"Tod zum Frühstück": Kapitel Zwei - E. Maar

25.6.2011, 15:23 Uhr

Die Nähe zur Fleischbrücke ermöglichte es ihm in Ruhe und mit einem Rest von Genuss seinen Kaffee in kleinen Schlückchen auszutrinken. Er wusste, was ihn gleich erwarten würde: Eine besonders aufgeregte, weil durch den Vorfall an einem Touristenmagnetpunkt im öffentlichen Interesse stehende  Oberst, eine mit Lösungen aufwartende, und ihm damit seine Unfähigkeit vorspiegelnde Held, der neue, formalistische Gerichtsmediziner Dr.Karl,  die hektischen Fotografen und vor allem der Anblick einer Leiche. Nie konnte und wollte  er sich daran gewöhnen, an den Anblick von  Toten, die ohne Anzeichen einer Krankheit oder angemessenen Alters verstorben sind. Es würde bei ihm nach wie vor ein Würgegefühl und Übelkeit auslösen.

Falls es sich nachweislich um Mord handeln sollte, was ja anscheinend vermutet wurde, würden ihn  weitere schlaflose, mit Grübeln verbrachte Nächte quälen.  Ebenso würden ihn quälende Tage endloser Dispute mit seiner hysterischen Vorgesetzten und der hyperehrgeiziger Kollegin erwarten. Ganz zu schweigen von den unterschwelligen Vorwürfen, dass ohne ihn der Fall besser und vor allem schneller gelöst werden würde.
 
Angekommen bei der Fleischbrücke, seit dem 10.Juni 2011 „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“, wie eine Tafel bezeugte, traf er auf das erwartete Szenario mit der Leiche im Mittelpunkt. Es fiel ihm sofort ins Auge, dass es sich dabei  um eine gut gebaute und nach dem Kostüm zu urteilen,  gut situierte Blondine um die 40 handelte. Ihre seltsam verdrehte Haltung allerdings erklärte sich ihm nicht sofort. Das altbekannte Würgen mit Übelkeit stieg ihm vom Magen her auf. Es bleib ihm keine Wahl, er musste sich am Sandsteingelände kurz abstützen um nicht zu taumeln, auch auf die Gefahr hin, dass die Damen der versammelten Mannschaft bestimmt instinktsicher seine Schwäche erkennen würden.

Dr. Karl machte sich bereits an dem Körper der Frau zu schaffen. Immer wieder schüttelte er den Kopf und brummelte etwas von „unerklärlich", „nicht zu fassen“ und „dazu kann noch keine Auskunft gegeben werden, das muss genauer untersucht werden“. Oberst und Held  kamen auf ihm zu und überschlugen sich mit bereits gewonnenen Erkenntnissen. Bei der Leiche handelte es sich wohl, allen Anschein nach, um die vermisste Frau eines bekannten Nürnberger Schönheitschirurgen, Dr.Sühl.

Ihm fiel siedend heiß ein, dass dieser vor wenigen Tagen eine Vermisstenanzeige im Präsidium abgegeben hatte und zusätzlich an die Presse gehen wollte. Kant hatte dann diesen auf die Idee gebracht, dass seine Frau wohl ein paar schöne Tage ohne ihn -  „dem wahrscheinlich weit über Sechzigjährigen“, dachte er bei sich -  verbringen wolle. Mit der Veröffentlichung würde sich Dr.Sühl doch nur der Lächerlichkeit und dem öffentlichen Spott preis geben.

Was natürlich nicht den wahren Beweg- und Argumentationsgründen entsprach. Zum einen wollte er sich– in einer eh angespannten beruflichen Situation- zusätzliche Arbeit mit Meldungen, auf Grund eines verfrühten Presseartikels, rechtzeitig vom Hals schaffen. Zum anderen, und das gab er sich beim Anblick der vierzigjährigen Toten zu, hatte er sofort das Gefühl, dass sich in der Ehe der Sühls etwas abspielen könnte, was ihn an sein eigenes verkorkstes  Liebesleben mit seiner ewig nach der wahren Liebe suchenden Ex erinnern würde.