Vom Sturzacker zum Großstadtquartier

12.4.2021, 09:08 Uhr
Vom Sturzacker zum Großstadtquartier

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"Flächenfraß" – das war in den Dekaden vor dem Ersten Weltkrieg noch kein Thema. Jahr für Jahr zogen die Städte Tausende von Neubürgerinnen und Neubürgern an. Feldwege wuchsen zu breiten Promenaden, Äcker und Wiesen wurden zu Bauland. Von diesem Boom profitierte, wer rechtzeitig die Zeichen der Zeit erkannt und sich die Flächen in bester Lage gesichert hatte, als sie noch spottbillig waren.

Bauunternehmer standen Schlange

Gustav Adam Schwanhäußer, der den meisten Nürnbergerinnen und Nürnbergern eher wegen seiner Bleistifte bekannt ist, tat genau dies. Schon 1871 begann er damit, das Freiland hinter seiner Villa in den Gärten hinter der Veste und dem Maxfeld aufzukaufen. Seine große Stunde schlug über drei Jahrzehnte später, als die Bauunternehmer vor seiner Tür Schlange standen.

Zu ihnen gehörte der Maurermeister Franz Augustin. Zwischen 1907 und 1909 sicherte er sich die Grundstücke Hastverstraße 25, 27, 29 und 31, um auf ihnen Mietshäuser im höherpreisigen Segment zu errichten. Ansonsten wissen wir wenig über den Bauunternehmer und seine Ehefrau Kreszentia, die bei den Grundstückskäufen stets als Miterwerberin auftrat. Ihre Vornamen lassen vermuten, dass das Paar aus einem katholischen Landstrich im Altbairischen, vielleicht aus der nahen Oberpfalz, nach Nürnberg zugewandert war.

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Etwas mehr wissen wir über Augustins Architekten Michael Renker, der uns in unserer Serie schon mehrfach über den Weg gelaufen ist. Kein Wunder, gehörte der aus dem heutigen Landkreis Forchheim stammende Baukünstler doch zu den produktivsten Planern im Mietshausbau seiner Zeit in Nürnberg.

An den Häusern in der Hastverstraße exerzierte Renker verschiedene Spielformen der weitgehend symmetrischen Fassade mit einem Standerker auf der Mittelachse durch. Besonders virtuos gelang ihm das bei der Nr. 25, die er 1907 entwarf: Hier beginnt die Auslucht als Polygon, um auf Höhe des zweiten Stockes mittels geschwungener Konsolen in einen Kastenerker überzugehen, der wiederum im vierten Obergeschoss von einem Balkon mit einem Schweifgiebel darüber gekrönt wird. Damit die reiche Kubatur besser wirken konnte, verzichtete Renker auf allzu viel Bauschmuck. Dafür wirkt der Kontrast zwischen dem rotbraunen Burgsandstein und den Strukturputzflächen umso stärker. Ein Pfeilerzaun schloss den lauschigen Vorgarten gegen die Straße ab.

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So wurde die Hastverstraße 25 Teil eines überaus malerischen Vorstadt-Ensembles, so reizvoll, dass einige Angehörige der Familie Schwanhäußer selbst hier einzogen, darunter Gustav Adams Urenkel Rainer.

Modernisierungsversuche erfolgreich geheilt

Und Architekt Joachim Thiel hat noch lebhaft in Erinnerung, wie ihn bei seinem Einzug im Hochparterre 1993 die Überreste eines Friseursalons empfingen, die ihn an ein Boudoir im Neorokoko-Stil erinnerten. Bei Nachforschungen zu ihrem Zuhause fand Beate Treffkorn heraus, dass es eine ausnehmend stabile Konstruktion besitzt: Nicht nur die Decke zwischen Souterrain und Hochparterre, auch die folgenden Geschossdecken bestehen aus Eisenbeton. Das war zur Bauzeit im Nürnberger Mietshausbau längst nicht die Regel. Als das nachmalige ADAC-Haus am Prinzregentenufer 7 mit seinem Betonskelett 1908 vollendet wurde, war das in der lokalen Fachwelt eine kleine Sensation. Ansonsten waren die Etagenwohnungen recht konventionell geschnitten: zur Straße hin die Wohn- und Repräsentationszimmer, Küche, Bad, WC und Abstellkammer zum Hof hin bzw. im seitlichen Rückflügel.

Über die vergangenen 114 Jahre hat die Hastverstraße 25 manche Wandlung erlebt, zum Schlechten wie zum Guten. In den vergangenen Jahren hat sich die Eigentümergemeinschaft mit viel Engagement darum bemüht, einige der wenig geglückten Modernisierungsversuche der Nachkriegszeit zu heilen – mit Erfolg. Heute wie anno 1912 vermittelt das schmucke Gebäude den unverdünnten Charme eines großbürgerlichen Mietspalastes in der Vorstadt, der elegant und intim zugleich anmutet.

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