Wiglaf Droste im NZ-Interview

4.5.2009, 00:00 Uhr
Wiglaf Droste im NZ-Interview

© Pflug

NZ: Erstaunlich, dass Sie sich mal wieder nach Nürnberg trauen. Wo doch Ihre Lesung hier in der Galerie Röver von Sabotage-Attacken militanter Feministinnen überschattet war. Sie erinnern sich?
Wiglaf Droste: Der Kaffee, den sie mit dieser Frage aufwärmen, ist nicht nur längst kalt, der ist schon verdunstet und eingetrocknet wie die Leute, die ihn damals aufbrühten. Das waren HyHys – hyperaktive Hysteriker, übrigens beiderlei Geschlechts, die sich vor zehn, fünfzehn Jahren landesweit trittbrettfahrerisch an meine Auftritte anflanschten und vergeblich versuchten, sowohl meine Arbeit als auch den Genuss des Publikums zu verhindern. Unfähig, einen phrasenfreien Text zu lesen oder zu verstehen, brüllten sie «Sexist!» oder was man nach der damaligen Mode eben sonst noch so brüllte, und gönnten niemandem den Luxus eines Arguments oder eines Belegs.

NZ: Der Galerie Röver wurde damals die Tür zugeklebt.
Droste: Dem trüben Konformismus, den Verleumdungen und den Denunziationen dieser Denk-Ersatz-Gruppen hat die Familie Röver damals sehr viel Courage entgegengestellt. Ich war ja am nächsten Tag immer wieder weg, weiter unterwegs. Aber die Galerie Röver hat am eigenen Standort klar gemacht, dass der Hohlklang, der beim Zusammenstoß eines Dummkopfes mit einem Buch entsteht, eben nicht aus dem Buch kommt. Dafür haben die Anonymfeiglinge sich dann ja auch gerächt. Das Elend hat viele Gesichter, und aus nicht wenigen davon schwallt es linksgemeint.

NZ: Mit dem Stuttgarter Meisterkoch und Autor Vincent Klink geben Sie die kulinarische Kampfschrift «Häuptling Eigener Herd» heraus. Im jüngsten Buch weisen Sie sich aber auch als Kenner westfälischer Currywurstbuden aus. Ist das nicht ein arger Spannungsbogen für die «Rolle» des Mannes?
Droste: Die Geschichte über den ambulanten Verzehr spannt den Bogen von jugendlichen Bratwurstbudenexzessen über das Essen auf Rädern, das Menschen serviert wird, die sich gegen solches Futter leider nicht mehr erfolgreich zur Wehr setzen können, bis zum abscheulichen Anything to go. Coffee to go heißt auf deutsch entweder Café Togo oder Kaffee zum Davonlaufen. Das alles sind Themen für die kulinarisch-literarisch-politische Vierteljahresschrift Häuptling Eigener Herd, die Vincent Klink und ich seit zehn Jahren gemeinsam herausgeben, getreu der Devise: Wir schnallen den Gürtel weiter.

NZ: Sie schnallen den Gürtel weiter?
Droste: Ja, was aber bitte vor allem außerphysisch zu verstehen ist. Als kürzlich Heft 38 zum Thema Kinder erschien, wunderbar realistisch gezeichnet von Guido Sieber, stellten Vincent und ich fest: Unser Kind ist schon zehn! Wenn im Herbst Heft 40 herauskommt, feiern wir.

NZ: Welchen Dialekt empfinden Sie als den Schlimmeren: den bayerischen, über den Sie schreiben, dass er sich noch nicht «zum Mitglied der Menschensprachfamilie entwickelt hat»? Oder den sächsischen, der Ihnen im Essay «Ist das der Zug nach Kötzschenbroda» widerfährt?
Droste: Das Zitat über das Bayerische geht noch weiter: « . . . es entstammt noch direkt dem rückwärts gewandten Teil einer muffigen Lederhose; in Bayern nennen sie das, auch anatomisch verblüffend, Mundart.» Inspiriert worden ist dieser Exkurs vom Chef des Münchner Literaturhauses, einem dieser groben Mir-san-Mir-Aggressionsbayern, die es eben auch gibt und die leider das Bild des Bayern in der Welt prägen. Wenn vier Münchner Krachlederköpfe einen Speisewagen mit 28 Plätzen betreten, dann ist der akustisch bis zum Platzen voll.

NZ: Au backe, und jetzt müssen Sie nach Franken.
Droste: Nein, das Fränkische kann ich als reizend empfinden, weil ich so reizende Vertreter Frankens kennenlernte: die Zeichner Achim Greser und Heribert Lenz, meine Verlegerin Antje Kunstmann und meinen Verleger Klaus Bittermann, der aus Kulmbach stammt, seit Jahrzehnten in Berlin lebt und seinen Lieblingsschriftsteller Hunter S. Thompson immer noch «Anda Es Dommsen» nennt. Wenn wir zusammen im Auto unterwegs sind, suche auch ich mit Vergnügen nach einem «Barkblatz». Das Sächsische wiederum ist allzu leicht Gegenstand allzu billigen Spottes; das hat schon der hochpoetische Sachse Joachim Ringelnatz moniert. Und knapp 20 Jahre nach dem Ende der DDR mit dem Sächsischen immer noch DDR-Grenzorgane zu assoziieren, wie das viele Westdeutsche tun, ist doch sehr verschnarcht und vorgestrig.

NZ: Wenn Sie nicht auf Tour sind, leben Sie meistens in Leipzig. Dort gibt es eine Lokalzeitung. Eine, die wie die meisten Lokalzeitungen im Mediendschungel um Aufmerksamkeit kämpft. Wie nehmen Sie solche Blätter wahr?
Droste: Der Leipziger Tageszeitungsjournalismus krankt am Springer-Monopol. Es gibt ausschließlich «Bild Leipzig» und die «Leipziger Volkzeitung», kurz LVZ. In einem Land, in dem «Bild» als Zeitung durchgeht, gelten Friseure als Hirnforscher. Die LVZ ist nicht anders, nur bräsiger. Politisch und wirtschaftlich ist das Blatt grundkorrupt, und kulturell ist es peinlicher als provinziell, nämlich provinziell mit der Attitüde von großer Welt. Wenn Sie in der LVZ auf ein paar zusammenhängend unfallfreie Sätze stoßen, dann haben Sie wahrscheinlich eine Agenturmeldung oder einen Leserbrief erwischt.

NZ: Bastian Sick hat mit seinem Buch «Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod» viele Leser erreicht. Sie aber schimpfen ihn «Deutschlehrermaskottchen» – und verfassten nun selbst «Eine kleine Sprachkritik»: «Im Sparzett der Friseure». Wessen Tod ist der Wiglaf?
Droste: Der Begriff der «Sprachkritik» ist mehrdeutig; Gustav Seibt schrieb in der Süddeutschen Zeitung, meine Art der Sprachkritik habe «mit dem grässlichen Genre der knöllchenverteilenden Sprachschurigelei, dieser verbreitetsten Besserwisserlust des Spießers, nichts zu tun» und klärte das Missverständnis auf: «Nicht Grammatikfehler oder inkorrekter Dudengebrauch sind das Thema, sondern alle Arten Schwachsinn in öffentlicher Rede, in Reklame, Politik und Feuilleton.»

NZ: Sie singen in einer Boygroup namens «Spardosenterzett». Ihr jüngstes Buch trägt den Titel «Im Sparadies der Friseure» – und enthält einen Essay über den «Weltspartag». Klingt nach Sparkassenkunden-Trauma.
Droste: Das Essener Jazztrio Spardosenterzett besteht aus Rainer Lipski, Mickey Neher und Kai Struwe. Manchmal komme ich als vierter Mann dazu, singe also nicht im Spardosenterzett, sondern mit ihm. Der Name ist auch viel älter als unsere Zusammenarbeit Sparadies ist ein Reklamewort, das die Sparkasse selbst in die Welt gebracht hat – mit demselben Wortspielhöllenfuror, mit dem Friseure ihre Schuppen «Haarakiri» nennen, «Kamm in», «Haireinspaziert» oder sogar noch scheußlicher; darum geht es in der Titelgeschichte. Mit dem Weltspartag habe ich mich an eine Zeit und an eine kindliche Lebensphase erinnert, als Geld noch harmlos war. Von Sparkassen-Trauma also keine Spur bei mir. Wenn man allerdings die krisen- und krisengeredegeschüttelten Landsleute mit ihren Sparschlitzmündern und ihrem geizigen Gang näher betrachtet, kann man ermessen, wie unverhältnismäßig viel Macht über ihr Leben und ihr Glück sehr viele Menschen ausgerechnet Geldinstituten zugestehen.

NZ: Eine andere Geschichte ist die mit Hitler. Sie haben im Vorwort Ihrer Genuss-Artikel Sammlung zum Thema «Wein» verraten, ein Sachbuch zum Thema Hitler hätte Ihnen auch gereicht – denn dann wäre die Titelstory im «Spiegel» gebongt. Was nun das «Sparadies der Friseure» betrifft, haben Sie es wiederum mit einem Affen illustrieren lassen, der seiner Haartracht entsprechend nur Adolf heißen kann. Zufall?
Droste: «Wein» war, nach «Wurst» und «Weihnachten» das dritte Buch, das Vincent Klink, der Kölner Zeichner und Illustrator Nikolaus Heidelbach und ich gemeinsam gemacht haben. Zum dritten Band innerhalb von zwei Jahren habe ich dann, halb von Arbeit zerdullert, halb spöttisch-ironisch angemerkt, dass wir mit dem Thema Hitler in Mediendeutschland noch ganz anders einschlagen könnten. In Hitler sind offenbar immer noch viele vernarrt, nicht nur Guido Knopp, die Hitlerwiederaufbereitungsanlage des ZDF. Warum Nikolaus Heidelbach für die «Sparadies der Friseure»-Titelillustration einen etwas hitlerisch frisierten Affen gezeichnet hat, weiß ich nicht – ich habe das Bild gesehen, gelacht und mich sehr gefreut. Aber Nikolaus Heidelbach kann Ihnen das sicher sagen; der zeichnet und malt nicht nur sauschön, der kann auch noch genauso gut erklären.

NZ: Man trifft Sie momentan häufig auf Schloss Rheinsberg an. Dort sind Sie bis Juli der «Stadtschreiber». Wie folkloristisch ist der Job?
Droste: Nürnberg hatte mal Stadtindianer, Rheinsberg leistet sich seit 15 Jahren zweimal im Jahr für jeweils fünf Monate einen Stadtschreiber. Damit liegt Rheinsberg eindeutig vorne, oder? Peter Böthig vom Kurt Tucholsky-Literaturmuseum im Schloss Rheinsberg ist ein Gastgeber alter Schule und drückt den Stadtschreibern keinerlei inhaltliche Vorgaben auf. Man muss sich weder mit Tucholsky beschäftigen noch mit dem in der Mark Brandenburg omnipräsenten Theodor Fontane; nicht mit preußischer Geschichte, nicht mit dem jungen Friedrich, der in Rheinsberg die Korrespondenz mit Voltaire begann und dort seinen «Anti-Machiavelli» schrieb – man muss das nicht, aber es lohnt die Zeit. Genauso gut und schön kann man einfach durch die Landschaft strummseln, die Seen umradeln oder sie im Kajak durchzischen, im glasklaren Wasser des Stechlin- oder des Wittwe-Sees baden und abends wunderbar Fisch essen: Maräne, Aal und Zander, legt euch zueinander. / Macht ruhig etwas schneller, ja, kommt auf diesen Teller!

NZ: Heute lesen Sie im Nürnberger «Hirsch». Was rät ein «Häuptling Eigener Herd» für den Umgang mit Hirschen?
Droste: Das nächste Buch von Vincent Klink, Nikolaus Heidelbach und mir heißt «Wild». Das Wort ist reizvoll doppeldeutig: Einerseits hat man das Wild des Waidmannes vor Augen, andererseits eben auch wilde Dinge. «Born to be wild» oder «Born to be Wildbret», das ist hier die Frage. Ich sehe den Maibock mit Sonnenbrille auf der röhrenden Harley schon genauso vor mir wie das hinreißende Reh auf dem Soziussitz. Und das passt in den «Hirschen», diesen mit Rock’n’Roll-Legenden gepflasterten und patinierten Platz in Nürnberg.

NZ: Sie haben sich auch als Meister in der fantasievollen Pidgin-Poesie hervorgetan. Wollen Sie den Lesern der Nürnberger Zeitung noch Grüße dieser seltenen Art bestellen?
Droste: Eine aktuelle Pidgin-Poesie gibt es im Moment nicht; passend zur Lesereise aber diese:

Der Leseesel

Leseesel, Leseesel,

vorwärts, rückwärts: Leseesel,

hinzu, rückzu: Leseesel

Leseesel, Leseesel.

Gibt so viele Lebewesen,

aber nur ein Lesewesen.

Esel, Esel ist’s gewesen:

Muss stets eseln, muss stets lesen:

eseln, Anagramm von lesen.

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