Pilzsammler fand Leiche: Mordkomplott in Lauf - Paar ist voll schuldfähig

5.12.2020, 06:00 Uhr
Die Angeklagte Sarah D. soll ihren Freund Michael M. angestiftet haben, einen Nebenbuhler zu töten. Ein Pilzsammler hatte die Leiche in einem Waldstück bei Lauf  gefunden.   

© Nicolas Armer, NN Die Angeklagte Sarah D. soll ihren Freund Michael M. angestiftet haben, einen Nebenbuhler zu töten. Ein Pilzsammler hatte die Leiche in einem Waldstück bei Lauf  gefunden.  

"Wir hören Sie gut“, sagt Richterin Barbara Richter-Zeininger und die beiden Richterkollegen rechts und links von ihr nicken. Im Landgericht Nürnberg-Fürth, Sitzungssaal 228, hängt eine große Leinwand: In der Schwurgerichtskammer wird eine Zeugin aus der Schweiz per Video vernommen. Die Stieftochter der Angeklagten Sarah D. - die junge Frau lebt als Au-Pair in Zürich - ist gefragt, sie sitzt in einem Büro der Staatsanwaltschaft Zürich. Geschuldet ist diese Video-Vernehmung nicht der Corona-Krise, sondern einem Rechtshilfeersuchen der hiesigen Justiz an die Schweiz. Man will der Zeugin die Anreise ersparen und der Justiz die Kosten.

"Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll", sagt die Zeugin, und schildert, dass sie Informationen aus der laufenden Hauptverhandlung von ihrem Vater Horst D. erhält, dazu liest sie die Prozessberichte auf nordbayern.de. Hat sie sich in ihrer Stiefmutter getäuscht? Trachtete Sarah D. wirklich ihrem Ehemann Horst D. nach dem Leben? Stiftete sie ihren Geliebten Michael M. wirklich zum Mord an Christian B. an? "Ich weiß wirklich nicht, was ich glauben soll", wiederholt die Zeugin, und schildert, dass sie ihrer Stiefmutter Sarah D. einen wütenden Brief geschrieben habe, später schickte sie einen weiteren Brief hinterher, in einem freundlicheren Tonfall. Der Verhandlungsstress setze auch ihr zu, sie frage sich, ob die Vorwürfe stimmen.


Pilzsammler findet Leiche in Wald bei Lauf: Zeugen gesucht


Rückblick: Am 14. Juli 2019, gegen 7.20 Uhr, war ein Pilzsammler in einem Waldstück zwischen Lauf und Schönberg unterwegs, am Rand eines Schotterwegs fielen ihm Blut und Schleifspuren im Gras auf. Als er auch noch einen Turnschuh liegen sah, wurde er misstrauisch - und entdeckte in einer Senke einen Mann, dessen Körper war seltsam verdreht. Heute steht fest: Christian B. (27) wurde brutal getötet. Der Rechtsmediziner zählte 27 Stichwunden an B.s Körper, der Täter schlug seinem Opfer mindestens 22 Mal - mit einem bislang nicht identifiziertem Gegenstand - auf den Kopf.

Dreiecksbeziehung im Fokus

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass dieses Verbrechen das Ende einer aus dem Ruder gelaufenen Dreiecksbeziehung, man muss sagen, Vierecksbeziehung, markiert: Sarah D. (33) soll ihren Geliebten Michael M. (32) beauftragt haben, zu töten – deshalb lag Nebenbuhler Christian B. (37) tot im Wald. Verhinderte der aufmerksame Pilzsammler gar einen weiteren Mord? Laut Anklage stiftete Sarah D. ihren Geliebten Michael M. auch dazu an, später noch ihren Ehemann Horst D. (48) zu töten.

Fast eine Stunde steht die Zeugin aus der Schweiz Rede und Antwort, auf der Leinwand ist sie in Großaufnahme zu sehen, sie bemüht sich, trotz der emotionalen Belastung, sachlich und präzise zu antworten. Als Sarah D. zur neuen Partnerin des Vaters wurde, entwickelte sich ein gutes Verhältnis, als Stiefmutter sei Sarah D. für sie zur "zweiten Mutter" geworden. Doch die Ehe kriselte, als Tochter habe sie sich nicht eingemischt. Doch natürlich sei ihr nicht entgangen, wie heftig Horst und Sarah stritten, beide pflegten außereheliche Affären. "Wenn du nur endlich unter der Erde liegen würdest", habe Sarah im Zorn mindestens einmal zu Horst D. gesagt.

Verteidiger hält dagegen

Der Angeklagte Michael M., so betont dessen Verteidiger Jürgen Pernet, "nutzt weiterhin sein Recht, die Aussage zu verweigern". Verteidiger Malte Magold, bestreitet im Namen von Sarah D. seit Prozessbeginn ein Mordkomplott. Und als die Zeugin in der Video-Vernehmung wiederholt, sie wisse nicht, was sie glauben soll, nutzt Magold die Chance, um zu wiederholen, dass es sich bei den Vorwürfen nur um die Anklage der Staatsanwaltschaft handle. Noch ist die Beweisaufnahme nicht abgeschlossen, noch hat das Gericht kein Urteil gesprochen, noch gilt die Unschuldsvermutung.

Besonders häufig kam die Zeugin nicht mehr zu Besuch nach Lauf a. d. Pegnitz. In das Haus, das sie irgendwann von ihrem Vater erben wird, wolle sie ohnehin nicht einziehen, sagt sie. Daher habe sie Sarah D. immer ein Wohnrecht versprochen.

Andererseits, so sagt die Zeugin, glaube sie die Vorwürfe eben doch. Schließlich habe Sarah D. ihren Plan, ihre Aufforderung zur Tat, ja schriftlich per WhatsApp und Facebook zum Besten gegeben: Eben darüber, wie schwer diese Indizien auf Sarah D. lasten, werden auch die drei Berufsrichter und die beiden Schöffen der Schwurgerichtskammer beraten.

Ehe auf dem Papier?

Im Mai 2019 beteuerte Michael M. über Facebook und WhatsApp, Sarah D. so sehr zu lieben, dass er eine "Garantie" aussprach, ihr "alles, was sie verlange", zu geben. Sowohl die Ehe von Michael M. und die Ehe von Sarah D. bestand damals wohl nur noch auf dem Papier: M. zog mit seiner Ehefrau im Juni 2019 nach Lauf a. d. Pegnitz, bezahlte Sarah D. ein Handy im Wert von 300 Euro und versprach ihr 3000 Euro.

Sarah D.s war damals bereits außerehelich mit Christian B. liiert, und im Raum stand die Idee, mit ihm nach Kroatien auszuwandern. Doch nun schickte sie Michael M. Herzchen, warf ihm virtuell über WhatsApp und Facebook Kussmund um Kussmund zu, und schrieb, dass ihr Ehemann "komplett weg" solle, damit sie "Ruhe" habe. Ihr Geliebter Christian B. solle "mit dem Auto gegen den Baum fahren und verrecken". Am 18. Juni 2019 schrieb sie, die beiden sollen "verschwinden, weißt wie ich meine". Sie war die treibende Kraft des Mordkomplotts, davon ist die Anklage überzeugt.

Moralisch, so sieht es Verteidiger Malte Magold, war das Verhalten der Angeklagten und ihr Beziehungsgeflecht, "natürlich fragwürdig". Doch sie habe Michael M. nicht angestiftet, und ein Motiv, Christian B. zu töten, hatte sie ohnehin nicht. Im Gegenteil: Sie hatte sich schon ein Wörterbuch für die kroatische Sprache gekauft.

Psychiater Michael Wörthmüller.

Psychiater Michael Wörthmüller. © Roland Fengler

Was hinter der Fassade des Hauses des Ehepaares D. vor sich ging, beschäftigte auch die Nachbarn in Lauf: "Ich bring dich um!" will eine Anwohnerin gehört haben, nach ihrer Erinnerung habe eine dunkle Männerstimme Horst D. gedroht; sie vermutet dass es Horst D. war, der schrie: "Hau ab, geh weg! " Von wem die Drohung kam, kann sie nicht sagen, letztlich versperre "leider auch ein Baum" die Sicht auf das Haus der Nachbarn.

Zum Ende der Beweisaufnahme nennt Psychiater Michael Wörthmüller die beiden Angeklagten, Michael M. und Sarah D., voll schuldfähig - er beschreibt ihre Lebensgeschichten und ihre Beziehung untereinander.

In Thüringen geboren

Sarah D. wurde in Thüringen geboren, ihre Eltern zogen in den Westen, als sie zwei Jahre alt war, sie hätten viel gearbeitet, um ihr alles zu ermöglichen, schilderte Sarah D. dem Psychiater. Sie war eine mittelmäßige Schülerin, der Mediziner nennt sie unterdurchschnittlich intelligent. Als sich ihre Eltern trennten, war dies für die zwölfjährige Sarah ein Schock. Sie verwendete ihre Energie darauf, die Eltern zu versöhnen, obgleich dies aussichtslos war. Sie scheiterte in ihrem jungen Leben immer wieder; eine Ausbildung zur Kinderpflegerin brach sie ab, und obwohl ihr die Großmutter die Fahrstunden in einer Fahrschule finanzierte und Sarah D. den Führerschein gerne gehabt hätte, brach sie auch den Fahrunterricht ab, eine erste Liebesbeziehung verlief unglücklich.

Einige Jahre später fasste sie wieder Fuß. Ihre Mutter unterstützte sie, sie beendete ihre Ausbildung und lernte Horst D. kennen, im April 2010 heirateten die beiden. Doch ab 2012 ließ sich Sarah D. auf Affären ein, 2016 ging sie wieder zu ihrem Mann zurück. "Und nun sitze ich im Gefängnis, und kann es einfach nicht fassen", sagte sie dem Psychiater, sie weine jeden Tag. Ihre Ehe, so beschreibt es der Psychiater, lief aus Sarah D.s Sicht zu emotionslos, daher kontaktierte sie andere Männern - und gab im Gespräch selbst zu, dass diese Viererkonstellation für sie selbst sehr anstrengend war. Sie habe zeitweise nicht gewusst, was sie machen solle. Angeblich wollte sie nur noch ihre Ruhe haben, und fühlte sich bedrängt.

Bedrückende Situation

Sarah D. war schon vor ihrer Ehe mit Michael M. liiert, als er diese Beziehung beendete und sich mit einer anderen Frau verheiratete, trat Horst D. in Sarah D.s Leben. Sie gab ihm das Ja-Wort, begann später mit Christian B. eine Affäre, und schließlich meldete sich Michael M. wieder zurück. Sarah D. habe manchmal Schwierigkeiten, Entscheidungen zu treffen, so Psychiater Wörthmüller, aufgrund einer depressiven Verstimmung und Suizid-Gedanken sei sie bereits früher in Behandlung gewesen. Er beschreibt ihre Tendenz, sich selbst zu verletzen - sie habe sich Schnitte an den Unterschenkeln und den Unterarmen zugefügt. Auch dies deute darauf hin, dass sie labil und orientierungslos sei. Natürlich sei die Situation in der U-Haft für sie bedrückend, doch sie neige auch dazu, die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zu bagatellisieren, so der Gutachter.

Zwar sei sie etwas unterdurchschnittlich begabt, und vermutlich sei sie in ihrer "ungewöhnlichen Art, Beziehungen zu gestalten", an ihre Grenzen geraten, doch seelisch abartig sei sie nicht. Hirnorganisch seien leichte Auffälligkeiten festzustellen, dies passe zu ihren einfachen Strukturen. Einige Verhaltenstendenzen seien behandlungsbedürftig, doch letztlich könne man von einer Anpassungsstörung sprechen.

Die Angeklagte tendiere als emotional eher instabiler Typ dazu, im Alltag im Beziehungen zu schwanken, dafür sei ihr Schwarz-Weiß-Denken typisch. Sie werte andere Menschen ab oder überhöhe sie. Ein Mensch wie sie sei sehr sicherheitsbedürftig, die Angst, verlassen zu werden, spiele in ihrem Leben eine ganz erhebliche Rolle. Weil sie sich selbst unsicher fühle, wünsche sie sich, dies von außen auszugleichen, etwa durch einen selbstsicheren Partner.

Voll schuldfähig

Auch der Angeklagte Michael M. gilt als voll schuldfähig. Auch er hatte dem Psychiater ausführlich die Beziehung zu Sarah D. geschildert, und überdies ein ruhig verlaufendes Leben beschrieben. Er wuchs in einem Dorf im Landkreis Stendal in Sachsen-Anhalt auf, verstand sich gut mit seinen Eltern, dem sechs Jahre älteren Bruder und kam in Kindergarten und Schule gut zurecht. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung im KfZ-Bereich, er lernte Sarah D. auf einem Portal im Internet kennen. Sie wurden ein Paar, er zog daher nach Lauf a.d. Pegnitz um, nach fünf Monaten scheiterte diese erste Beziehung, er ging zurück nach Stendal und heiratete eine andere Frau. Später zog er mit seiner Gattin wieder ins Nürnberger Land, die beiden züchteten zusammen Kaninchen. Sie seien glücklich gewesen, gab Michael M. an, und doch erneuerte er den Kontakt zu Sarah.

Auch M., so sagt Psychiater Wörthmüller, habe weder Wahrnehmungs- noch Denkstörungen, er halluziniere nicht und leide auch nicht unter Realitätsverlust. Er ist voll schuldfähig.

Am Dienstag wollen Anklage und Verteidigung ihre Schlussvorträge halten. Nach den Plädoyers wird das Urteil am 14. Dezember erwartet.