«Warum soll es keine neue große Moschee geben?»

1.9.2007, 00:00 Uhr
«Warum soll es keine neue große Moschee geben?»

© Daut

Herr Oechslen, Sie haben in der Vergangenheit gegenüber den kirchenleitenden Organen gelegentlich eine sehr kritische Haltung eingenommen. Sie sprachen von einem übersteigerten Harmoniebedürfnis. Müssen Sie nun nicht gerade als Islambeauftragter auf Übereinstimmung und Einklang mit den Moslems bedacht sein?

Rainer Oechslen: Ich gebrauchte den Begriff «aggressive Harmonie» einmal mit Blick auf die Beratungen in der Landessynode. Die hat zwei Aufgaben, nämlich die Kontrolle des Landeskirchenrates und die Sorge um die Einheit. Die zweite Aufgabe war ihr immer lieber als die erste. Mit Blick auf den Islam wäre allzu viel Harmonie schädlich.

Beim Dialog zwischen den Religionen ist ein zu schnelles Vereinnahmenwollen des anderen auf die Dauer kontraproduktiv. Da gibt es in der Geschichte sehr wichtige Erfahrungen, zum Beispiel im Verhältnis zwischen der christlich geprägten und der jüdisch geprägten deutschen Kultur zwischen den Jahren 1820 und 1930, in der Zeit als die Juden emanzipiert waren. Da hat man versucht, die Differenz zwischen Christen und Juden möglichst gering zu machen. Später ist ja dann sehr deutlich geworden, dass sich das nicht bewährt hat.

Andererseits gab es das andere Extrem, den Antisemitismus im Kaiserreich, wo man versucht hat, die Juden als Fremdkörper in der deutschen Kultur darzustellen, was natürlich auch vollkommen falsch war. Man muss also Distanz und Nähe in solchen Fragen jeweils sehr genau ausloten.

Was heißt das in Bezug auf den Islam?

Oechslen: Es ist ganz sicher so, dass jeder ernstzunehmende muslimische Gesprächspartner von uns kein weich gespültes Christentum erwartet. Wenn ich dort zu einem Vortrag über die Hauptinhalte christlichen Glaubens eingeladen werde und dann sage: Also, das mit dem christlichen dreieinigen Gott ist nicht so wichtig, dann bin ich für die nicht mehr interessant. Die wollen ja ein authentisches Christentum kennenlernen.

Es hat keinen Sinn, sich selbst zu minimalisieren oder eigene Glaubensinhalte abzuschwächen. Da hat man in der Vergangenheit vielleicht auch manchmal Fehler gemacht. Gleichzeitig spukt aber in manchen Köpfen auch die Vorstellung herum, die Muslime wollten uns in unserem Land majorisieren. Das halte ich für eine ganz depressive Einstellung. Wenn man vom eigenen Glauben und der Aufgabe der Kirche hier überzeugt ist, wird man doch nicht denken, dass die Muslime uns an die Wand drücken können. Das halte ich ehrlich gesagt für absurd.

Die theologischen Streitpunkte interessieren die Menschen vielleicht gar nicht so sehr. In der Öffentlichkeit geht es um den Bau von Moscheen oder einen Frauenbadetag. Was würden Sie sagen, wenn Moslems auch in Nürnberg an prominenter Stelle ein Gotteshaus bauen wollten?

Oechslen: Auch in dieser Frage kann man einiges an der Geschichte Nürnbergs studieren. Es gab Anfang des 19. Jahrhunderts kleine, unbedeutende Synagogen. Dann wurde die große, repräsentative Synagoge am heutigen Hans-Sachs-Platz gebaut, die dann von den Nazis zerstört wurde. Dieses Haus, das übrigens mit Sankt Sebald und Sankt Lorenz ein Dreieck bildete, wurde in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts eingeweiht. Da waren auch die christlichen Kirchen stark vertreten, und man hat der jüdischen Gemeinde zum Bau der Synagoge gratuliert.

Das müsste heute auch beim Bau einer Moschee genau so wieder sein. Die Muslime haben zwar in unserem Land keine so lange Geschichte wie die Juden, trotzdem kann ich das Bedürfnis nach einem repräsentativen Gebäude, das neben christlichen Kathedralen steht, nachvollziehen. Wenn es finanzierbar ist und vom Stadtbild her zu realisieren ist, warum soll es das nicht geben dürfen?

Woher kommen die Vorbehalte und Ängste gegenüber solchen Bauten?

Oechslen: Alles was fremd ist, macht offenbar erst einmal Angst. Das hat auch etwas zu tun mit der Verunsicherung in der eigenen Identität. Die Veränderung der gewohnten Lebenswelt wirkt sich in vielerlei Hinsicht bei den Menschen tief verunsichernd aus. Auch das kirchliche Leben hat sich stark geändert. In solchen Situationen glauben viele, alles, was irgendwie neu oder fremd ist, ist gefährlich, weil man sich eigentlich wünscht, dass es wieder so wäre wie früher. Man möchte diese geschlossene Gesellschaft der früheren Jahre gerne wieder haben, aber die kommt natürlich nicht mehr wieder.

Was kann man gegen diese Ängste und Verunsicherungen tun?

Oechslen: Das Wort Multikulti ist für viele ein Reizwort, aber wir müssen ganz ernsthaft anerkennen: Wir haben verschiedene Kulturen in unserem Land und in unserer Stadt. Wir haben auch nicht mehr das Monopol der deutschen Sprache. In der U-Bahn wird türkisch oder russisch geredet und das wird auf längere Sicht auch so bleiben. Wir haben nur noch nicht ganz im Bewusstsein, dass das was Gutes ist. Wir denken, das ist ein vorübergehender Ausnahmezustand, das wird aufhören, und in 30 Jahren reden die wieder alle deutsch, kaufen deutsch ein und essen Bratwürste mit Sauerkraut. Das kann man vergessen. Die Annahme der Realität gehört für mich dazu. Die gleichen Leute, die als Touristen in New York China-Town besuchen, wo sie kaum ein amerikanisches Wort hören, und das wunderbar finden, halten das hier für komisch.

Es gibt in Nürnberg viele lebendige Verbindungen zwischen Christen und Muslimen. Wo lässt sich da noch was verbessern?

Oechslen: Es war ja eine Zeit lang nicht sicher, ob die vorbildliche Dialog-Arbeit des Begegnungszentrums Brücke-Köprü der Kirche weitergehen kann. Mein Job als Dekan war es, diese Einrichtung finanziell und personell auf sichere Füße zu stellen. Das ist jetzt gelungen. Mittelfristig ist deren Existenz gesichert. So etwas bräuchten wir jetzt auch in München.

Dann geht es um Beratung von Gemeinden, die muslimische Nachbarn haben. Und ich muss Kontakt halten zu den verschiedenen muslimischen Gruppen. Dabei muss man sehen, dass es momentan in der ganzen Welt einen Trend zum Fundamentalismus gibt, den gibt’s bei Christen, Juden und Moslems. Die evangelischen Christen sind übrigens die Erfinder des Fundamentalismus.

Jetzt müssen wir versuchen, die muslimischen Kräfte zu stärken, die keinen fundamentalistischen Weg gehen. Und ich kann nur sagen: Eine gute Ausbildungsstätte für muslimische Theologen, wie sie in München geplant ist, können wir nur wollen. Nur so können wir den Dialog auch auf einem gewissen Niveau führen. Interview:

MICHAEL KASPEROWITSCH