Erzieher*in: Toller Job, den immer weniger wollen

An der Belastungsgrenze: Kinder im "Kummergarten"

13.11.2021, 06:45 Uhr
Erzieherin? "Ein wunderbarer Beruf" sagen die, die´s wissen. Aber die Rahmenbedingungen hinken den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher und bringen das pädagogische Personal nicht selten an die Belastungsgrenze.

© Bernd Wüstneck/dpa, NNZ Erzieherin? "Ein wunderbarer Beruf" sagen die, die´s wissen. Aber die Rahmenbedingungen hinken den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher und bringen das pädagogische Personal nicht selten an die Belastungsgrenze.

Frustriert? „Definitiv“, sagt Tanja Brafford - „bin ich“. Als die Büchenbacherin vor neun Jahren von der Groß- und Außenhandelskauffrau zur Erzieherin umschulte, sei vor allem eines am Zug gewesen: Idealismus. Und heute?

„Eine Nachricht auf meinem Handy: Kollegin krank. Das heißt: Ich werde mit 24 Kindern – darunter auch Wickelkinder – allein für die Gruppe zuständig sein. Wenn ich Glück habe und die anderen personell gut aufgestellt sind, kann ich für bestimmte Tätigkeiten kurz Unterstützung bekommen. Na, wird schon werden. Ist ja nicht das erste Mal...“

Bilanz? "Erschreckend"!

Keine ganz untypische Szene aus dem Alltag einer Erzieherin, die Brafford da in einem Brief an die Redaktion schildert. Denn der „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme“ spiegelt einen ähnlichen Eindruck. Alle zwei Jahre legt die Bertelsmann-Stiftung diese Publikation vor. Darin wird der Ist-Zustand der deutschen Kindergartenlandschaft abgebildet.

Die Bilanz 2021? Das Nachrichtenmagazin „Focus“ hat sie in einem Wort zusammengefasst: „erschreckend“. Denn: „Mehr als Aufbewahren ist oft nicht drin“ in den Einrichtungen.

Neu kann man das Problem allerdings kaum nennen. Schon seit Längerem fehlt es in den Kindertagesstätten (Kitas) des Landes an Personal. In Zahlen: Drei Krippen- oder sieben Kindergartenkinder pro ErzieherIn sieht der „status optimus“ vor.

Die Realität schaut anders aus: Stand März 2019 hätten Erziehende pro Nase mindestens vier (Krippe) beziehungsweise neun Kids unter ihren Fittichen, so der Bertelsmann-Report. Ergo würden laut „Focus“ drei von vier Knirpsen in Deutschland eine Einrichtung mit zu wenig Personal und zu großen Gruppen besuchen.

Kaum Besserung in Sicht

Besserung? „Noch nicht so richtig in Sicht...“, meint Lena Latson zögerlich - und ehrlich. Einerseits will sie die Lanze für einen „wunderbaren Beruf“ brechen, andererseits seien ungünstige Rahmenbedingungen bei dessen Ausübung nicht von der Hand zu weisen. Dem Bildungsserver zufolge wird bis 2030 mit einem bundesweiten Defizit von rund 200.000 ErzieherInnen gerechnet.

Lena Latson ist selbst ehemalige Kita-Leiterin. Seit September stemmt sie die „pädagogische Fachberatung für Kindertagesstätten“ am Rother Jugendamt. Zusammen mit Sonja Scholze und Christine Körber, die sich um die rechtlich-fachliche Beratung sowie die kindbezogene Förderung kümmern, ist Latson Ansprechpartnerin für derzeit 147 Einrichtungen im Landkreis.

In ihnen werde durch die Bank „tolle, wertvolle Arbeit geleistet“, findet Lena Latson. Doch kennt sie auch das „generell sehr hohe Belastungsniveau“ dort, welches sich „seit der Pandemie noch verschärft“ habe und „in unzähligen Gesprächen mit den Kita-Leitungen immer wieder deutlich“ werde.

"Ein Kraftakt"

Um die Situation besser einordnen zu können, muss man wissen: Durch den Rechtsanspruch auf einen Kindergarten- (seit 1996) oder Krippen-Platz (seit 2013) und demnächst auch auf die Ganztagesbetreuung von Grundschulkindern (ab 2026) schreitet der Ausbau der Einrichtungen zwar zügig voran, aber die Besetzung der Stellen - „ein Kraftakt“!

Woran´s genau liegt? Tja, da würde so einiges ins Kraut schießen, meint Latson. Grundlegendes Faktum sei: „Kitas sind mittlerweile weit weg vom Image eines reinen Aufbewahrungsortes“. Vielmehr wären sie heute Bildungs- und Sozialisationsinstanz.

Das bedeutet: Der Nachwuchs wird zusehends jünger und länger in die Obhut der Institutionen gegeben. Damit fallen dem Personal auch mehr Aufgaben zu, die vormals in den Familien stattfanden. Sauberkeitserziehung zum Beispiel. Oder ganz banal: „Wie halte ich den Löffel beim Essen?“, schildert Latson. Einerseits.

Eine dynamische Umgebung

Zum anderen bildet die Kita auch gesellschaftliche Dynamiken ab: Migration, Inklusion. Um Steppkes mit entsprechendem Hintergrund „schul- und lebensfest“ zu machen, sind spezifische Fördermaßnahmen und die Kooperation mit Fachdiensten nötig.

Außerdem hat 2005 das BayKiBiG (Bayerisches Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz) Einzug im Freistaat gehalten. Seither muss jeder Spross vom Kita-Team eingehend beobachtet, seine Entfaltung dokumentiert werden, um den Fortschritt des Kindes mit den Eltern im jährlichen Entwicklungsgespräch behandeln zu können. Schließlich geht es am Ende um nichts weniger, als die bestmögliche Schulreife des Zöglings. Der Bildungsauftrag von Kitas hat es also in sich.

Daneben will freilich noch gesungen, gebastelt, gespielt werden. Und: „Die üblichen Jahresfeste gehören natürlich nach wie vor zum Programm. Sie sind ein Höhepunkt für die Kleinen!“, so Latson. Allein: „Für die Vorbereitung bleibt wenig Zeit.“ Von der Nachbereitung pädagogischen Arbeitens – etwa in Form von Teamsitzungen - gar nicht erst zu reden.

Im Spannungsfeld

Damit befindet sich die Kita der Gegenwart in einem Spannungsfeld: Der Erwartungsdruck seitens Eltern, Trägern und Schulen scheint immens, während die Anforderungen stetig steigen und gleichzeitig das Personal wegbleibt. Die Überlastung der Kita-Erziehenden – vorprogrammiert!?

Die Bertelsmann-Studie bestätigt´s: „Viele Erzieherinnen schildern einen Spagat zwischen dem eigenen Anspruch und mangelnden Zeitressourcen.“ Konsequenz: „Laut werden im Stress oder unangebrachtes Schimpfen“ - das sei schon mal drin, Burnout keine Seltenheit.

Was tun? Klar, „die Erzieher-Kind-Relation verbessern und den Beruf attraktiver machen“, kennt Heike Fischer die hypothetische Antwort. Fischer und deren Kollegin Petra Hölzel obliegt die Fachberatung im Referat „Kindertagesstätten und Familienbildung“ des AWO-Kreisverbandes Mittelfranken-Süd. Sie kümmern sich somit um die AWO-Kitas in der Stadt Schwabach, in Nürnberg-Katzwang sowie im Landkreis Roth. Heike Fischer weiß also: Ganz so einfach lassen sich die Probleme nicht lösen.

Das hätten einschlägige Versuche der Bundesregierung ja gezeigt: Das „Gute-Kita-Gesetz“ habe nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Mit dem Programm „Tagespflege 2000“ sollten Tagespflege-Eltern in die Institutionen geholt werden, um für Entlastung zu sorgen – doch die seien dort eher die Ausnahme, denn die Regel.

Beim Anlauf, Verwaltungs- und Hauswirtschaftskräfte zu akquirieren, die das pädagogische Personal unterstützen, strauchelt man bislang. Und der „OptiPrax“-Ansatz, der mit einer verkürzten und vergüteten ErzieherInnen-Ausbildung (die in der Regel fünf Jahre dauert) auch (Fach-)AbiturientInnen, QuereinsteigerInnen und Männer ins Boot holen will? Muss sich wohl erst noch herumsprechen.

Ruf nach einem Bundesqualitätsgesetz

Daher geht die AWO eigene Wege. Neben teambildenden Maßnahmen und Supervision werde gerade den Azubis ein Netzwerk verschiedener AWO-Einrichtungen geboten, in denen sie Erfahrungen sammeln könnten. Man offeriere Workshops, Fortbildungen sowie interne Schulungen mit Praxismentoren. Kurz: Man wolle Qualitätsstandards schaffen, um sich positiv abzuheben. „Jeder Träger kocht so sein eigenes Süppchen“, skizziert Heike Fischer einen Umstand, der eigentlich nicht sein sollte.

Deshalb haben die „Gewerkschaft Erziehung und Wissen“, der „Bundesverband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder“ sowie der AWO-Bundesverband im Oktober einen Aufruf in Richtung neue Regierung gestartet. Tenor: „Kindertageseinrichtungen sind unverzichtbar“. Und weil dem so sei, wird ein „Bundesqualitätsgesetz“ mit einheitlichen Standards verlangt - festgeschrieben im Koalitionsvertrag.

Für Tanja Brafford ein schwacher Trost. Vorerst. In ihrer Kita, dem „Haus für Kinder“ in Röttenbach, sei es unlängst zum Eklat gekommen (wir berichteten), weil eben nur wenige die Problematiken innerhalb der Einrichtungen wirklich kennen würden, die Arbeit nicht richtig wertgeschätzt werde: „Viele haben doch immer noch das Klischee der Erzieherin als Kaffee trinkende Tante im Kopf“ und kaum das sozialpädagogische Spektrum auf dem Schirm, das es mittlerweile - mit mangelnden Ressourcen - abzudecken gelte, glaubt Brafford. Dennoch raffe sie sich werktäglich um 5.30 Uhr auf, wenn der Wecker klingle - „weil es mir einfach Freude macht, mit Kindern zu arbeiten.“

Ein Hoffnungsschimmer

Auf solche Worte baut Lena Latson im Hinblick auf eine bessere Zukunft. Sie hat nämlich im Zuge einer Masterarbeit über die „Zufriedenheit im elementarpädagogischen Bereich“ geforscht. Und ein Aspekt, der dabei zutage getreten sei, lasse hoffen: Das Gros der von ihr Befragten hätte - trotz allem – versichert: „Ja, ich würde diesen Beruf wieder wählen!“

Keine Kommentare