? Im vergangenen Jahr setzte man gerade noch 200.000 Stück ab.

Auch für Thomas Bause, Leiter des Bereichs „Paycards“ bei der Deutschen Telekom, ist klar, dass es für dieses Produkt nur mehr eine sehr begrenzte Zukunft gibt. Doch Gerüchte, dass die Telefonkarte bald endgültig eingestellt wird, weist er zurück: „Es gibt kein Datum dafür, aber es ist schon richtig: Wir befinden uns auf der Zielgeraden.“ Er erinnert an Zeiten, als die Telefonkarte mit 500 Millionen Mark noch erheblich zum Jahresumsatz des Kommunikations-Unternehmens beigetragen hatte. Die Zeiten sind längst vorbei.

Gebrauchte Karten wurden zu Kunststoff für Parkbänke

Vor 20 Jahren hatte der Nürnberger Versand-Service 120.000 Kunden registriert. Sammler entdeckten die originell gestalteten Karten für sich. Börsen, Messen und Tauschmärkte fanden regen Zulauf. In Spezialkatalogen, Büchern und Zeitschriften konnten sich Interessierte über die neuesten Kreationen informieren. Begehrt waren neben sportlichen, geschichtlichen und kulturellen Motiven auch erotische Ansichten. Daneben ließen viele Firmen, Städte, Organisationen und Vereine Visitenkarten mit elektronischem Chip herstellen, um sie als Werbegeschenke zu verteilen.

Für die riesigen Mengen abtelefonierter Plastikkarten entwickelte man ökonomische Lösungen: So verarbeiteten Spezialfirmen den Kunststoff zu Kugelschreibern, Telefonen, Parkbänken oder auch Sportplatz-Belägen.

Telefonkarten: einst begehrt, heute Ladenhüter

© Telekom

Beflügelt von dem enormen Erfolg dachte das Nürnberger „Zentrum für Kartenanwendungen“, wie der Hauptsitz an der Allersberger Straße130 einst hieß, über weitere Geschäftsfelder nach: Kunden sollten mit der Karte bei der Tankstelle, beim Bäcker, in der Straßenbahn oder auch im Parkhaus bezahlen können. Diese Ideen blieben allerdings Wunschträume.

Außer dem rasantboomenden Mobilfunkmarkt erschwerte eine zweite Entwicklung das Geschäft mit der Telefonkarte: Massive Fälschungen sorgten für empfindliche Einbußen. Es gab zahlreiche Spezialisten und Hightech-Fälscher, die Karten mit manipuliertem Chip verkauften, mit denen man endlos ins Ausland telefonieren konnte. „Es gab eine gigantische kriminelle Kreativität“, berichtet Diplomingenieur Bause, „wir mussten immer wieder auf deren Erfindungsreichtum reagieren.“ Der wirtschaftliche Schaden für den Kommunikationskonzern ging in die zig Millionen Euro.

Mit der Einführung von Verfallsdaten hat das Unternehmen dann auch dem lukrativen Sammlermarkt den Garaus gemacht. Denn für die Hobby-Alben waren nur Exemplare mit vollständigem Geldwert interessant. Da die Summe jedoch nach Ablauf der Frist verfällt, wollte natürlich kaum jemand mehr investieren. Nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2010 sind auch Ansprüche bei alten Karten ohne Gültigkeitsaufdruck verjährt.

In der heutigen Version der „Telefonkarte Comfort“ ist das Guthaben nicht mehr auf dem Chip, sondern auf einer Plattform im Netz gespeichert. Man kann sie durch Eingabe einer Zahlenkombination von Festnetzgeräten, öffentlichen Fernsprechern oder auch bei Prepaid-Handys nutzen. Paycard-Chef Bause hat „die Generation 50 plus“ als Zielgruppe vor Augen.

Karten sind nur noch "Basisdienstleistung"

Er sieht den jetzt ziemlich schmalen Markt nur mehr als notwendige „Basisdienstleistung“ für die öffentlichen Telefonhäuschen. Die rentablen Apparate stehen an Flughäfen, Bahnhöfen und in Einkaufszentren. Deutschlandweit hat die Telekom ihre für Chipkarten nutzbaren Fernsprecher auf 2.000 Stück abgebaut. Der breite Geldstrom aus dem Kartengeschäft, der einst in die Kassen der Telekom gespült wurde, ist längst zu einem ganz dünnen Rinnsal abgeebbt.
 

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