Richter sind keine Parteisoldaten

24.2.2021, 13:44 Uhr
Richter sind keine Parteisoldaten

© Leonhard Simon/imago-images.de

In Weimar sorgt ein Amtsrichter für Wirbel: Er klagte bereits mehrfach gegen den Freistaat Thüringen, um die Maskenpflicht und Abstandsregeln zu kippen und privat demonstrierte er gegen die Corona-Maßnahmen.

In einem Interview mit dieser Zeitung kommentierte jüngst Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, dass er als Richter die Dritte Gewalt repräsentiere: "Um dieser Rolle dienstlich wie privat gerecht zu werden, würde ich persönlich weder auf dem Hauptmarkt demonstrieren, noch mich als Mitglied einer Partei besonders exponieren."

Eine Aussage, die Horst Arnold hinterfragt. Der Jurist war als Amtsrichter in Fürth tätig, seit 1987 ist er Mitglied der SPD, und als er im Herbst 2008 in den Landtag einzog, musste er seine Richterrobe in den Schrank hängen. Doch natürlich könne ein Richter, so sieht es Arnold, politisch tätig sein. Richter müssen im Gerichtsaal über dem Geschehen sitzen, über Recht und Unrecht entscheiden, eine Ausgleich suchen. Gerade bei einem Richter, so Arnold, könnte politisches Engagement gewünscht sein - wo doch das Abwägen ebenso zu ihrem Beruf gehört wie die Kenntnis des Rechts.

Richter unter Druck gesetzt

Natürlich genießen auch Richter das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Doch auch die Versammlungsfreiheit, so betont Arnold, sei Ausdruck unserer freiheitlichen Demokratie. Er meint: Ein OLG-Präsident, der öffentlich äußert, dass er selbst weder demonstrieren, noch für eine Partei öffentlich auftreten würde, setze als Dienstvorgesetzter mittelbar die anderen Richter unter Druck - zumal er als OLG-Chef als Hausherr im Justizpalast ganz oben sitzt.

Doch wie steht´s mit den rechtlichen Vorgaben für politisches Engagement? Die Richterinnen und Richter müssen, wenn sie in Justitias Dienste treten, einen Eid auf die Verfassung schwören. Sie bekennen sich zur Demokratie, zu Freiheit und zu Gleichheit vor dem Gesetz. Sie geloben, ihre Aufgaben "politisch neutral als Diener des Rechts wahrzunehmen", so hat es das Bundesverfassungsgericht 1983 festgestellt.

Man könnte auch sagen, dass die Bürgerinnen und Bürger zu Recht darauf vertrauen können sollen, dass ihr Recht, und damit häufig auch ihr Schicksal, in den Händen von Richterinnen und Richtern liegt, die das Recht anwenden, ohne vorher einen parteipolitischen Filter anzulegen.

Politik im Gerichtssaal

Der Amtsrichter in Weimar dagegen scheint seine politische Überzeugung neben seiner Rechtsauffassung in den Gerichtssaal zu tragen. Er sprach im April 2020 einen Mann frei, der gegen die dortigen Corona-Regeln verstieß, schließlich habe, so seine Begründung, in Thüringen kein Gesundheitsnotstand geherrscht.

Es ist ungewöhnlich, dass Richterkollegen Urteile kommentieren, schließlich ist die richterliche Unabhängigkeit ein hohes Gut. Doch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof meldete sich zu Wort. Der Kollege in Thüringen, so hieß es, würde die Pandemie einschätzen, ohne sich tatsächlich mit den wissenschaftlichen Grundlagen auseinanderzusetzen.

Eine ungewöhnliche Debatte, schon weil für Richter das so genannte Mäßigungsgebot gilt. Es meint, dass ein Richter weder im Amt noch außerhalb das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden darf.

Der deutsche Richterbund hat unter dem Titel "Richterethik in Deutschland" eine eigene Broschüre veröffentlicht. "Innere Unabhängigkeit", so heißt es im Vorwort, "kann aber nicht verordnet, sondern muss gelebt werden."

Zur Mäßigung heißt es: "Der Bedeutung und Wirkung ihres Amtes auch außerhalb der beruflichen Tätigkeit sind sich Richter und Staatsanwälte bewusst. (...) Bei öffentlichkeitswirksamem Auftreten, insbesondere mit parteipolitischem Hintergrund, reflektieren sie mögliche Konflikte mit ihrem Amt."

Fest steht: Vertrauen ist dann erschüttert, wenn sich Richter am Meinungskampf - und dieser muss dabei nicht parteipolitisch sein - so beteiligen, dass sich die klare Trennlinie zu ihrem Amt nicht mehr ziehen lässt, wie ein Fall aus Rostock zeigt.

Derber Facebook-Auftritt

Bereits im Frühjahr 2015 hatte eine Große Strafkammer des Landgerichts zwei Männer wegen erpresserischen Menschenraubs verurteilt. Einer der Richter gefiel sich in einem derben Facebook-Auftritt: Auf seinem Profil hatte er ein Foto von sich im T-Shirt veröffentlicht. Die Aufschrift auf dem T-Shirt hatte es in sich: "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause: JVA". Der Spruch: "Das ist mein 'Wenn du raus kommst, bin ich in Rente'-Blick" ergänzte den Auftritt. Später hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Strafurteil dieser Kammer auf. Dieser Internetauftritt sei nicht mit der gebotenen Haltung der Unvoreingenommenheit eines Richter zu vereinbaren.

Das Mäßigungsgebot, das Richtern auch bei deren Verhalten außerhalb des Dienstes bestimmte Pflichten auferlegt, ist die Kehrseite des großen Freiraums, des Vertrauensvorschusses der richterlichen Unabhängigkeit.

Das Deutsches Richtergesetz formuliert es in § 39 so: "Der Richter hat sich innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird." Das Mäßigungsgebot schützt das Vertrauen gegenüber der Justiz als Institution.

Im Bezirk des Oberlandesgericht Nürnberg und des Oberlandesgerichts Bamberg arbeiten einige Richter und Staatsanwälte, die sich für Parteien engagieren: Andrea Heilmaier etwa sitzt in Fürth für die CSU im Stadtrat, im Amtsgericht Fürth wirkt sie als Richterin. In Bamberg ist Thomas Goger der führende Kopf bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern. Der Oberstaatsanwalt ist auch Schatzmeister im Landesvorstand der SPD - und Goger war es, der im Februar 2016 die Ermittlungen gegen seinen Parteikollegen Joachim Wolbergs lostrat. Es folgte ein Korruptionsprozess gegen den damaligen Regensburger Bürgermeister.

All dies zeigt: Aus rechtlicher Sicht ist politisches Wirken möglich - doch je näher öffentliche Äußerungen dem dienstlichen Bereich des Richters kommen und je höher sein Amt ist, desto mehr Zurückhaltung ist geboten.

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