Oft letzte Instanz für Verzweifelte

19.6.2016, 19:21 Uhr
Oft letzte Instanz für Verzweifelte

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Natürlich kennt sie das, wenn Menschen in ihr Büro kommen, sich über Missstände aufregen. Wenn sie an den Infoständen ihrem Ärger Luft verschaffen. „Wir haben ständig Kontakt zu den Wählern“, sagt Alexandra Hiersemann. „Aber im Petitionsausschuss des Landtags ist das noch einmal anders, unheimlich greifbar.“

Wer sich an das Gremium wendet, hat oft ein jahrelanges Martyrium hinter sich. „Diese Leute blättern ihre ganze Lebensgeschichte vor uns auf“, erzählt die SPD-Politikerin aus Erlangen. „Sie sind oft völlig verzweifelt. Und wir sind für sie die letzte Instanz.“ Hiersemann kann das verstehen. „Je älter man wird, desto mehr weiß man, dass es Situationen gibt, an denen ein Leben zerbröselt, nur weil einer einfach Pech gehabt hat.“

Es ist ein Grundrecht, dass die Bürger sich an ihr Parlament wenden können, ein Anspruch, den Hiersemann für wichtig hält, bis heute. „Die Menschen wollen mitgestalten“, sagt sie. „Sie wollen sich einbringen, ihre Vorstellungen klar machen.“ Die Petition sei eine Möglichkeit. „Sie ist wichtiger denn je, weil sie den Dialog zwischen den Bürgern und der Politik ermöglicht.“ Natürlich gibt es die Querulanten, die das Petitionsrecht als Bühne missbrauchen. Doch die Mehrheit derer, die den Landtag anrufen, plagen ernsthafte Probleme. Tausende sind es jedes Jahr; ihre Anliegen, sagt Hiersemann, ließen sich grob in drei Kategorien unterteilen.

Junge Deutsche befreit

Da sind jene, die mit dem Ausländer- oder dem Asylrecht kämpfen. Wie der Bosnier, dessen Fall durch die Medien und durch den Petitionsausschuss gegangen ist. Der Mann hat in seiner Heimat eine junge Deutsche befreit, die seine Nachbarn im Schweinestall gefangen gehalten hatten. Er musste sein Dorf verlassen – die Nachbarn und ihre Freunde hatten ihn massiv bedroht. Jetzt lebt er in Bayern. Doch bleiben darf er nicht.

„Bosnien gilt als sicheres Herkunftsland“, sagt Alexandra Hiersemann. „Es gibt für ihn kein Asyl wegen politischer oder rassistischer Verfolgung.“ So ist das deutsche Recht: Der Bosnier muss in seine Heimat, muss dort drei Monate bleiben, ehe er als Arbeitsmigrant zurückkehren darf. Zuhause, sagt er, fürchte er um sein Leben. In Bayern hat er eine Wohnung, er hat Arbeit und 1300 Unterstützer, die für ihn kämpfen.

Trotzdem hat die CSU-Mehrheit im Petitionsausschuss das Ansinnen des Mannes abgelehnt. Hiersemann kennt die Argumentation der Behörden. Sie wollen keinen Präzedenzfall schaffen, urteilen nach geltendem Recht, auch wenn „Recht und Barmherzigkeit nicht deckungsgleich sind“, wie die SPD-Politikerin sagt. Sie kann nicht nachvollziehen, warum der Mann ausreisen muss, aus formellen Gründen.

Alexandra Hiersemann schätzt die Arbeit im Ausschuss. Wichtig sei sie, sagt sie. „Weil die Leute merken, dass wir uns mit ihren Anliegen beschäftigen, dass wir sie ernst nehmen, mit ihnen reden, ihren Fall prüfen.“ Es gehört zu den Besonderheiten, dass die Petenten in Bayern ein Rederecht im Ausschuss bekommen, dass sie dabei sein können, wenn ihr Fall besprochen wird.

Dann sind da jene, die auf Gnade hoffen, die im Gefängnis sitzen, sich ungerecht behandelt fühlen, manchmal tatsächlich ungerecht behandelt werden. So wie jener Mann, der für seine Lebensgefährtin gedealt hat, seine Strafe abgesessen hat, inzwischen verheiratet ist, ein Kind hat – und daran zerbricht, dass er noch einen sechsstellige Strafe zahlen muss.

„Die lässt ihn nicht auf die Beine kommen“, sagt Alexandra Hiersemann. Weil der Staat aber niemandem einfach seine Schulden erlassen kann, hat der Petitionsausschuss nach anderen Wegen gesucht. Jetzt stundet der Staat die Schulden. „Er soll Fuß fassen können“, sagt Hiersemann. „Danach werden wir die Situation neu beurteilen.“

In der Regel allerdings, sagt die SPD-Politikerin, „können wir nur wenig ausrichten.“ Fast immer haben die Petenten den Klageweg ausgeschöpft, ist ihre Lage aussichtslos. „Wir sind nicht das jüngste Gericht“, sagt Hiersemann. „Wir können kein Urteil aufheben, weil die Justiz unabhängig sein muss.“

Trotzdem, sagt sie, „sind das alles Fälle, die einen angreifen.“ Die Masse der Petitionen etwa berührt das Baurecht; oft sind sie das Ende von Nachbarschaftsstreitigkeiten, die sich über Jahrzehnte und Generationen gezogen haben, die zu regelrechten Kriegen ausgeartet sind. Faktisch ausrichten können die Abgeordneten wenig. „Aber wir machen einen Termin vor Ort, wir reden mit allen Beteiligten.“ Manchmal löst sich plötzlich der Knoten, eröffnet sich ein Ausweg.

Ehrenvolle Aufgabe

Dass sie den Ausschuss künftig als Vizechefin leiten darf, findet die Erlanger SPD-Frau ehrenvoll. An der Spitze eines Ausschusses kann sie etwas bewirken – und das ist viel für eine Partei, die seit Jahrzehnten in der Opposition sitzt.

Nur das mit dem Bosnier, das arbeitet in ihr. Sie hätte gerne mehr für ihn getan, hat es nicht gekonnt. Und hofft nun darauf, dass das Innenministerium den Fall still und leise erledigt, jenseits der Öffentlichkeit. „Denn der Mann hat selbstlos einem anderen Menschen geholfen. Und wie wir mit ihm umgehen, das zeigt auch, welchen Anspruch wir an unsere Gesellschaft haben.“

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