Gedenkveranstaltung

Euthanasie - auch in der Frankenalbklinik Engelthal

Christiane Lutz

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13.11.2022, 13:00 Uhr
Die Anstaltsleiterin von Engelthal, Johanna Ernst, schrieb am 15. Februar 1941 an die Witwe des ehemaligen Hausvaters Dr. Bräutigam diesen Brief.

© privat Die Anstaltsleiterin von Engelthal, Johanna Ernst, schrieb am 15. Februar 1941 an die Witwe des ehemaligen Hausvaters Dr. Bräutigam diesen Brief.

Dem Bezirk Mittelfranken ist die Aufarbeitung der Taten und die Erinnerung an die Menschen wichtig: „Noch heute gibt es zahlreiche Angehörige von Opfern der NS-Euthanasie oder Menschen, die eine Betroffenheit vermuten.“

Die Euthanasie hatten ihren Ursprung in der Welt-Sicht des Nationalsozialismus, in der der einzelne Mensch nichts zählte - nur der deutsche „Volkskörper“, und der musste gesund sein. Neben rassistisch abgewerteten Menschen zählten dazu Menschen, die an einer psychischen Erkrankung oder auch nur Belastung litten.
Parallel zu der fortschreitenden Entrechtung jüdischer Bürger wird ab 1933 ein Gesetz nach dem anderen erlassen, das Patienten in psychiatrischer Behandlung völlig rechtlos macht. Die Pseudowissenschaftlichkeit der Medizin vereint mit der Nazi-Justiz erschuf die „Aktion T4“.

Der Name leitet sich von der Adresse der „Kanzlei des Führers“ ab: Tiergartenstraße 4 in Berlin. Diese sehr formale Bezeichnung wurde erst nach 1945 gebräuchlich, in der Nazi-Zeit sprach man beschönigend von der Aktion „Gnadentod“ oder auch Euthanasie. Dass Ziel: Erbkrankheiten auszurotten und die Kosten für die Anstaltspflege zu senken.

Listen fürs Sterben

Am 9. Oktober 1939 wurde die Zahl der zu ermordenden Patienten mit 100.000 bestimmt. Die Heil- und Pflegeanstalten wurden in einem Runderlass aufgefordert, ihre Patienten mittels Meldebögen zu melden. Die Kliniken wussten dabei nicht, dass hiermit über die Ermordung der Patienten entschieden wurde.

Gutachter im Berliner Ministerium versahen die Namen mit einem roten „+“ für „Töten“ und einem blauen „–“ für „Weiterleben“. Entscheidend war primär die Arbeitsfähigkeit des Patienten. Die für die Euthanasie vorgesehenen Personen wurden dann in Zwischenanstalten transportiert, bevor sie in den Tötungsanstalten vergast wurden.

Im August 1941 wurde die Aktion vorzeitig aufgegeben. Das von Joseph Goebbels anvisierte „Planungsziel“ war noch nicht ganz erreicht. Es war einzelner Protest aufgeflammt. Dezentral aber liefen die Tötungsaktionen weiter: Bis Ende des Krieges fielen ihr über 200.000 Menschen zum Opfer, darunter mindestens 5000 Kinder.

Nachdem im übrigen Reich ein Großteil der psychiatrischen Anstalten geräumt wurde, um durch den Krieg verletzten Soldaten und Zivilisten Platz zu machen, wurden viele Patienten in die ohnehin schon überbelegten bayerischen Anstalten verlegt. Die Zustände waren inhuman.

Am 17. November 1942 lud Dr. Walter Schultze, der Organisator der Vernichtungsaktion T4 in Bayern, die Direktoren der bayerischen Heil- und Pflegeanstalten nach München. Im Nachgang verfügte das Innenministerium am 30. November 1942 den bayerischen Hungerkosterlass: „Es wird daher angeordnet, dass mit sofortiger Wirkung … diejenigen Insassen der Heil- und Pflegeanstalten, die nutzbringende Arbeit leisten oder in therapeutischer Behandlung stehen, … zu Lasten der übrigen Insassen besser verpflegt werden.“

In den letzten zweieinhalb Kriegsjahren starben 11.000 Menschen in den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten. Nicht mehr in weit entfernten Tötungsanstalten, sondern in den einzelnen Anstalten waren jetzt alle Mitarbeiter in die Tötung direkt involviert, ob als Küchenangestellte, als Verwaltungsangestellte, die sich um die Lebensmittel kümmerten, ob als Krankenpfleger oder als Ärzte.

Viele Mörder

Dies macht die Kraft der alles durchdringenden Ideologie deutlich. Spielraum gab es durchaus: Die Anstalten in Kutzenberg und Lohr scheinen den Hungerkosterlass nicht umgesetzt zu haben.

Die Patienten aus Engelthal wurden in andere Kliniken verlegt und fielen dort zum Teil dem Hungerkosterlass zum Opfer. Die Anstaltsleiterin von Engelthal, Johanna Ernst, schrieb am 15. Februar 1941 an die Witwe des ehemaligen Hausvaters Dr. Bräutigam folgenden Brief: „Ich muss dir die schmerzliche Mitteilung machen … in der kommenden Woche müssen 95 unserer Pfleglinge in die Heil-und Pflegeanstalt Erlangen verlegt werden – 724 aus unseren Gesamtanstalten sollen nach Ansbach und Erlangen, und der Herr Rektor meinte, es dauert dann nicht mehr lange, bis auch die anderen noch verlegt werden … Das ist uns natürlich alles sehr schmerzlich …“

Beim Abtransport spielten sich erschütternde Szenen ab: Ein Patient verabschiedete sich mit den Worten: „Ich nehm‘ nichts mit. Alles können sie mir nehmen, nur nicht meinen Heiland!“ Ein anderer klammerte sich an die Hand der Hausmutter und flehte sie weinend an: „Ich will noch nicht sterben, rette mich doch!“

Die Engelthaler Klinik dokumentiert, dass 194 Patienten in andere Häuser überwiesen, 61 in Tötungsanstalten ermordet wurden. Rund 70 Patienten starben in den anderen Anstalten vermutlich durch Hunger.

Angesichts des Hungerkosterlass vor 80 Jahren soll am Dienstag, 15. November, um 18 Uhr an dem 2015 eingeweihten Mahnmal der Frankenalb-Klinikwollen mit einer Andacht der Menschen gedacht werden, die dieser grauenhaften Ideologie zum Opfer fielen.

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