Baudenkmäler in Gefahr

Wenn Häuser dick verpackt werden: Streitfall Fassadendämmung

28.8.2021, 06:00 Uhr
Um 1900 gab sich ein Steinmetz alle Mühe, das Mietshaus Helenenstraße 46 in Nürnberg-St. Johannis mit Schmuck im Nürnberger Stil zu verschönern. Doch 2016 wurde es mit Dämmplatten überklebt und katzenstreuweiß gestrichen.

© Boris Leuthold, NNZ Um 1900 gab sich ein Steinmetz alle Mühe, das Mietshaus Helenenstraße 46 in Nürnberg-St. Johannis mit Schmuck im Nürnberger Stil zu verschönern. Doch 2016 wurde es mit Dämmplatten überklebt und katzenstreuweiß gestrichen.

Erinnern Sie sich noch an diese Plakatkampagne, mit der die Kreditbank für Wiederaufbau (KfW) vor einigen Jahren für die energetische Sanierung von Altbauten warb? Da war ein hübsches Einfamilienhaus der 1920er Jahre – ein so genanntes "Kaffeemühlenhaus" – abgebildet, dem man digital eine Strickmütze mit Bommel übergestülpt hatte. So weit, so lustig.

Leider sieht die Realität der Gebäudesanierung nach der Energieeinsparverordnung (gültig 2001 bis 2020) und dem neuen Gebäudeenergiegesetz (GEG, seit 2020) nicht so rosig aus. Das Stadtbild und über kurz oder lang auch die Bauherren leiden an einer im Grundsatz richtigen Idee, die allzu oft ohne vorausschauende Planung und Verständnis für Architektur und städtebauliche Zusammenhänge umgesetzt wird.

Warum muss immer der ganze Bauschmuck weichen?

Auch der Denkmalschutz verhindert manchen optischen Missgriff nicht, wie man am Beispiel dieses historischen Bauernhauses an der Ziegelsteinstraße sieht - hier noch der Originalzustand 2015.  

Auch der Denkmalschutz verhindert manchen optischen Missgriff nicht, wie man am Beispiel dieses historischen Bauernhauses an der Ziegelsteinstraße sieht - hier noch der Originalzustand 2015.   © Boris Leuthold, NNZ

Dasselbe Bauernhaus verlor durch die Dämmung seiner Sandsteinfassade 2018 seine Aussagekraft.  

Dasselbe Bauernhaus verlor durch die Dämmung seiner Sandsteinfassade 2018 seine Aussagekraft.   © Boris Leuthold, NNZ

Dass eine effiziente Heizanlage, Isolierfenster oder gut aufbereitete alte Kastenfenster beim Energiesparen Wunder wirken können und zudem Geldbeutel und Umwelt schonen, ist bekannt und tut der Allgemeinheit nicht weh, im Gegenteil. Ob es aber dafürsteht, an einem historischen Gebäude sämtlichen Bauschmuck abzuklopfen, um ihn mit einem Wärmedämmverbundsystem zu verpacken, darüber gibt es Debatten.

Man hülle ein Fahrrad in Geschenkpapier

Und ja, diese sind berechtigt, denn die Optik eines solchen Bauwerkes und mögliche Folgeschäden bei unsachgemäßer Anbringung für die Hausbewohner, die gehen alle etwas an. Da mögen die, die absolut überzeugt sind von ihrer Dämmmaßnahme (oder sie insgeheim bereuen, es aber nicht zugeben wollen), noch so lange auf "Privatsache" und "Eigentumsrechte" pochen. Eine juristische Versicherung gegen Kritik gibt es gottlob nicht.

Auch in Nürnberg haben die Angst, die Knauserigkeit und die Unwissenheit mancher Hauseigentümer und der überbordende Geschäftssinn einiger Firmen und Berater Blüten getrieben, die man nur als grotesk bezeichnen kann. Manch gedämmtes Haus erinnert dann an die kläglichen Versuche von Eltern, das Fahrrad für den Nachwuchs in buntes Geschenkpapier zu hüllen. Nur leider geschieht das in den wenigsten Fällen ähnlich liebevoll, und die Hausfassaden werden selten wieder ausgepackt. Sogar Baudenkmale hat es erwischt, auch wenn man hier mutmaßen möchte, dass Eigentümer und Behörden nur das Beste im Sinn hatten.

Indes macht es auch den Laien etwas sprachlos, wenn Denkmaleigentümer zum Beispiel ausgerechnet eines der wichtigsten Merkmale eines Knoblauchsländer Bauernhauses, die Sandsteinfassade, mit Styroporplatten zukleben. Es gibt außerdem gewichtige Stimmen, die es mit Sorge betrachten, dass viele Dämmstoffe Fungizide und andere chemische Helferlein enthalten, die die Rache der Natur (Pilze, Algen) fernhalten sollen.

Nicht überall war es zuvor eiskalt und schimmelig

Dass das Ganze an den Hype um die berüchtigte Eternitplatte erinnert, die sich irgendwann als krebserregend herausstellte, kommt nicht von ungefähr. Nun sind Dämmstoffe nicht zwingend krebserregend, die meisten aber auch nicht umweltfreundlich und besonders langlebig. Die Entsorgung kommt schneller, als man denkt.

Die einfache, aber reizvolle Fassade des spätklassizistischen Wohnhauses Äußere Sulzbacher Straße 152 ist 2014 durch den Vollwärmeschutz völlig verschwunden.

Die einfache, aber reizvolle Fassade des spätklassizistischen Wohnhauses Äußere Sulzbacher Straße 152 ist 2014 durch den Vollwärmeschutz völlig verschwunden. © Boris Leuthold, NNZ

Hier dasselbe Wohnhaus im früheren Zustand in einer Aufnahme von 2013.

Hier dasselbe Wohnhaus im früheren Zustand in einer Aufnahme von 2013. © Boris Leuthold, NNZ

Eifrige Verfechterinnen und Verfechter der Radikalsanierung tun so, als hätten die Menschen vor gut einem Jahrhundert und davor im Winter bei Eiseskälte in schimmeligen Häusern gebibbert – und das, obwohl die meisten alten Häuser, die heute noch stehen, schon bei ihrem Bau wohlhabenden Eigentümern mit entsprechenden Ansprüchen gehört haben. Den qualitativ minderwertigeren Rest hat in der Regel der Lauf der Zeit entsorgt.

Einheitsbrei aus Styropor in Knallfarben

Klar ist: Der Klimawandel ist da und Energie wird immer teurer. Trotzdem bringt es nichts, in unkoordinierten Aktionismus zu verfallen und unbesehen auf alle Versprechungen der Industrie hereinzufallen. Besser ist es, Fachplaner und seriöse Energieberater mit Erfahrung im Altbausegment heranzuziehen, die einem horrende Ausgaben und Verschandelung des Stadtbildes ersparen können. Ein einfacher Rat: Wer nicht zuhört oder gar Angst macht, handelt nicht seriös.

Durch planlose energetische Sanierung und vor allem durch Fassadendämmung gehen dem Stadtbild viele kostbare Details verloren, wird das Individuelle an unserer historisch gewachsenen Stadt zu einem seelenlosen, zumeist weiß oder knallfarbigen Einheitsbrei aus Styropor, ein Ort ohne Seele und ohne Zeit, wo man nicht tot über dem Zaun hängen will.

Befreiung von Vorgaben ist für manche Häuser möglich

Am Ende noch ein Tipp für alle Eigentümer historischer Gebäude, die denken, sie müssten dämmen, das aber nicht wollen: § 105 des GEG bietet den Eigentümern von Gebäuden, die von der Kommune als erhaltenswert eingestuft werden, die Befreiung von dieser zweifelhaften Vorgabe. Wenden Sie sich dazu an die örtliche Bauordnungsbehörde.

Die 1925 erbaute Straßenbahner-Wohnanlage in der Schopenhauerstraße 23–27 ist nach ihrer Dämmung 2013 mit einem konfusen Neuanstrich nur noch ein Schatten ihrer selbst, zum Beispiel verschwand die Struktur des Erkers.  

Die 1925 erbaute Straßenbahner-Wohnanlage in der Schopenhauerstraße 23–27 ist nach ihrer Dämmung 2013 mit einem konfusen Neuanstrich nur noch ein Schatten ihrer selbst, zum Beispiel verschwand die Struktur des Erkers.   © Boris Leuthold, NNZ

Außerdem sieht das GEG einen Grundsatz zur Wirtschaftlichkeit (§ 5) vor. Wenn sich die Dämmung binnen einer gewissen Frist – für die alte EnEV waren das laut gerichtlichen Entscheidungen zwischen 20 und 30 Jahren – nicht amortisiert, brauchen Sie nicht zu dämmen. Ihre Jugendstilfassade oder Ihr 50er-Jahre-Sgraffito muss also nicht unter Styropor verschwinden – zu Ihren Gunsten und zum Wohle des Stadtbildes.

Die Autoren sind Mitglieder der Initiative "Nürnberg – Stadtbild im Wandel".

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