Aus dem Ruhestand direkt an die „Flüchtlings-Front“

27.11.2015, 19:24 Uhr
Aus dem Ruhestand direkt an die „Flüchtlings-Front“

© Foto: oh

Um aus dem Ruhestand zurück ins Arbeitsleben zu wechseln, braucht es schon gute Gründe. Geld war bei Ilek keiner, denn Zulagen bekommt er nicht – nur wieder sein früheres Gehalt. „Meine erste Reaktion war auch nicht begeistert, denn Langeweile hatte ich nicht“, sagt der ehemalige Marinesoldat. Aber er habe sich „verpflichtet gefühlt, in der Situation meinen Beitrag zu leisten“.

In Feldkirchen erwartete den 67-Jährigen dann Großes. Seit Ende September gibt es das Zentrum, in dem diejenigen Asylbewerber und Flüchtlinge erfasst werden, die nicht sofort auf eine der Unterkünfte verteilt werden können. Zwischen 170 und 1700 kommen täglich an — mehr als 20 000 in den vergangenen zweieinhalb Monaten. Die Registrierung übernehmen rund 190 Soldaten, das Technische Hilfswerk kümmert sich um die Unterbringung, das Rote Kreuz um Krankenversorgung, Kleidung und Verpflegung. Dazu kommen über 100 Freiwillige aus Bundeswehr, Hilfsdiensten und der Bevölkerung.

Für sie alle ist Ilek verantwortlich. „Aus dem Ruhestand auf 150 Prozent“, wie er sagt. „In den ersten Tagen habe ich manchmal gedacht, das schaffe ich nicht“, gibt er zu. Aber mittlerweile mache ihm die neue Herausforderung „viel Spaß“. Das liege vor allem daran, „mit wie viel Herzblut die Soldaten und Helfer dabei sind“. Seine Frau Renate sei ebenfalls der Meinung gewesen, dass er zu der Reaktivierung „kaum nein sagen kann“ — auch wenn sie ihn seither nur noch an den Wochenenden sieht.

In Feldkirchen werden lediglich die Daten und Fingerabdrücke der Asylsuchenden erfasst. Selten bleiben die Migranten länger als eine Nacht. „Viele wollen gar nicht nach Deutschland, sondern weiter nach Skandinavien“, weiß Ilek. Über das Internet seien sie „gut vernetzt“. Etwa zwei Drittel bleiben aber. Sie durchlaufen dann das übliche Anerkennungsverfahren auf Asyl oder Flüchtlingsschutz.

Auffällig ist dem Einrichtungsleiter zufolge, wie sich das Klientel verändert hat. Waren es vor einigen Monaten noch viele Zuwanderer aus sicheren Drittstaaten sowie vor allem junge Männer, so seien es nun fast ausschließlich Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Irak sowie „viele Familien und alte Leute“. Gerade letztere „verlassen ihr Land nicht ohne Not“, ist Ilek überzeugt. Viele kämen aus chronisch unterversorgten UNHCR-Lagern in der Türkei, für die die Mitgliedsstaaten in der Vergangenheit viel zu wenig getan hätten.

Die Flüchtlinge, die mittlerweile in Feldkirchen eintreffen, seien zudem häufig „in relativ schlechtem Zustand“. Mangelnde Hygiene, Blasen, Erkältungen und Durchfall seien an der Tagesordnung. „Wenn man die Kinder sieht, zerreißt es einem das Herz“, sagt der 67-Jährige, der in seiner aktiven Zeit schon einiges gesehen hat. Ein Bild, an das er sich noch gut erinnere, sei das eines kleinen Jungen, der direkt aus dem Bus auf den mit Hackschnitzeln bedeckten Boden gefallen und eingeschlafen sei.

Soldaten als Tröster und Helfer

In solchen Situationen ist Ilek stolz auf seine Leute, die sich vor allem um die Kinder rührend kümmern. Viele der Soldaten haben Einsatzerfahrung, was ihnen im Camp zugute komme. Von den Flüchtlingen gebe es bisweilen sogar spontanen Applaus.

Wegen der knappen Vorlaufzeit war der Warteraum Feldkirchen anfangs als reines „Sommercamp“ angelegt. Nun ist der Umbau in vollem Gange. „Wir haben drei beheizbare Großzelte für rund 900 Personen. Ein viertes soll noch hinzukommen. Weitere 700 Plätze bieten kurzfristig 70 Zehn-Mann-Zelte“, zählt Ilek auf. Mittelfristig soll das Camp auf 5000 Plätze wachsen. Allerdings komme der Zelthersteller mit der Lieferung kaum hinterher.

Gewalt oder Chaos gibt es im Registrierungszentrum dem Leiter zufolge so gut wie nicht. Um kleine Konflikte kümmere er sich manchmal selbst — zum Beispiel kürzlich um einen Hungerstreik. Nach einigen freundlichen, aber bestimmten Worten und „angesichts des Kaffeedufts aus dem nahen Rotkreuz-Zelt“ habe sich dieser aber „innerhalb einer Stunde erledigt“.

Vergewaltigungen und ähnliche Straftaten seien dagegen Hirngespinste, so Ilek. Ihm sei „kein einziger Fall bekannt“. Solchen Schauermärchen tritt der Rother auch bei den Bürgerversammlungen in den umliegenden Gemeinden entgegen. „Transparenz ist ganz wichtig“, ist er sich bewusst. Bei den Bürgern stoße er nur selten auf Ablehnung, wohl aber auf „Besorgnis, wo das alles hinführt“.

Deshalb betont Ilek auch, dass sehr wohl „geprüft werden muss, ob ein Flüchtling zum Beispiel auch wirklich aus Syrien kommt“. Bei aller Hilfsbereitschaft widerstrebe es ihm, „wenn jemand hier Schutz sucht und dann Lügengeschichten erzählt“. Auch die Anschläge von Paris werden nach Ansicht des 67-Jährigen „noch Auswirkungen haben“. Man dürfe jedoch nicht Ursache und Wirkung verwechseln: „Terroristen über die Balkanroute einzuschleusen, könnte Teil der Verunsicherungsstrategie des IS sein.“

Die größte Schwäche des aktuellen Verfahrens ist dem Campleiter zufolge, dass seine Mitarbeiter keine Handhabe haben, wenn ein Asylsuchender die Erfassung verweigert. Verlässt er das Camp ohne Registrierung, gilt er zwar als „illegal“. Wird er aufgegriffen, kann er jedoch erneut angeben, er wolle Asylantrag stellen, und das Spiel geht von vorne los. „Wenn wir hier eine Vollzugsbefugnis hätten, würden die allermeisten kooperieren“, ist sich Ilek sicher. Zwar gebe es Asylbewerber, die etwas verbergen wollen — zum Beispiel ihr Herkunftsland. Oft seien sie aber schlicht keine Hilfe von den Behörden gewöhnt oder von den Schleppern falsch informiert. Das Gros der Kriegsflüchtlinge sei „einfach nur froh, in Sicherheit zu sein“.

Keine Kommentare