Da sind sich die Kritiker einig: "Hier nicht!"

16.6.2019, 06:30 Uhr
Da sind sich die Kritiker einig:

© Foto: Julian Stratenschulte/dpa

In einer Petition wollen die sechs Gemeinden Rohr, Kammerstein, Büchenbach, Rednitzhembach, Schwanstetten und Wendelstein deutlich machen, warum aus ihrer Sicht die angedachte "Südumfahrung" der sogenannten Juraleitung, auch P53 genannt, eine schlechte Alternative ist. Bei einem runden Tisch im Sitzungssaal des Rathauses wurden schon einmal die wichtigsten Argumente zusammengetragen.

Erstens: Der Mensch.

Die Vorgabe des Landesentwicklungsplans, laut dem solche Mega-Stromtrassen 400 Meter von normaler Wohnbebauung und 200 Meter von Einzelgehöften oder Mühlen entfernt sein sollen, lässt sich in Schwanstetten nicht einhalten. Die von TenneT als mögliche Alternative vorgeschlagene Südumfahrung würde zwischen Mittelhembach und Schwand verlaufen. Die Ortsteile liegen nur 650 Meter voneinander entfernt. Egal ob Mittelhembach oder Schwand – einen würde es erwischen.

Auch beim neuen Baugebiet in Leerstetten nahe des Wasserturms lassen sich laut TenneT-Plan die 400 Meter nicht einhalten. Nördlich von Leerstetten würde ein Aussiedlerhof sogar direkt überspannt. Allerdings: Die 400/200-Meter-Regelung ist eine Empfehlung, ein ernstzunehmender Richtwert. Gesetzlich verankert ist er nicht.

Zweitens: Die Natur.

Im Gemeindegebiet Schwanstetten würde die Trasse von Rednitzhembach kommend zuerst die Schwander Soos mit seinem wertvollen Märzenbecher-Bestand durchschneiden und nördlich weiteren Bannwald, insgesamt mehr als vier Kilometer. Dafür müssten mindestens 60 Meter breite Schneisen in den Wald geschlagen werden.

Wenn man die anderen betroffenen Gemeinden zwischen Rohr und Wendelstein hinzurechnet, kämen wohl hunderte von Hektar Bannwald und geschützter Wald zusammen, die verloren gingen. Und mit dem Wald würden möglicherweise auch wertvolle Tiere verschwinden. In der Soos gibt es Schwarzspechte, Grauspechte und Sperlingskauze, nördlich von Leerstetten fühlen sich Kiebitz, Rebhuhn und Feldlerche wohl.

Drittens: Das Landschaftsbild.

Die Republik wird zwar von 1,7 Millionen Kilometer Stromtrassen durchzogen. Doch die 37 000 Kilometer Stromautobahnen, wie die P53 eine werden soll, sind ein anderes Kaliber. Die Masten sind zwischen 55 und 65 Meter und damit mehr als doppelt so hoch wie die von herkömmlichen 110-KV-Leitungen.

Klar ist: Bis zur Aufrüstung der Jura-Leitung von der derzeitigen 220-KV-Trasse zur 380-KV-Höchstspannungstrasse werden etliche Jahre ins Land gehen. TenneT befindet sich erst am Anfang eines langen Prozesses. Der holländische Konzern muss aufwändige Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren durchlaufen, das wird sich hinziehen. Derzeit wird von einem Baubeginn frühestens 2025 ausgegangen.

Zum Bau verpflichtet

Dabei geht es gar nicht mehr darum, ob TenneT die Stromautobahn bauen will oder nicht. Laut Bundesbedarfsplangesetz ist P53 als "zwingend notwendige Maßnahme" anerkannt. Damit ist TenneT nach aktuellem Stand verpflichtet zu bauen.

Die Frage, die sich viele Menschen vor Ort trotzdem stellen, lautet: Braucht man die P53-Trasse, die von Raitersaich im Landkreis Fürth über 160 Kilometer bis kurz vor Landshut führt, überhaupt? Heimische Bürgermeister wie der Kammersteiner Walter Schnell haben das kürzlich bei einem Treffen in Rednitzhembach stark bezweifelt. Doch Thomas Bruch von der Nürnberger N-Ergie, der ansonsten überbordendem Trassen-Neubau eher skeptisch gegenübersteht, sagt: "Ja, die Aufrüstung ist schon seit Jahrzehnten im Gespräch. Sie ist ein wichtiger Eckpfeiler für die gesamte Metropolregion. Das ist eine vernünftige Maßnahme."

Von wegen dezentral

Bruch war der Hauptreferent beim runden Tisch in Schwanstetten. Auch eine zunehmend dezentrale Stromversorgung benötige gewaltige Leitungskapazitäten, so der Experte. "Die Energiewende wird nicht mit einer reinen Verhinderungsstrategie gelingen." Bruch sprach sich vielmehr dafür aus, die Aufrüstung möglichst bürger- und naturverträglich hinzubekommen. Allerdings machte er auch deutlich, dass die Juraleitung nicht nur aus Sicht des Freistaates sinnvoll sei. "Eigentliche Motivation ist der möglichst barrierefreie Handel mit Strom in ganz Europa." Das wiederum konterkariere die Bemühungen, die Energiewende möglichst dezentral zu organisieren.

Was bedeutet das vor Ort?

Sowohl die vom Trassenbau (möglicherweise) betroffenen Gemeinden als auch die vielen Bürgerinitiativen, die schon existieren oder die gerade gegründet werden, müssen nicht das große Ganze im Auge behalten, sondern den (Lebens-)Raum direkt vor ihrer Haustür. Und da wird jeder aus seiner Sicht zunächst einmal sagen: "Bei mir nicht." Der Schwanstettener Bürgermeister Robert Pfann machte am Donnerstagabend noch einmal deutlich, dass man TenneT in diesem Zusammenhang auch keine anderen Vorschläge unterbreiten werde. "Das schafft andernorts neue Betroffenheiten, dieses Schwarze-Peter-Spiel machen wir nicht mit."

Grundsätzlich soll sich die P53 ("P" steht für Projekt) eigentlich weitgehend an der in den 1940er-Jahren gebauten Bestandsstrecke orientieren. Da es aber viele neuralgische Punkte (Katzwang, Wendelstein, Winkelhaid) gibt, sind seit zweieinhalb Wochen einige Alternativrouten im Gespräch, von der die zwölf Kilometer längere "Südumfahrung" durch den nördlichen Landkreis Roth sicher die aufsehenerregendste, aber auch die teuerste Variante wäre.

Was ist mit Verkabelung?

Ein Thema in Schwanstetten war die mögliche Verkabelung der Höchstspannungsleitung an besonders neuralgischen Punkten. Dass die kompletten 160 Kilometer Leitung unter der Erde verschwinden werden, gilt als ausgesprochen unwahrscheinlich angesichts eines acht- bis zehnmal höheren Preises. Für eine Verkabelung gibt es bislang noch keine gesetzliche Grundlage. Und selbst wenn es sie gäbe, so vermutete Thomas Bruch, dann werde TenneT nur sehr zögerlich zu diesem Werkzeug greifen. Denn: "Dann kämen ja neue Begehrlichkeiten aus allen Ecken der Republik. Und dann sprechen wir nicht mehr von 61 Milliarden Euro, die für den Bau neuer Stromtrassen notwendig sind, sondern von einem Vielfachen."

Unabhängig davon: Zusätzlich zu den schon bestehenden Bürgerinitiativen wird sich in Schwanstetten eine BI gegen den Trassen-Alternativvorschlag "Südumfahrung" Anfang Juli gründen. In Unterreichenbach ist in dieser Woche schon eine weitere BI gegründet worden, in Gustenfelden entsteht derzeit die nächste. Für den Namen hat man sich im Selbstvermarkter-Dorf Anleihen beim Artenvielfalt-Volksbegehren genommen: "Rettet das Schwabachtal".

Keine Kommentare