"Wie im Gefängnis": Geflüchtete Frauen hadern mit Unterkunft

15.1.2020, 16:22 Uhr
Die Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete beherbergt 45 Frauen und 30 Kinder. Das Foto stammt aus dem Sommer 2017.

© Eduard Weigert Die Gemeinschaftsunterkunft für Geflüchtete beherbergt 45 Frauen und 30 Kinder. Das Foto stammt aus dem Sommer 2017.

Eine schmale Straße steigt hinterm Tiergarten steil nach oben, es riecht nach Raubtier und manchmal hört man Löwen brüllen, mitten im Wald. Kann man abgeschiedener wohnen? Schwer vorstellbar. 45 Frauen und 30 Kinder leben hier, das Haus könnte sogar 140 Menschen aufnehmen, wären die Flüchtlingsströme nicht weitgehend versiegt. Seit zwei Jahren ist das einstige Tiergartenhotel eine Unterkunft für geflüchtete Frauen und ihre Kinder.


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Sie fürchten hier nicht nur die lähmende Langeweile, die alle zur Untätigkeit Verurteilten peinigt. Oder die drohende Abschiebung, die ihre Nächte unruhig macht. Ihnen graut es auch vor dem Weg durch den Wald, wenn es dunkel ist. Alina (alle Namen geändert) aus Aserbaidschan, Dina aus Georgien und ein paar andere Frauen, die sich am Tisch eines provisorischen Gemeinschaftsraumes einfinden, erzählen davon auf Englisch. Gewalt haben sie kennengelernt, von Ehemännern, Angehörigen, Fremden. Viele sind deshalb auf der Flucht.

© Foto: Claudine Stauber

Was die Frauen im Tiergartenhotel nicht ahnen: Manche Menschen haben vor ihresgleichen Angst. Als aufkam, dass dort oben im Reichswald eine Asyl-Unterkunft für Männer und Frauen geplant war, beschwerten sich Anwohnerinnen, sie könnten nicht mehr joggen gehen, wenn dort oben Flüchtlinge leben würden. Und ein prominenter Bewohner des Stadtteils griff ein. Markus Söder, damals Finanzminister, ordnete an, dass die mittelfränkische Regierung als Träger hier statt der gemischten eine reine Frauenunterkunft installieren sollte. Das berichten sehr gut informierte Kreise.

Die Stadt Nürnberg war von Anfang an gegen diese Lösung am abgelegenen Standort. Läden, Kitas, Schulen, alles sei viel zu weit weg. Dazu sechs Etagen ohne Aufzug, die Mütter müssen ihre Kinder nach oben tragen. Nur langsam, ganz langsam hat sich das sechsstöckige Gebäude gefüllt. Das ist der Trend. 2016 betrieb allein die Kommune noch 175 Unterkünfte, heute sind es nur noch 45, es sollen noch weniger werden; eine davon ist eine sogenannte Schutzunterkunft für geflüchtete und traumatisierte Frauen. Die Adresse wird geheimgehalten.

Ohrenbetäubender Lärm

Das einstige Hotel am Schmausenbuck wurde umgebaut, im Inneren ist alles gleißend weiß. Jedes Zimmer hat eine Feuerschutztüre, die krachend schließt, und auf den kahlen Fluren spielen die Kinder und machen, ob sie wollen oder nicht, ohrenbetäubenden Lärm. Alles wirkt steril. "Leider gibt es keinen Spielplatz für die Kinder", sagt Petra Volkart, die hier zusammen mit Ute Steckbeck vom Helferkreis "Mögeldorf hilft" ehrenamtlich aktiv ist. Der Hauseigentümer würde ihn bauen, doch die Regierung fürchte Folgekosten und Haftungsfragen.

Vor der Sanierung wurde das Gebäude am Tiergarten als Hotel genutzt.

Vor der Sanierung wurde das Gebäude am Tiergarten als Hotel genutzt. © Roland Fengler

Die Frauen, sagen die Betreuerinnen, lebten hier "wie auf dem Abstellgleis". Alles habe nur den Zweck, sie mürbe zu machen, damit sie freiwillig gehen: dass sie alle vier Wochen neue Aufenthaltspapiere im Amt holen und dort lange warten müssen. Dass sie keinen Integrationskurs besuchen können, weil sie keinen Krippenplatz bekommen und keinen Job ohne Deutschkenntnisse und Kita-Platz. Ein Teufelskreis. Deshalb spricht Dina aus Georgien, die Dolmetscherin ist, zwar fließend Englisch. Doch ihr Deutsch ist nach über zwei Jahren immer noch dürftig. Sie fühle sich "wie im Gefängnis", sagt sie, jeder Tag bestehe aus "Essen, Schlafen, Warten". Vorerst sicher vor Verfolgung und Gewalt, gerinnt ihr Leben hier über die Jahre zu quälender Eintönigkeit.

Isomatten eingesammelt

Die resolute Petra Volkart, deren Ehrenamt längst zum Vollzeitjob ausgeartet ist, muss einfallsreich sein, um ein wenig helfen zu können. Beim "Rock im Park"-Festival hat sie im Sommer zurückgelassene Isomatten eingesammelt und auf die abschüssige Betonfläche vor dem Haus gelegt. Darauf stand dann ein Mini-Planschbecken.

© Foto: Claudine Stauber

Sie bettelt um Spenden ("Nicht alle geben für Flüchtlinge"), um einen Zirkusbesuch oder einen Tag im Hallenbad zu ermöglichen. Ein paar Vorhänge, ein Regal, das eigentlich nicht erlaubt ist, ein paar Buntstifte, mit denen die Kleinen gerade am bloßen Boden auf Papier malen, während die Mütter erzählen, alles treibt die 57-Jährige irgendwo auf.

Neulich saßen die Ehrenamtlichen mit weinenden Frauen nachts stundenlang zusammen, weil eine Mitbewohnerin und ihre Kinder mit großem Polizeiaufgebot unter dramatischen Umständen abgeholt und abgeschoben wurden. Volkart: "Erklären Sie den Kindern danach mal, dass ein Polizist etwas Gutes ist . . ."

Einem kleinen Jungen aus Äthiopien hat Petra Volkart sogar einen Vater beschert. Das Kind litt, weil es keinen Papa vorweisen konnte. Also stellte die Mögeldorferin kurzentschlossen ein kitschiges Jesus-Bild im Zimmer auf. Fragt man ihn jetzt nach seinem Vater, sagt der Bub strahlend, der heiße Jesus.

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