Zusammen bauen, zusammen wohnen

25.4.2018, 16:17 Uhr
Beim Wiederaufbau der im Krieg beschädigten oder zerstörten Genossenschaftshäuser übernahm man die schlichte, zweckmäßige Haltung der Vorgängerbauten.

© Boris Leuthold Beim Wiederaufbau der im Krieg beschädigten oder zerstörten Genossenschaftshäuser übernahm man die schlichte, zweckmäßige Haltung der Vorgängerbauten.

Die Marienvorstadt galt um 1860 als teuerste Adresse Nürnbergs. Kein Wunder: Abseits der dicht bebauten Altstadt mit ihren engen Gassen, dunklen Hinterhöfen und altersschwachen Häusern bot der neue Stadtteil luftiges, modernes Wohnen mit viel Grün drum herum. Die Grundstückspreise waren horrend, die Mieterklientel entsprechend betucht. Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet hier eine der Wurzeln des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in Nürnberg liegt.

Unter dem Eindruck der Hochindustrialisierung schnellte die Bevölkerungszahl um die Mitte des 19. Jahrhunderts rasant in die Höhe. Allein zwischen 1858 und 1864 kamen rund 11.300 Neubürger hinzu. Ausgerechnet jene, die den Profit der Industriemagnaten erwirtschafteten, nämlich die Arbeiter, hatten es mit dem bezahlbaren Wohnraum besonders schwer, denn das Angebot war bescheiden und die Löhne ebenso.

Deshalb rief der Erste Bürgermeister Maximilian von Wächter 1861 einen Wohnungsbauverein ins Leben. In ihm schlossen sich Arbeiterfamilien zu einer Genossenschaft zusammen, um sich ihre Häuser auf der grünen Wiese selbst zu bauen.

Die Stadt stellte dazu kostenlos Bauland im früheren Flaschenhofgarten im Osten der Marienvorstadt zur Verfügung. Die Baupläne für die 1862 bis 1863 erbauten Anwesen Flaschenhofstraße 17 bis 27 zeichnete wohl Stadtbaurat Bernhard Solger. Zuvor hatte dieser mit dem Zweiten Bürgermeister Johann Wolfgang Hilpert eigens eine Dienstreise nach Berlin unternommen, um sich dort mit den Fortschritten auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus vertraut zu machen.

Bei der Planung der "Genossenschaftshäuser" – unter diesem Namen waren sie fortan stadtweit bekannt – musste sich Solger in puncto Kreativität nicht gerade überschlagen. Die Wohnhäuser waren das, was man gemeinhin als "Mietskasernen" bezeichnete: dreistöckig mit Satteldächern, die Sandsteinfassaden nahezu schmucklos, Fenster und Türen symmetrisch angeordnet.

Volles Haus! Unsere Fotokarte zeigt, wie kinderreich die Bewohnerfamilien in der Flaschenhofstraße 25 um 1910 waren.

Volles Haus! Unsere Fotokarte zeigt, wie kinderreich die Bewohnerfamilien in der Flaschenhofstraße 25 um 1910 waren. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Auch drinnen ging es einfach zu: Den Bewohnern in den sechs Wohneinheiten der Nr. 25 standen drei Toiletten zur Verfügung, die "auf halber Etage" im rückwärtigen Treppenhausschacht angeordnet waren. Bäder gab es überhaupt nicht. Hinter den Häusern befanden sich Rückgebäude mit Werkstätten.

Das Hinterhaus der Flaschenhofstraße 25 aber stand nicht lange: Es wurde 1865 durch einen Brand, der in der Kammer eines Schreinermeisters unter dem Dach ausgebrochen war, total zerstört.

Unsere historische Fotokarte schickte der städtische Amtsbote Michael Grünerwald aus dem zweiten Stock, wo er in drei Zimmern mit Frau, Kindern und Eltern wohnte, 1910 nach Geisenhausen bei Landshut. Mit einem dicken "X" markierte er seinen Sohn "Michala", der im schicken Sonntagshemd und in Hochwasserhosen neben seinen Spielkameraden vor dem Hauseingang posiert.

Als Abwehrspieler des 1. FC Nürnberg verteidigte er in der Saison 1921/1922 den Deutschen Meistertitel. Später wanderte er mit seiner Frau nach Florida aus und brachte es als Teilhaber einer Kunstdruckerei zu Wohlstand.

Die Fliegerbomben des Zweiten Weltkriegs vernichteten die Genossenschaftshäuser Flaschenhofstraße 25 und 27. Nach Plänen von Gerhard G. Dittrich erstanden sie 1952 in zeitgenössischen Formen neu. Die funktionale Schlichtheit der Fassaden behielt man bei; dafür durften sich die Mieter fortan über eigene Toiletten und Bäder freuen.

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