Von wegen "Regelbetrieb": Kitas in Nürnberg schlagen Alarm

21.11.2020, 17:03 Uhr

Gegenüber den Eltern, gegenüber den Kindern und gegenüber dem Team: Die Leiter der Kindertagesstätte sind es gewohnt, die Stimmung hochzuhalten. Geht schon. Machen wir das Beste draus. Hilft ja nichts. Wenn jetzt der Mut sinkt und sich die Frustration breit macht, gilt das als sicheres Zeichen, dass es später sein muss als fünf vor zwölf.

„Die Krise“, so sagt Christiane Stein, „offenbart besonders deutlich die Defizite, die bereits vorher schon bestanden haben.“ Als Leiterin des Nürnberger Verbandes selbstorganisierter Kindertageseinrichtungen (SOKE) häufen sich auch bei ihr momentan die Klagen. Wenn das Ministerium jetzt mitteilt, für Kitas gelte der Regelbetrieb mit den üblichen Öffnungszeiten, dann können Erzieher derzeit darüber nur lachen. Denn wer mal einen Blick hinter die Kulissen werfe, sehe, dass von einem „Regelbetrieb“ derzeit keine Rede sein kann.

Früh ist schon alles anders

„Das fängt ja bereits morgens damit an, dass die Eltern ihre Kinder im Garten verabschieden“, berichtet Anja Henke, Leiterin des Kinderhauses Rückenwind. Das Umziehen, das Ankommen - das sind nur einige von vielen zusätzlichen Aufgaben, die nun den Erziehern zufallen. „Die reine Betreuung“, so sagt Maika Kuch, Erzieherin der Einrichtung, „ist gewährleistet. Aber unseren Aufträgen ,Bildung’ und ,Erziehung’ müssen wir auch noch nachkommen.“

Noch vor der Corona-Zeit gingen Erzieher auf die Straße und demonstrierten gegen schlechte Bezahlungen und unzureichende Ausstattungen in den Einrichtungen. Jetzt, da die Rahmenbedingungen sich dramatisch verschlechtert haben, spitzt sich die Lage zu. „Wir müssen die einzelnen Kinder-Gruppen getrennt halten“, sagt Leiterin Anja Henke, was den Betreuungsaufwand spürbar erhöhe und den Platz knapp werden lasse. Bei den geringsten Erkältungssymptomen muss jedoch der betroffene Mitarbeiter zu Hause bleiben. Die Öffnungszeiten sind bei all dem aufrechtzuerhalten.

Täglich etwas Neues

Schlimm sei auch, dass sich die Situation derzeit täglich ändern könne. „Es kann sein, dass wir Freitagnachmittag das Konzept bekommen, das wir dann bis Montag so weit verinnerlicht haben müssen, dass wir es gleich umsetzen, die Mitarbeiter schulen und vor den Eltern vertreten können“, sagt Henke. Manchmal - wie zuletzt vor wenigen Tagen - sei diese Prozedur sogar von einem Tag auf den anderen erforderlich. Dies könne ihr nachts schon mal den Schlaf nehmen. Als die Rückenwind-Mitarbeiter ihrer Chefin bescheinigen, sie würde derzeit 200 Prozent arbeiten, widerspricht sie nicht.


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Geärgert hat sich eine weitere Leiterin über die Aussage eines Erlanger Arztes in den Erlanger Nachrichten und auf nordbayern.de Dieser hatte kritisiert, die Erzieher würden unnötig für volle Kinderarztpraxen sorgen. Schließlich ließen die Verantwortlichen häufig Kinder mit bereits leichten Erkältungs-Symptomen von den Eltern aus den Einrichtungen abholen, was dann einen Arztbesuch nötig mache. Hintergrund ist die neue Auflage, wonach Kinder mit starken Erkältungssymptomen erst wieder die Einrichtung besuchen dürfen, wenn sie 24 Stunden lang keine Symptome mehr zeigen und ein ärztliches Attest oder einen negativen Test vorlegen können. Aber: „Wie sollen wir einschätzen, was leichte und was starke Erkältungssymptome sind?“, fragt sich die Leiterin, die namentlich nicht genannt werden möchte. Konkret: „Ist drei mal Niesen in der Stunde eine Lapalie oder schon ein Grund, die Eltern zu verständigen?“

Direkt angehustet

Sie und weitere Erzieher finden: „Kranke Kinder gehören generell nicht in die Kita!“ Diese klare Regelung wünschen sie sich zurück, auch wenn der Schwarze Peter dann wieder zu den Eltern wandere. Das Infektionsrisiko in diesem Beruf sei ohnehin überdurchschnittlich hoch. „Wir werden angehustet, angeniest - und ein fieberndes Kind werden wir sicher auch nicht allein lassen“, heißt es in einem Brief an die Redaktion.

„Das ist kein Job, den man macht, um reich zu werden“, sagt Cosima Ahmad, Leiterin des in der Gartenstadt gelegene. Humanistischen Hauses für Kinder Anna Steuerwald Landmann in der Gartenstadt über das Berufsbild der Erzieher. „Um so mehr brauchen wir aber Wertschätzung - und die fehlt uns momentan komplett.“ Damit meint sie nicht die Eltern, die viel Verständnis aufbringen - aber eben auch oft nicht wüssten, unter welchen Bedingungen zwischen dem Bringen und dem Abholen gearbeitet werde.

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