Wo sich die Reiterin zum Leittier entwickelt

3.3.2012, 07:59 Uhr
Wo sich die Reiterin zum Leittier entwickelt

© Eduard Weigert

Zunächst bin ich mir nicht so sicher, ob ich wirklich die Richtige für diesen Job bin. Meine Ahnung von Pferden ist, gelinde gesagt, sehr rudimentär. Mal abgesehen von ein paar Runden auf diversen Ponyrücken als Kind auf der Kirchweih und zwei Schnupperreitstunden, die ich mir als Teenager mal vom Weihnachtsgeld der Oma gönnte, habe ich nicht viel Erfahrung. Zumindest habe ich keine Angst vor Pferden, wohl aber gehörigen Respekt.

„Das ist doch schon mal was“, beruhigt mich Brigitte Loibl. Bevor mich die Rai-Reitlehrerin in den Sattel lässt, bekomme ich zunächst eine Einführung in die Theorie. „Beim Rai-Reiten wollen wir verstehen, warum ein Pferd wie reagiert“, erklärt die 48-Jährige. Daher müsse man sich vor allem mit der Psyche der Tiere beschäftigen. Welche Gefühle haben sie? Von welchen Trieben werden sie geleitet?

Geborgenheit vermitteln

„Pferde sind Herdentiere und ganz wichtig ist der Dominanztrieb.“ Was vereinfacht ausgedrückt bedeutet: Pferde brauchen einen Chef, der ihnen sagt, wo es langgeht. „Das Leittier strahlt Souveränität aus und vermittelt dadurch Geborgenheit“, sagt Loibl. Ein Prinzip des Rai-Reitens ist, dass der Mensch zum Leittier des Pferdes wird, dem es dann bereit- und freiwillig folgt. „Dabei verzichten wir auf Druck oder Schmerz, denn das kann Angst und Panik auslösen und das Pferd geht durch.“

Das will ich mal nicht hoffen. Insgeheim frage ich mich nämlich etwas besorgt, ob ich gleich im Sattel souverän genug sein werde, um als Leittier durchzugehen? Ritch, ein 16-jähriger Hengst der Rasse Welsh Cob und mein Schulpferd, ist zum Glück nicht ganz so groß, und ich komme ohne Mühe in den Sattel.

„Zum Anreiten leicht die Beine anziehen“, sagt Brigitte Loibl. Ich tue wie geheißen und Ritch reagiert prompt. So einfach ist das? Der Hengst ist natürlich gut erzogen und weiß, wie er mit unerfahrenen Reitanfängern umgehen muss. Innerlich danke ich ihm. „Gerade sitzen, Sie sind doch eine stolze Reiterin“, erinnert Loibl und lächelt mir aufmunternd zu. Ach ja! Ich korrigiere meine Haltung, dabei ziehe ich aber viel zu fest am „Bändele“, dem leichten Schnurhalfter, das beim Rai-Reiten statt Zügel und Trense verwendet wird.

Geführt von der Reitlehrerin drehen Ritch und ich ein paar Runden über den Übungsplatz. „Jetzt mal die Arme ausstrecken“, ruft Loibl, um mich ein bisschen von meiner Unsicherheit abzulenken. Es ist wohl nicht zu übersehen, dass mein Kopf viel zu sehr damit beschäftigt ist, nur ja alles richtig zu machen.

Aber so langsam kriege ich dennoch ein bisschen mehr Gefühl für das Tier und bin erstaunt, wie sensibel es auf die kleinsten Bewegungen reagiert. Ich muss Ritch nicht fest mit den Unterschenkeln in die Flanken drücken, wie ich es grob von meinen wenigen Reitstunden in Erinnerung habe. Brigitte Loibl erklärt mir, dass erfahrene Reiter nur noch den Kopf in eine bestimmte Richtung drehen müssen und das Pferd würde in eben diese Richtung laufen. Das sei aber schon die höhere Rai-Schule.

Für den Moment bin ich schon stolz, dass das mit dem Anreiten und Anhalten ganz gut klappt und ich auch einen leichten Trab überstehe. „Gut gemacht“, lobt Loibl am Ende der Reitstunde. Ich gebe das Lob gerne an Ritch weiter, der nun seiner Chefin treu hinterher trabt.

Seit 2009 betreibt die 48-Jährige im Nürnberger Norden in Lohe eine kleine Rai-Reitschule. „Das Besondere bei dieser Technik ist das absolute Vertrauen, das man gegenseitig aufbaut. Das Pferd wird zu meinen Füßen, ähnlich wie bei einem Centaur“, erklärt sie. Eine ganzheitliche Art zu reiten also, die hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, gemeinsam auszureiten und die Natur in aller Ruhe zu erleben. „Das ist dann ganz einfach Entspannung für Tier und Mensch.“

Pferde kein Sportgerät

Auch Cornelia Herzig ist überzeugte Rai-Reiterin. Die Fischbacherin ist neben Brigitte Loibl eine der wenigen Rai-Reitlehrer in Nürnberg. „Meine Aufgabe ist es, den Schülern beizubringen, dass Reiten vom Herzen kommt, man muss es von dort aus begreifen“, sagt sie. „Ich habe mit fünf Jahren mit Englisch Reiten angefangen. Dabei habe ich aber überhaupt nichts über Pferde gelernt“, erzählt die 48-Jährige rückblickend.

Denn anders als beim Rai-Reiten spielt in der klassischen, ursprünglich aus der Kavallerie stammenden Reitmethode mehr die Technik und nicht die Psyche der Tiere eine Rolle. „Da ist das Tier oft eher ein Sportgerät“, so Herzig. Die neue ganzheitliche Methode, die der deutsche Pferdepsychologe und -trainer Fred Rai erst vor etwa 25 Jahren begründete, findet sie daher viel besser. Eine Schnupperstunde RaiReiten vor rund 13 Jahren hat Herzig so begeistert, dass sie aus Überzeugung dabei geblieben ist. „Es ist ein wesentlich entspannteres Reiten für beide“, sagt sie.

Und mein Fazit? Einen direkten Vergleich zwischen den zwei Reitstilen kann ich nicht ziehen. Was von meinem kleinen Selbstversuch hängenbleibt, ist vor allem die Erfahrung, dass Pferde ziemlich sensibel sind. Und dass Chefsein ganz prima ohne Druck funktioniert. Ich frage mich, ob sich das auch auf den Mensch übertragen lässt? Vielleicht wäre es eine Idee, Rai-Reiten als Führungsseminar anzubieten.

Info: www.rai-reiten.de
 

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