Helfer vor Ort erlebten eine Enttäuschung

Sie wollten in die Stadt: Flüchtlinge weigerten sich, in Diepersdorf zu bleiben

23.3.2022, 01:14 Uhr
Sie wollten in die Stadt: Flüchtlinge weigerten sich, in Diepersdorf zu bleiben

© Andrea Beck

Eigentlich hatten die Helfer alles genau geplant in Diepersdorf. Die Ankunft der ukrainischen Flüchtlinge, ihre Unterbringung in der Turnhalle der Grundschule und ihre Versorgung mit Essen, das der Arbeiter-Samariter-Bund vorbei bringt. Sie hatten ukrainische Flaggen aufgehängt, Lebkuchenherzen und Blumen bestellt und sich vorsichtshalber das Wochenende freigehalten, immer in Erwartung der ersten Flüchtlingsgruppe, die nach ihrer Registrierung in Zirndorf nach Diepersdorf gebracht wird. Doch die Ankunft dieser Gruppe, deren Bus am späten Dienstagnachmittag auf dem Schulparkplatz eintraf, verlief anders als geplant.

Denn als der Busfahrer vor der Turnhalle den Motor abstellte und die Kofferräume öffnete, stiegen die 23 Insassen – 16 Frauen und sieben Kinder – nur zögernd aus, einige von ihnen blieben gleich im Bus sitzen. Anke Reiche, Lehrerin an der Diepersdorfer Grundschule, die Russisch spricht und als Dolmetscherin und Organisatorin vor Ort war, fand durch Gespräche mit den Frauen heraus: "Sie wollen in Nürnberg bleiben oder in eine andere größere Stadt." Das erklärte sie Leinburgs Bürgermeister Thomas Kraußer, der gekommen war, um die Flüchtlinge zu begrüßen.

Positiver Coronatest

Auch der Sicherheitsdienst und Vertreter des Gesundheitsamts standen bereit, um zu helfen und die Frauen und Kinder auf das Coronavirus zu testen. Der erste Schnelltest einer Ukrainerin, die aus dem Bus ausstieg und sich testen ließ, fiel dann auch positiv aus. Es war anzunehmen, dass noch mehr Insassen betroffen sind, doch zu weiteren Tests kam es nicht – denn die Frauen blieben mit ihren Kindern erst beim Bus und stiegen nach einigen hektischen Diskussionen gesammelt wieder ein. Nur die positiv getestete Ukrainerin erklärte sich bereit, in Diepersdorf zu bleiben und wurde dort auch untergebracht.

"In der Zirndorfer Registrierstelle hat den Frauen niemand gesagt, wo sie hingebracht werden", erklärte Anke Reiche. Laut der Lehrerin wollten die Frauen in einer Stadt unterkommen, mit Anbindung an den Nahverkehr und Krankenhäusern in unmittelbarer Nähe, denn zwei der Kinder seien krank. Alle Versuche, die Ukrainerinnen von der guten ärztlichen Versorgung vor Ort zu überzeugen und ihnen zu erklären, dass die Turnhalle in Diepersdorf nur ihre kurzfristige Unterkunft für wenige Tage sein wird, schlugen fehl.

Zirndorf verweigert die Rückfahrt

Während die Helfer vor Ort zunehmend von der Situation überfordert waren und versuchten, eine ukrainische Dolmetscherin zu erreichen, bekam der Busfahrer eine eindeutige Ansage von der Zirndorfer Sammelstelle: Die Flüchtlingsgruppe kann nicht zurück nach Zirndorf, sie soll in Diepersdorf bleiben.

Nachdem eine Rückfahrt als Alternative weggefallen war, liefen die Telefone heiß. Kraußer, die Männer des Sicherheitsdiensts und die Mitarbeiter des Gesundheitsamts telefonierten mit den Zuständigen im Landratsamt und ihren jeweiligen Leitstellen. Unter anderem die Einteilung der Sicherheitsmänner musste jetzt umdisponiert werden, außer natürlich, die Frauen und Kinder würden doch bleiben. Auch der Busfahrer wurde immer unruhiger: "Ich müsste schon längst wieder in Zirndorf sein und die nächste Gruppe nach Roth bringen, die warten schon auf mich."

Nachdem die Ukrainerinnen rund 20 Minuten im Bus auf ihre Abfahrt gewartet hatten, stieg eine Frau mit ihren zwei Kindern und Koffern aus und lief mit diesen Richtung Hauptstraße. Sie werde jetzt zum Schwaiger Bahnhof laufen, sagte sie zu Anke Reiche. Nach einigen Versuchen, die Frau zum Bleiben zu bewegen, gab die Lehrerin auf und die Familie zog davon.

Schließlich wussten sich die Beteiligten vor Ort nicht mehr zu helfen und riefen die Altdorfer Polizei. Diese schickte eine Streife mit zwei Beamten nach Diepersdorf, die mit Hilfe der inzwischen eingetroffenen Übersetzerin den Frauen eine Alternative anboten: Sie könnten auch in der Sammelstelle in Altdorf unterkommen, mit einer besseren Anbindung an den Nahverkehr. Doch die Antwort der Gruppe war klar: Nein, wir wollen nach Nürnberg.

Mit dem Zug nach Nürnberg

Nach einigen Telefonaten mit dem Zuständigen im Landratsamt, Wolfgang Röhrl, und einem weiteren erfolglosen Vermittlungsversuch von Bürgermeister Kraußer stand die einvernehmliche Lösung nach rund eineinhalb Stunden schließlich fest: Der Fahrer solle die Gruppe mit Begleitung der Polizei zum Bahnhof nach Röthenbach bringen, von wo aus sie als Flüchtlinge mit dem Zug kostenlos nach Nürnberg fahren können und sich dort selbst um eine Unterkunft kümmern müssen. Denn sowohl die Polizisten als auch die Sicherheitsmänner machten von Anfang an klar, dass sie die Frauen und Kinder nicht zum Bleiben zwingen würden.

Als der Bus schließlich losfuhr, blieben die rund 20 Helfer und Beteiligten vor Ort ratlos zurück. Inzwischen waren die Fahrer des ASB eingetroffen, mit dem Abendessen für die Geflüchteten. Es wurde für die Helfer vor der Turnhalle angerichtet. "Wir haben uns so viel Mühe gegeben", sagten sie. Außerdem hätten ihnen Bekannte von dem guten Zusammenleben mit von ihnen aufgenommenen Flüchtlingsfamilien erzählt und die Ankunft der ersten Gruppen in Franken seien doch auch gut verlaufen. "Was haben die Frauen denn gedacht, was sie in Deutschland erwartet?"

Auch die Altdorfer Polizisten, die die Ukrainerinnen und ihre Kinder am Röthenbacher Bahnhof zum Bahnsteig in Richtung Nürnberg brachten, hatten das Szenario nicht erwartet. Die Frauen nahmen ihre Koffer, die hustenden Kinder ihre Teddybären, und dann machte sich die Gruppe auf zum Bahnsteig, ohne zu wissen, wo sie die Nacht verbringen würden. Der Busfahrer und die Beamten waren sichtlich betroffen. "Mir tun die kleinen Kinder so leid", sagte der Fahrer. Dann stieg er wieder in seinen Bus.

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