Vom Zuschauer zum Regisseur - Mister Musical aus Heroldsberg

7.4.2020, 14:27 Uhr
José Andreus aktuellstes Stück "Race Cars" feierte 2019 in Heroldsberg Premiere. Mit dabei waren futuristische Kostüme und ausgezeichnete Leistungen im Rollschuh-Kunstlauf.

© Harald Hofmann José Andreus aktuellstes Stück "Race Cars" feierte 2019 in Heroldsberg Premiere. Mit dabei waren futuristische Kostüme und ausgezeichnete Leistungen im Rollschuh-Kunstlauf.

José Andreu, den viele nur "Pepe" nennen, liebt Musik als Zuhörer. Als in Bochum Ende der Achtziger ein neues Musical Erfolge feiert, will José Andreu das unbedingt sehen. Zum Hochzeitstag fährt er mit seiner Frau in den Ruhrpott. Er ahnt nicht, dass die Reise alles verändern wird. "Starlight Express" fesselt den heute 68-Jährigen. "Die Kostüme! Die Lieder! Alles war so rasant, etwas ganz anderes."

Mit seiner Begeisterung steckt Andreu die Mitspieler in seiner Fußballmannschaft an. "Da müsst ihr hin", erklärt er ihnen immer wieder. Zuerst. Bis er eine andere Idee hat. Sie sollen "Starlight Express" erleben, aus nächster Nähe. José Andreu will das Musical einstudieren und aufführen. Mit seiner Mannschaft. Die Freunde stimmen zu. Sie tauschen die Stollen unter ihren Schuhen gegen Rollen ein.

Doch haben sie dafür nur eine Stunde in der Woche auf zwei Dritteln der Halle in Heroldsberg, so ausgelastet ist die Turnhalle. Bis heute haben die "Hero City Rollers", die sich 1993 gründen, nicht mehr Zeit, um ihre Shows einzustudieren. Entsprechend lange dauert es, "erst einmal mussten wir ja Rollschuhfahren lernen".


In Heroldsberg grassiert der Musical-Virus


José Andreu ist immer mittendrin, beim Training genauso wie beim Nähen der Kostüme, die wie die Originale aussehen sollen, "da war ich pingelig". Derweil passt er zu Hause die Geschichte an, damit das kolossale Renn-Musical auch in Heroldsberg funktioniert. Stunden, Tage, Wochen steckt er in die Produktion. Lichteffekte, Programm, Ton – nichts geht ohne "Pepe".

Auf das Ergebnis müssen die Zuschauer dennoch lange warten. Dem Spott mancher zum Trotz laden die "Hero City Rollers" drei Jahre nach ihrer Gründung zur Show. Die Aufführungen sind über zwei Wochenenden nach Ostern geplant. Eine Woche lang modelt das auf 100 Darsteller und Helfer angewachsene Team die Schulturnhalle vorher zu einer Bühne um, die Schauspieler werden schon Stunden vor dem Musical in die rasenden Loks verwandelt.

Das Ergebnis? "Die Show hat eingeschlagen wie eine Bombe", erinnert sich Andreu. Die Begeisterung hält in den kommenden Jahren an, fünf bis sechs Shows spielt die Gruppe jeweils, oft sind die Tickets schnell weg. Das ist gut so. Tausende Euro streckt José Andreu regelmäßig vor, für Kabelbinder oder für Programme. Doch es lohnt sich, auch für die sozialen Projekte, die der Verein mit den Einnahmen, die übrig bleiben, unterstützt. Inzwischen ist ein fünfstelliger Betrag zusammengekommen, dafür hat der Verein schon den Bürgerpreis erhalten.

Die Familie hilft mit, die beiden Söhne sind später Hauptdarsteller, Gaby Andreu ist Managerin für alles hinter José, der von sich sagt, "dass ich ja nur die Ideen habe". In der maßlosen Untertreibung steckt auch eine Wahrheit: José Andreu fällt immer etwas Neues ein, eine neue Show zum Beispiel. Wie "Tabaluga und Lilli" von Peter Maffay.

Das will "Pepe" aufführen, um noch mehr aus der "großen Familie" einzubinden, vor allem die vielen Kinder. Nachdem er das Stück wieder umschreibt – eigentlich kommen darin keine Rollschuhläufer vor –, stehen am Ende 60 Darsteller auf der Bühne, 30 davon auf Rollen. Ein Spektakel, das José Andreu hinter den Kulissen verfolgt, nervös, wie bei jeder Show. Vorher ist er kaum ansprechbar, "da laufe ich total abwesend herum, versuche, alles noch einmal zu checken".

Dabei liegt seine erstaunlichste Leistung noch vor ihm: José Andreu schreibt eigene Stücke. Die Idee kommt diesmal nicht von ihm, einige treue Zuschauer dürsten nach etwas Neuem. "Atlantis" nennt Andreu sein erstes, eher sozialkritisches Stück. "Es geht um Arm und Reich, um das Klima, um den Untergang der Welt", erzählt der Autor, der sich die Inspiration in den Nachrichten holt. "Wenn wir so weitermachen, kann das nicht gut gehen", hat er damals gedacht. "Im Prinzip ist das Stück aktueller denn je", sagt der Heroldsberger.


Hero City Rollers zeigen das Musical "Race Cars"


Der ist sonst ein sehr positiver Mensch. "Atlantis" geht so glücklich aus, wie es entstanden ist. Texte schreibt Andreu auf die Melodien von Rock- und Popsongs, "doch die durften wir nicht verwenden". Als eine junge Frau am Getränkeautomaten in seiner Arbeit verzweifelt, schenkt er ihr eine Cola und kommt ins Gespräch. Die Kollegin erfährt vom Stück, für das ihm die Musik fehlt.

Die junge Frau vermittelt den Musical-Autor an Komponist Pete Oram. Als der den ihm unbekannten Andreu zum ersten Mal trifft, lehnt Oram erstmal ab. "Zwei Stunden später stimme ich zu, ein Lied zu
schreiben", erinnerte sich der inzwischen verstorbene Waliser auf der Seite der "Hero City Rollers". Fünf Monate später sind es 30 Lieder. Sogar ins Tonstudio darf José Andreu später umsonst, weil der Besitzer das Projekt unterstützen will.

Ein Projekt, für das Andreu seine ganze Freizeit opfert. Seit er in Rente ist, ist es ein Vollzeitjob. Auch weil er sich zwei weitere Stücke ausdenkt, die er vor allem in seinem kleinen Ferienhaus in Spanien
schreibt, "mit Blick aufs Meer". Zuerst eine Fortsetzung: "Starlight – The Next Generation". Und wieder hilft der Zufall. Oder eher die offene Art des Mannes mit den fröhlichen Augen hinter einer randlosen Brille. Nun ist es "Pepes" Zahnarzt, der ihm einen musizierenden Zahntechniker vermittelt.


Frauen nähen für ein Musical in Heroldsberg Kostüme


Er liefert einen Teil der Musik zur Fortsetzung mit den rollenden Zügen, in der – wie für jedes Werk – drei Jahre Arbeit stecken. Doch sind die diesmal umsonst, fast zumindest. Der Jubel nach den Aufführungen ist riesig, auch der bescheidene Regisseur ist begeistert. "Oft haben Musicals eine Handvoll super Lieder und dann aber auch welche zum Auffüllen. Wir hatten alles rausgekitzelt, hatten 20 tolle Lieder."

Nur hört die jetzt keiner mehr. Schuld ist die Unterlassungserklärung von Andrew Lloyd Webber, dessen Firma eine Fortsetzung ihres "Starlight Express" verbieten. "Ich war todtraurig", sagt José Andreu.

Es sollte eigentlich sein letztes Stück sein. Doch "Pepe" überlegt es sich anders – und schreibt wieder ein Musical, das seine Frau wie immer "in besseres Deutsch übersetzt", wie er sagt. Diesmal geht es um Autos statt um Züge. 2019 wird "Race Cars" zum ersten Mal aufgeführt – und Heroldsberg jubelt. Weil dort inzwischen viele Musik lieben. Auch dank Mr. Musical.

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