85 Jahre Bavaria-Kino Roth: Eine flimmernde Geschichte

22.4.2018, 06:00 Uhr
85 Jahre Bavaria-Kino Roth: Eine flimmernde Geschichte

© Foto: mrm

n vierter Generation führt Anja Bürger eine Tradition fort: "Meine Familie hat schon immer Kino gemacht", sagt sie stolz. So nimmt es auch nicht Wunder, dass ihre Urgroßeltern sich ausgerechnet bei einem Kinobesitzertreffen kennen und schließlich lieben gelernt hätten.

Die beiden wurden ein Paar und die Eröffnung eines gemeinsamen Kinos lag somit auf der Hand. Nach dem Spatenstich für das Vorhaben in der Bahnhofstraße erfolgte die Eröffnung des Lichtspielhauses im Jahr 1933 recht schnell. Die Gäste strömten in den großen Kinosaal, um nicht nur Spielfilme anzusehen, sondern auch Nachrichten, die von der "Fox Tönenden Wochenschau" produziert wurden.

Bei Kriegsende beschlagnahmten die Amerikaner das komplette Anwesen für eigene Zwecke. Sprich: Es liefen dort nur amerikanische Spielfilme für die Soldaten der US-Army. Doch bereits 1945 erhielt man als erstes Kino in ganz Bayern die Lizenz, wieder "normal" vorführen zu dürfen.

In der Tat boomte das Filmgeschäft in den Folgejahren so sehr, dass man sich entschied, 1955 ein weiteres Kino in Roth bauen zu wollen. Die Wahl fiel auf die Rother Innenstadt: Gegenüber von Schloss Ratibor schufen die Großeltern Bürger das Park-Theater samt Hotel und Café. "Der erste Film dort war ,Das Gewand’ mit Richard Burton", erzählt Anja Bürger.

Es sei auch eines der ersten Kinos gewesen, das Filme im Cinemascope-Format aufführte. Darauf sei man damals sehr stolz gewesen und die Geschäfte liefen bestens.

Der Durchbruch des Fernsehens zwang die Familie Bürger allerdings dazu, harte Maßnahmen zu ergreifen. Am 23. Juni 1968 flimmerte im Park-Theater der letzte Film über die Leinwand – "Heubodengeflüster" mit Herbert Hierl. Auch das "Bavaria-Kino" selbst wurde bereits 1965 von ursprünglich 490 Sitzplätzen auf 250 verkleinert. Denn das neue Medium Fernsehen wurde in der Bevölkerung so gut angenommen, dass mit Kino kaum noch etwas zu verdienen war.

Drei Jahre ohne

Die Schließung des "Bavaria" war unumgänglich. Ganze drei Jahre musste Roth ohne Lichtspieltheater auskommen. Durch die 1970er Jahre hindurch war das Bavaria-Kino lediglich verpachtet und ins einstige Park-Theater zog das Kaufhaus "Heka" ein. Ein weiteres kleines Kino am Willy-Supf-Platz musste ebenfalls schließen.

Nach dem Ende der 1970er Jahre erlebte das Kino eine wahre Renaissance. Also krempelten die Bürgers ihre Ärmel wieder hoch und wagten den Neuanfang. Dazu wurde das Kino in der Bahnhofsstraße komplett umgebaut, der große Kinosaal in zwei kleinere aufgeteilt. Damit war man in der Lage, zwei Filme gleichzeitig aufzuführen.

Hier fand schließlich Anja Bürger zu ihrer Berufung: "Ich habe schon als kleines Kind im Kino mitgemacht – angefangen hat alles mit Aufräumen für ein Fufzergla." Schnell erfolgte der Aufstieg zur Kartenabreißerin und sie durfte alsbald auch an der Kasse und im Laden helfen. "Nur vorgeführt habe ich nie. Da weigerte ich mich", schmunzelt die heutige Kino-Chefin.

Während des Umbaus wurden sämtliche Kinositze und das gesamte Mobiliar ausgebaut. Im mehr oder weniger "leeren Kino" fanden sich bei der Neueröffnung (1980) jedoch so viele Besucher ein, wie schon lange nicht mehr. "Die Gäste saßen mit Decken auf dem Boden und wir haben zur Neueröffnung die ’Rocky Horror Picture Show’ aufgeführt". Ein voller Erfolg!

Doch: Die Konkurrenz schlief nicht. Besonders der Einzug der großen Multiplex-Kinos in der Region machte dem "Bavaria" in den 1990 Jahren zu schaffen: "Das Publikum blieb aus und wir standen kurz vor der Schließung." So schnell wollte man aber doch nicht klein beigeben. So wurde denn in den Jahren 2007 bis ’13 nach und nach noch einmal richtig investiert. Satte 120 000 Euro steckte die Kino-Familie in die Digitalisierung der beiden Säle. Darüber hinaus wurden neue Sitze und eine Popcorn-Maschine angeschafft sowie das Dach und die Heizungsanlage komplett erneuert. "Wir standen vor der Entscheidung zu schließen oder zu digitalisieren", erklärt Bürger.

Eine Investition, die schließlich lohnte. Das neu gestaltete Bavaria- Kino wird von den Film-Fans nach wie vor sehr gut angenommen. "Mein Publikum ist das ,Mittelalter’; die Jugend fährt nach Nürnberg."

Geheimtipp Popcorn

Vor allem Kinderfilme, Komödien und Romanzen würden bei ihr gut laufen, erzählt Anja Bürger. "Wenn wir solche Filme im Programm haben, kommen sogar Leute aus der Großstadt nach Roth. Unser Popcorn ist ein Geheimtipp und auch der günstige Preis lockt ins Bavaria, " weiß sie zu berichten. Nicht zuletzt die gemütliche und familiäre Atmosphäre würden eine große Rolle spielen.

Trotz immer neuer Techniken und Internet-Streaming blickt Anja Bürger äußerst optimistisch auf ihren Arbeitsplatz: "Kino lohnt sich schon noch, weil es einfach ein Erlebnis ist. Ich glaube, dass es das klassische Kino noch lange geben wird."

Für Anja Bürger selbst steckt im Bavaria-Kino ein Reigen schöner Erinnerungen. Bereits in ihrer Kindheit war sie völlig in die Filmwelt integriert. Für sie sei es schon immer "toll" gewesen, ein Kino zu haben. Doch dies habe auch seine Schranken gehabt. Besonders, wenn Filme nicht für ihr Alter freigegeben waren: "Manchmal hab’ ich mich mit meinen Freunden einfach in Vorstellungen geschlichen", sagt sie mit einem Lächeln. Doch die Kinder wurden immer erwischt und mussten den Kinosaal wieder verlassen.

Spielfilme haben es Anja Bürger seit jeher angetan. Sie liebt Streifen wie "Mama Mia", "Die Truman-Show" und sämtliche James Bond-Abenteuer. "Aber alles schaue ich mir nicht an. Vor allem keine Horror-Filme, da bin ich ein richtiger Hasenfuß!"

Schöne Erinnerungen hat Bürger auch an Veranstaltungen außerhalb des Lichtspielhauses. Als Kinobesitzerin war sie regelmäßig mit ihrer Mutter, Frederike Bürger, in München beim Filmball. Stars wie Thomas Gottschalk und Sascha Hehn waren dort zum Greifen nah und die Familie Bürger atmete dort einen kleinen Hauch von Glanz und Glitter nach bester Hollywood-Manier. Auch ein Kartenabreißer, der als junger Mann sein Taschengeld im Bavaria aufbesserte, blieb dem Genre übrigens treu und arbeitet heute für die Oscar-Verleihung in Los Angeles.

Die erfolgreichsten Filme, die in Roth aufgeführt wurden, waren: "Dirty Dancing" (1987), "Pretty Woman" (1980), "Titanic" (1998) sowie die "Fack ju Göhte"-Trilogie. Getoppt wurden diese Top-Acts lediglich von der deutschen Komödie "Der Schuh des Manitu". Ganze 24 Wochen lief die Winnetou-Persiflage im Bavaria- Kino.

Aber wie gesagt: Mit Kino alleine war es in manchen Jahren schwer, zu überleben. So wurden Überlegungen getätigt, wie man rund ums bestehende Lichtspielhaus expandieren könnte. Die zündende Idee lag nicht weit entfernt und Anja Bürger eröffnete 1991 gleich nebenan ein Bistro, das dazu einladen sollte, den Abend nach der Vorstellung gemütlich ausklingen zu lassen.

"Filmriss"

Der treffende Name "Filmriss" (später "Marrakesch") sollte die Verbindung zum Kino sicherstellen. Ganze elf Jahre stand Bürger dort hinter der Theke, bis 2002 beschlossen wurde, das Bistro wieder zu schließen: "Es hat sich einfach nicht mehr rentiert".

Auch in der Otto-Lilienthal-Kaserne unterhielt man einen Saal. In der Zeit von 1984 bis 1994 haben die Bürgers auf dem Militärgelände einen Saal gepachtet, um den Rekruten und Soldaten etwas Abwechslung zu bieten. "Der Saal war nur spärlich mit Holzstühlen ausgestattet", weiß Anja Bürger noch. Die Soldaten hätten das Angebot trotzdem gerne angenommen. Irgendwann kamen aber immer weniger uniformierte Zuschauer, sodass eine Investition in die Kasernen-Räumlichkeit nicht mehr lohnte und man den Soldaten stattdessen einen verbilligten Eintritt ins "Bavaria" gewährte.

"Super gelaufen ist aber unsere Kleinkunstbühne." Im großen Saal liefen ab 1991 nämlich nicht nur Filme. In sporadischen Abständen fanden namhafte Kabarettkünstler ihren Weg nach Roth und sorgten für kurzweilige Unterhaltung. Größen wie Klaus Schamberger, Michael Mittermeier und Eisi Gulp füllten das Kino.

"Im Schlosshof veranstalteten wir sogar sechs bis sieben Open-Air-Aufführungen mit Dieter Nuhr und dem ,Dreggsack‘ Michl Müller." Solche Projekte waren natürlich mit erheblichem Aufwand verbunden und Kleinkunstbühnen eröffneten jetzt an allen Ecken und Enden. Letztendlich nahm die damalige Besitzerin Frederike Bürger die Kleinkunstbühne aus dem Programm. Übrig ist nach all diesen Bemühungen und Experimenten das Bavaria-Kino. "Klein aber fein", sei’s – und: "So soll es auch bleiben."

Ein aktueller Kino-Star ist übrigens immer präsent: Der Kater "Kleiner Mann", den Anja Bürger vor vielen Jahren aus dem Tierheim geholt hat. Seither tigert er während der Vorstellungen entspannt durch die Kinosäle und kuschelt ungeniert mit dem Publikum.

"Der kleine Mann stört keinen. Im Gegenteil: Viele Leute kommen nur wegen ihm", schmunzelt Bürger. Selbst auf Facebook hat der schwarz-weiße Kater eine eigene Seite mit weit über 500 begeisterten Fans. – Auch das ein Alleinstellungsmerkmal...

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