Wunderwerke in Ehebett und Lottersofa

13.6.2012, 00:00 Uhr
Wunderwerke in Ehebett und Lottersofa

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Nemesis gilt als Dürers erstes mit dem Zirkel konstruiertes Idealweib. Und der Meister liebt es recht stark gebaut. Ach, hätte Dürer doch seiner „Jungen Venezianerin“ noch ein Aktgemälde derselben gewidmet...

Wie so anders dagegen die „Geburt der Venus“ (1485/86) des großen Sandro Botticelli (1445–1510): der erste Frauenakt seit der Antike! Ah, welch Bild von einem Weibe! Beinahe lebensgroß, schlank, zierlich und doch wohlgestalt wie eine lebende Statue, steht Venus träumenden Blickes auf der Muschel, ihrer selbst noch nicht ganz bewusst. Gleich wird sie ans Ufer schreiten, wo die Hore des Sommers ihr den vom Wind gebäuschten Mantel reicht. Aber nein, den Mantel wollen wir ihr gar nicht umhängen, weg mit dem Mantel, wir wollen Venus bewundern, die von der linken Seite zwei Windgötter gen Land pusten. Ein Anblick für die Götter!

Wo hing die „Geburt der Venus“? Nicht an öffentlichem Orte, sondern im Schlafzimmer der Medici. Dort war es in einer Bettstatt eingearbeitet. Vermutlich diente das Gemälde als Brautgeschenk. Ob die Braut mit Venus wetteifern konnte?

Eigentlich beschreibt das Bild die Ankunft der Venus auf Zypern, wie sie die Homerischen Hymnen besingen. Wie kommt es dann zu dem gebräuchlichen Titel „Geburt der Venus“? Hier wird es antik-turbulent: Gemäß Hesiods Theogonie entmannte Jupiter seinen Vater Uranus und warf dessen „Fusto genitale“ ins Meer. Dort schäumte der Fusto noch ordentlich vor sich hin, und dem Schaum entstieg Venus. Wer genau hinsieht, entdeckt links unten am Ufer vier geil ragende Rohrkolben. Die wachsen aber nicht im Salzwasser! Botticelli hat sie mit Bedacht dort hingesetzt, als dezente Anspielung auf Venus’ Zeugung.

Wunderwerke in Ehebett und Lottersofa

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Wer war die göttlich Schöne, die Botticelli Modell stand? Angeblich zeigt, wenn schon nicht ihr Körper, so doch das Gesicht der Venus das Antlitz der Simonetta Vespucci (1453–1476), die als schönste Frau von Florenz galt, wiewohl früh verheiratet das Herz des Giuliano de Medici entflammte und früh dahinschied. Demnach haben wir es hier mit einem Idealporträt zehn Jahre nach Simonettas Ableben zu tun. Vielleicht hatte Botticelli private Akt-Skizzen in der Schublade liegen?

Der Geburt der Venus steht ein zweites Meisterwerk zur Seite: „La Primavera – Der Frühling“ (1482/87), die Apotheose des Frühlings schlechthin. In der Mitte eines Orangenhains steht als Herrscherin Venus – diesmal bekleidet – und grüßt den Betrachter mit bedächtig geneigtem Haupte. Links tanzen die Grazien in durchsichtigen Schleiern einen Reigen, ganz links vertreibt Merkur mit seinem Stab die Nebel des Winters.

Rechts schreitet Flora lächelnd auf den Betrachter zu und verstreut ihre Blumen; daneben grapscht Windgott Zephyr nach der Nymphe Chloris, der die Blumen aus dem Munde sprießen. Chloris ist das griechische Pendant zu Flora, wir haben die Frühlingsgöttin gleich zweimal auf dem Bild: erst als keusche Knospe, dann als erblühtes Vollweib. Und über allem schwebt Amor und schießt seine Brandpfeile ab.

Aah, welch Delikatesse der Farben! Botticelli hat die Hauttöne der Figuren in dünnen Temperaschichten aufgetragen und mit farbigen Lasuren überzogen. So zeichnet sich das Inkarnat der Grazien unter ihren hauchdünnen Schleiern ab, so pustet Zephyr den Schleier der Chloris weg wie einen Nebel. Dafür lohnt es sich, stundenlang vor den Uffizien anzustehen, um das Wunderwerk auf Knien zu bestaunen. Auch „Der Frühling“ hing nicht an der Wand, sondern war in einem Sofabett eingearbeitet. Kaum zu glauben: Da haben also die Medici auf dem Sofa mit ihren Signorinas unter dem Original-Frühling herumpoussiert, so wie 500 Jahre später heutige Studenten mit ihren Mädels auf dem Futon unterm Botticelliposter.

Wer sich von so viel weiblicher Schönheit losreißt und den Blick zu Boden lenkt, der entdeckt jede Menge Blumen. Botaniker haben 138 Blumen identifiziert, darunter Schwertlilie, Vergissmeinnicht, Glockenblume, Nelke, Margerite, Kornblume, Löwenzahn, Hyazinthe, Erdbeerblüte und Rose. Allesamt Frühlingsgewächse, wie sie von März bis Mai in Florenz blühen. Kurioserweise hat Botticelli Blätter und Blüten nicht nach botanischer Stimmigkeit zusammenmontiert. Hat das eine Bedeutung? Bei einer Allegorie des Frühlings geht es nicht um botanische Exaktheit, sondern um poetische Freiheit. Die Vielzahl und Delikatesse der Blumen schlägt eine Brücke zu Dürers „Großes Rasenstück“ (1503). Da versammelt Dürer Löwenzahn und Breitwegerich, Knäuelgras und Ehrenpreis, Schafgarbe und Gänseblümchen – wenn auch ohne poetische Überhöhung.

Wer war Botticelli? Eigentlich hieß er Alessandro di Mariano Filipepi, seinen Spitznamen „Fässchen“ verdankt er seinem Bruder. Wie Dürer und Schongauer sollte auch Botticelli Goldschmied lernen. Alle Renaissancemeister stehen in seiner Schuld, denn Botticelli erfand das mythologische Gemälde mit zweckerten Göttern, basierend auf literarischen Vorlagen – wofür die Gelehrten von Florenz mit Rat und Tat bereitstanden. In gewisser Weise bekleidete B. in Florenz eine Stellung wie D. in Nürnberg. Herrschten hier Stadtrat und Patrizier, so gaben in Florenz die Medici den Ton an. Freilich herrschte in Florenz ein rauer Ton. Lorenzo der Prächtige entging 1478 nur knapp einem Attentat, sein Bruder Giuliano dagegen starb, von Messerstichen durchbohrt, auf den Tag genau zwei Jahre nach Simonetta Vespuccis Tod. Und wo in Nürnberg die Reformation die Künste verschonte, da hetzte in Florenz der Bußprediger Savonarola das Volk auf, das sich seiner Schätze auf dem Scheiterhaufen entledigte.

Nach seinem Tod fiel Botticelli bald der Vergessenheit anheim. Erst im 19.Jahrhundert tauchte der Florentiner wieder aus der Versenkung auf und eroberte die Herzen der Präraffaeliten im Sturm. So tummeln sich seine entzückenden Gestalten wieder bei Edward Burne-Jones – freilich in träumerisch-sediertem Zustand. Da vermissen wir dann doch das italienische Temperament.

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