Christine Waitz: "Viele kleine Bilder im Kopf"

1.1.2018, 12:00 Uhr
Christine Waitz:

Wenn man Christine Waitz nach ihrem sportlichen Highlight dieses Jahres fragt, kommt die Antwort beinahe wie aus der Pistole geschossen: "Das Race Across America war definitiv das wichtigste Ereignis für mich 2017!" Kein Wunder, denn schon die nackten Zahlen dieses Radrennens sind schier überwältigend: Zwischen dem Start in Oceanside an der Westküste und dem Ziel in Annapolis an der Ostküste mussten Waitz und ihre drei Mitstreiterinnen (Nicole Bretting, Steffi Steinberg und Mona Dietl) vom Team Quattra Bavariae im Juni über 4 900 Kilometer Strecke zurücklegen und dabei mehr als 50 000 Höhenmeter überwinden. Und als wäre das Ankommen allein nicht schon Herausforderung genug, hatten sich die vier Damen noch etwas viel Größeres vorgenommen: Sie wollten das schnellste weibliche Quartett sein, das dieses Rennen bis dato gesehen hat.

Als das Team – die vier Fahrerinnern wurden von Freunden und Verwandten als Helfer begleitet – am 17. Juni losgefahren war, peilten Waitz und ihre Kolleginnen eine Zeit von sechs Tagen, 13 Stunden an. Unterwegs mussten sie mit wenig Schlaf, dafür aber mit umso mehr Hitze, Regen und Wind zurechtkommen. Da immer nur ein Fahrer unterwegs sein durfte, wurde regelmäßig gewechselt. "Da wir die Wechsel sehr gleichmäßig durchgezogen haben, bin ich relativ sicher", meint Waitz, "dass jeder von uns ungefähr ein Viertel der Strecke gefahren ist." Wer gerade nicht fahren musste, versuchte sich zu erholen und bereitete sich auf seine nächste Etappe vor. So ging es Runde um Runde, tagelang. Als das Team schließlich in Annapolis über die Ziellinie rollte, begann das bange Warten auf das Endergebnis. Inklusive Zeitstrafe und Zeitgutschrift standen schließlich sechs Tage 15 Stunden und 19 Minuten auf der Uhr. Für die Bestzeit hatte es aber trotzdem gereicht – die Strecke war in diesem Jahr nämlich leicht verändert und damit etliche Kilometer länger geworden.

Den Rekord geknackt zu haben, war für das Projekt und Quattra Bavariae natürlich wichtig. Für Christine Waitz persönlich sind es jedoch letztlich andere Dinge, die bei so einem Abenteuer noch mehr Bedeutung haben. "Für mich ist das Erlebnis wichtiger", erzählt sie. Wenn sie heute an das RAAM zurückdenke, habe sie nicht die Zieldurchfahrt, sondern "viele kleine Bilder im Kopf." Bleibenden Eindruck hätten zum Beispiel die Landschaften, wie das Monument Valley, ein Renntag mit Tornadowarnung oder die vielen witzigen Situationen mit dem Team hinterlassen. Überhaupt: "Zwei Wochen mit so einer Wahnsinnstruppe unterwegs zu sein," das sei einfach toll. Besonders wichtig und schön war für die 34-Jährige, dass ihr Bruder Michael als Betreuer mit dabei war. Es sei einfach "super wichtig, die Leute zu kennen und sich absolut auf sie verlassen zu können." In der letzten Nacht habe sie beispielsweise bei strömendem Regen und entsprechend schlechter Sicht fahren müssen. Das habe sie nur gemacht, "weil Michi mit dem Auto vorneweg gefahren ist und ich mich 100 Prozent darauf verlassen konnte, dass er aufpasst."

Dass Christine Waitz einmal derartige sportliche Meilensteine setzen würde, war nicht von Anfang an abzusehen gewesen. Ihre Eltern hätten wohl einfach nur laut gelacht, erzählt die Rotherin, wenn ihnen das jemand vor 25 Jahren gesagt hätte. Als Kind habe man sie eher mit einem Buch oder Stift in der Hand angetroffen als beim Sport. "Ich war eher ein Couchpotato." Mehr durch Zufall sei sie dann Ende der 1990er-Jahre zum Ausdauerdreikampf gekommen – und ist dabei geblieben.

Schnell stellten sich die ersten Erfolge ein und die Distanzen wurden länger. 2005 startete sie beim Ironman Wisconsin zum ersten Mal bei einem Triathlon über die Langdistanz. Sie qualifizierte sich prompt für Hawaii, wo sie 2006 nicht nur ihre Altersklasse gewinnen konnte, sondern auch noch schnellste Deutsche wurde. 2007 startete sie dann das erste Mal in Roth und wird auf Anhieb Deutsche Meisterin. Und all das, während sie mitten im Kunststudium steckte. Zwei Jahre später wagte sie schließlich den großen Schritt und wurde Profisportlerin. Doch schon 2013 kam das jähe Ende: Die Gesundheit zwang sie dazu, dem Profi-Triathlon den Rücken zu kehren.

Nicht aber dem Sport an sich. Sie sucht und findet immer neue Herausforderungen. Mit einem Freund besteigt sie den Kilimandscharo oder rudert 700 Kilometer mit dem Boot durch die Wildnis Kanadas. Aber vor allem auf dem Rennrad stellt sie sich seit einiger Zeit extremen Projekten. 2016 nimmt sie am 2150 Kilometer langen Race around Ireland teil – und finisht als erste Deutsche und vierte Frau überhaupt. 136 Stunden fährt sie dafür praktisch nonstop Rad. Heuer folgt schließlich das berühmte Race Across America. Allerdings "nur" im Viererteam, ein Solostart steht also noch aus. "Ich habe mir 1 000 Mal gesagt, das fahr ich nicht allein", bekräftigt sie. Aber wer weiß…

 

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