Arbeitsplatz im Himmel

9.9.2016, 16:46 Uhr
Arbeitsplatz  im Himmel

© Foto: Sven Grillenberger

Das Dröhnen des Propellers wird lauter, ein Ruck geht durch das Absetzflugzeug. Der „Pilatus Porter BC-6“ beschleunigt auf der kurzen Startbahn und erhebt sich in die Lüfte. Im Innenraum herrschen gemischte Gefühle: Anspannung, Nervosität, Vorfreude. 3600 Höhenmeter sind erreicht, es fehlen nur noch 400. „In zwei Minuten ist es so weit“, brüllt der Pilot gegen den enormen Geräuschpegel an.

Der Adrenalinspiegel steigt. Die Springer überprüfen noch einmal ihre Ausrüstung. Ein letzter Rundumblick durch den sonnigen, azurblauen Himmel: Im Nordwesten liegt deutlich sichtbar Nürnberg, südlich zeichnet sich die Silhouette der Alpen ab. Sobald die Kabinentür offen ist, wird das Turbinenbrummen noch lauter, und kalter Wind strömt in die Maschine. Das Herz pocht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr — nur noch einen Weg. Nach unten.

400 Schüler gecoacht

Vor dem Start im Hangar der Fallschirmspringer in Waizenhofen: Ein juvenil wirkender, athletischer Mann gibt Instruktionen, scherzt mit Gästen und Kollegen, klatscht jeden ab. Ronny Christoph geht hier nicht seinem Hobby nach – er hat es zum Beruf gemacht. Seit 21 Jahren springt er schon, ist sogenannter Tandemmaster und AFF-Lehrer (accelerated freefall, engl.: beschleunigter freier Fall) und hat weit über 10 000 Sprünge in seiner Vita stehen. „Angefangen hat alles beim Militär“, erinnert sich der ehemalige Fallschirmjäger, „aber dann hat ein Kumpel vorgeschlagen, dass wir nicht nur aus 400 Metern springen sollten.“ Danach folgte die Trainerausbildung. In den vergangenen 15 Jahren hat er rund 400 Schüler gecoacht: „Es macht mich schon stolz zu sehen, wie aus Anfängern Meister werden.“

Draußen vor der Halle weht eine leichte Brise aus Nordwest. Der Weizen der umliegenden Felder biegt sich sanft im Wind, und der taufrische Duft der Natur dringt durch die Nase. Vögel zwitschern, während aus den Lautsprechern das Programm eines lokalen Radiosenders tönt.

Kunden, die auf ihren Sprung warten, lenken sich mit dem Smartphone oder einer Zigarette ab. „Natürlich gab es auch schon Gäste, die panisch wurden“, erklärt Christoph, „aber es ist nicht schwer sie zu beruhigen. Und hinterher waren sie alle glücklich und dankbar“.

Das Fallschirmspringen gilt als sehr sichere Sportart. „Wenn es einmal ein Unglück gibt, dann weil sich noch unerfahrene Springer zu viel zutrauen“, beruhigt der Ausbilder. Materialfehler sind nahezu ausgeschlossen. „Und wenn, dann gibt es ja noch den Reserveschirm“, scherzt der passionierte Sportler. Während Christoph die Technik und Ausrüstung erklärt, landen vier Tandems auf dem Rollfeld. Jubel und Klatschen sind zu hören. Menschen mit vor Erleichterung und Glück strahlenden Gesichtern kommen in den Hangar, um ihre Ausrüstung abzulegen. „Das ist der Grund, warum ich diesen Job so liebe“, strahlt Christoph.

Um seinen Beruf ganzjährig ausüben zu können, geht Christoph über die Wintermonate ins Ausland. Nicht nur wegen der Kälte, auch die Gesetze in Deutschland sind strikter. So darf hierzulande zum Beispiel nur gestartet werden, wenn 90 Prozent des Himmels unbewölkt sind, und klare Bodensicht vorhanden ist. Durch Wolken zu springen ist verboten. „Fast ein bisschen schade“, schmunzelt Christoph, „denn es gibt nichts Schöneres als einen kreisrunden Regenbogen auf einer Wolke.“

Am Ende der Welt

Vor 15 Jahren startete er seine erste Auslandsexpedition. Damals in den USA. „Da habe ich sogar meine Schüler mitgenommen“, erinnert sich der 41-Jährige, „aber so schön die Staaten als Land auch sein mögen – mit der Politik konnte ich mich nicht anfreunden.“ Also verschlug es ihn 2008 nach Taupo in Neuseeland. „Es ist gar nicht so leicht, dort einen Job zu bekommen, man braucht verdammt gute Referenzen und muss mindestens 2500 Tandemsprünge nachweisen können“, so Christoph. Mittlerweile lebt er sieben Monate pro Jahr im Land der Kiwis.

Die restlichen fünf, von Mai bis Oktober, in Mittelfranken. „Es ist schon eine ganz andere Welt dort“, resümiert er, „wahnsinnig schön und ein ganz anderer Himmel beim Springen.“ Dort hat der Mann, der gerne an seine körperlichen Grenzen geht, auch seine Passion für den Triathlon entdeckt. Beim legendären „Iron Man New Zealand“ ist er seit 2014 schon drei Mal angetreten.

Adrenalin pocht

„Exit“, ertönt es aus dem Cockpit. Die Füße ertasten vorsichtig das Trittbrett an der Außenseite des Flugzeugs. Das Adrenalin pocht noch einmal spürbar durch die Adern, während der Puls durch die Decke schießt.

Absprung.

Kopfüber 4000 Meter in die Tiefe. Der Körper beschleunigt auf 200 Kilometer pro Stunde. Ein Luftstrom trocknet die Mundhöhle aus und presst die Haut von Gesicht und Hals zur Seite.

60 Sekunden freier Fall, doch das Gefühl für die Zeit geht hier ohnehin verloren. Nach etwa 2500 Metern zieht Christoph die Reißleine. Der Fallschirm öffnet sich und der Körper wird ruckartig in das Geschirr gedrückt. Jetzt beginnt der Gleitflug durch den klaren Himmel.

Die Welt zu Füßen wirkt wie die Szenerie einer Modelleisenbahn. Eine unbeschreibliche Stille umgibt die Tandemspringer. Nur das sanfte Summen des Windes ist zu hören. „Das ist Freiheit“, jubelt der Tandemmaster vergnügt, „eine der letzten, die wir Menschen noch haben“. Kurvenreich steuert der 41-Jährige das Landefeld an. Noch einmal volle Konzentration, dann gleitet das Gesäß auf die Wiese. Das Gehirn schüttet einen Hormoncocktail aus, der sich als wohliges Glücksgefühl im Körper ausbreitet. Ein Empfinden, das den Wunsch nach Wiederholung in sich birgt.

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