«Wie kann ich Leara das Leid ersparen?»

22.10.2008, 00:00 Uhr
«Wie kann ich Leara das Leid ersparen?»

© Sippel

Seitdem hat sich das Leben von Anja Graser komplett geändert. Die Verwaltungsfachwirtin kehrt nicht in ihren Beruf zurück. Die alleinerziehende Mutter entschließt sich, ihr Leben bis auf weiteres ihrer Tochter Leara zu widmen. Sie trotzt den Diagnosen der Ärzte. Die sind vernichtend. «Am Anfang hieß es, Leara wird nicht überleben. Dann hieß es, sie wird die erste Lungenentzündung nicht überleben», sagt Anja Graser. Und fährt fort: «Die hatte sie bis heute nicht. Sie ist vier und erfreut sich guter Gesundheit.»

Therapie nach dem Pörnbacher Konzept

Anja Graser hat gelernt, zwischen Behinderung und Gesundheitszustand zu unterscheiden. Das verdankt sie einer Therapieform, auf die sie stieß, als Leara zwei Jahre alt war: der Therapie nach dem Pörnbacher Konzept.

Zentrales Element dieses Konzepts, das die Münchner Logopädin Traudel Pörnbacher entwickelt hat, ist die Lagerung des Kindes. Es liegt auf dem Bauch auf einem Schaumstoffkeil und wird fixiert von einer Halterung an der Hüfte und zwischen den Beinen, wobei letzteres ähnlich wie eine Spreizhose wirkt. Das Pörnbacher Konzept kann bei verschiedenen Behinderungen - beispielsweise auch bei Down Syndrom - und in jedem Alter angewandt werden.

Anja Graser lernt Michaela Cyriax-Schmidt kennen, die sich als Krankengymnastin gerade selbstständig macht und nach dem Pörnbacher Konzept arbeitet. Von nun an liegt Leara fast den ganzen Tag auf dem Keil und schläft nachts sogar darauf. Das hat bei Außenstehenden bereits mitleidige Äußerungen hervorgerufen, ist jedoch laut Anja Graser das Beste, was Leara widerfahren konnte. Ihr Gesamtzustand hat sich dadurch enorm verbessert. «Seitdem hat sich ihr Nacht-Tag-Rhythmus normalisiert», sagt Anja Graser, die sich nur zu gut daran erinnert, wie ihre Tochter in den ersten beiden Lebensjahren jede Nacht mehrere Stunden lang weinte - vor Schmerzen, wie die 36-Jährige im Nachhinein vermutet.

Die Beschwerden verschlimmern sich

Mögliche Schmerzquellen habe es mehrere gegeben, weiß Anja Graser inzwischen. Typische Beschwerden schwerstbehinderter Kinder wie Leara sind Skoliose (Verdrehung der Wirbelsäule), drohende Hüftluxation (Ausrenkung der Gelenke) verursacht durch schwere Spastiken, ständige Verschleimung und damit Bronchialinfekte und Mittelohrentzündungen. Meist verschlimmern sich diese Beschwerden im Lauf der Zeit - mit weitreichenden Folgen. Eine Skoliose beispielsweise kann sich so weit entwickeln, dass durch die Verdrehung der Wirbelsäule innere Organe gequetscht werden. Als mögliche Maßnahme kann dem Behinderten eine Prothese verpasst werden, in letzter Instanz wird ein Eisenstab in die Wirbelsäule gesetzt.

«Die Folgen der Behinderung sind so grausam», sagt Anja Graser, die frühzeitig mit einem Kinderhospiz in Kontakt trat und sich dort mit anderen Eltern austauschen konnte, die unterschiedlich alte Kinder haben. «Im Hospiz sieht man natürlich auch alles andere», sagt sie lapidar. Ihr Gedanke sei gewesen: «Wie kann ich Leara das ersparen?»

Auch Ernährungsprobleme gehören zur Latte der Widrigkeiten, mit denen Schwerstbehinderte sich oft abquälen. Leara kann inzwischen essen und trinken, aber das war nicht immer so. Acht Stunden am Tag habe sie Leara gefüttert, ihr die Milch Tropfen für Tropfen eingeflößt, erklärt die Mutter. Da Learas Mund immer offen stand und sich ihr Kehldeckel in der Rückenlagerung nicht richtig schloss, konnte sie nicht richtig schlucken und erbrach sich häufig.

Wirbelsäule und Hüfte liegen in optimaler Position

Dies passiert ihr in der Bauchlage auf dem Keil nicht mehr. Michaela Cyriax-Schmidt zählt weitere Vorteile auf: So sei die Wirbelsäule bei dieser Lagerung gerade ausgerichtet, und auch die Hüfte liegt immer in optimaler Position. Die Verschleimung gehe zurück. Learas Arztbesuche sind selten geworden, seit sie nach dem Pörnbacher Konzept behandelt wird, bestätigt Anja Graser.

Michaela Cyriax-Schmidt arbeitet aber nicht nur an den Muskeln und dem Bewegungsapparat, sondern bezieht die Augen und das Hören mit ein. Das Konzept sei ganzheitlich und richte sich nach dem normalen Entwicklungspotenzial eines Kindes, so die Therapeutin. Zudem ermöglicht es die Mitwirkung der Eltern.

Zwar ist Leara stark schwerhörig und sehbehindert, durch die Lagerung auf dem Keil sei jedoch das Gleichgewichtsorgan in ihrem Innenohr aktiviert worden, so dass sie mittlerweile Geräusche filtern kann und eine Raumorientierung hat. Die Folge: Leara «flippt nicht mehr wie vorher aus», so Anja Graser, wenn sie sie beispielsweise zum Einkaufen mitnehme.

«Ich hätte mir viel ersparen können, wenn ich das Pörnbacher Konzept von Anfang an gekannt hätte», glaubt Anja Graser. Anderen Eltern will sie es einfacher machen. Zusammen mit Michaela Cyriax-Schmidt hat sie den Verein «Leara» gegründet. Dieser will schwerbehinderte Kinder und ihre Angehörigen unterstützen, mit Hilfsmitteln beispielsweise - bisher finanziert mit einer Spende der DiBa -, aber auch mit Beratung.

Im November veranstaltet der Verein mit einer Lehrtherapeutin eine Kursreihe zum Pörnbacher Konzept für Eltern, Pädagogen und Therapeuten. Geplant ist außerdem, einen Betreuungsdienst einzurichten. Dafür sucht der Verein Interessierte, die sich nach dem Pörnbacher Konzept schulen lassen wollen.

Leara e.V., c/o Anja Graser, Gabelsbergerstr. 59, 90459 Nürnberg, 09 11/4 39 56 87, E-Mail: kontakt@l eara.de, Spendenkonto 458279, Bankleitzahl 760 606 18, VR-Bank Nürnberg

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