Die alte Arbeiterstadt Roth: Voll auf Draht in kalten Gemäuern

21.9.2019, 14:01 Uhr
Die alte Arbeiterstadt Roth: Voll auf Draht in kalten Gemäuern

© Foto: Lobenwein

Von den Geschichten über die zahlreichen Fabrikanten, Unternehmer und Handwerker sowie ihrer vielköpfigen Arbeitnehmerschaft fühlten sich die Teilnehmer bei dieser kostenlosen Führung, die im Rahmen des heimatkundlichen Jahresthemas, "Vom Arbeiter bis zum Zimmerer. Berufsvielfalt im Landkreis Roth", über die Bühne ging, zweieinhalb Stunden lang bestens unterhalten.

Fakten zum Schmunzeln

Spezialistin Marlene Lobenwein hatte wieder einmal tief in ihrem umfangreichen Fundus über die wirtschaftlich besonders intensiven Zeiten zwischen 1910 und 1960 gegraben und Fakten ans Tageslicht befördert, die teils zum Schmunzeln und teils sehr nachdenklich stimmten. Mag sein, dass die Stadt Roth dank ihrer leonischen Waren sogar auf dem Weltmarkt ihre Abnehmer fand. Besonders leicht und beschaulich aber kann das Leben für die Arbeitnehmerfamilien in der "industriereichsten Kleinstadt Bayerns" dennoch nicht gewesen sein.

So belief sich 1915 die tägliche Arbeitszeit für Männer auf elf Stunden. Für Frauen und Jugendliche war nach zehn Stunden Feierabend, für Kinder lag die Grenze bei sechs Stunden. Gearbeitet wurden sechs Tage in der Woche. Bei den meist kinderreichen Familien war trotz der üppigen Arbeitszeiten des Hauptverdieners Schmalhans meist Küchenmeister. Als rettender Strohhalm erwies sich oft die Heimarbeit. Nicht selten saß die Familie bis spät in die Nacht hinein um den großen Tisch, um Christbaumschmuck und andere leonische Artikel zu fertigen.

Wahrzeichen als kalter Steinbau

Den Fabrikanten ersparte die sogenannte Hausindustrie zusätzliche Räumlichkeiten und Stromkosten. Außerdem profitierten sie von der Flexibilität der Heimarbeiter. Deren Bezahlung war allerdings alles andere als üppig. Lobenwein verdeutlichte diesen leidigen Umstand an einem Beispiel aus dem Jahr 1930. Um gerade mal 45 Pfennige zu verdienen, mussten aus Metallfäden 144 Stück Putzrasch (abgerechnet wurde im Zwölfersystem) angefertigt werden.


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Die wirtschaftlichen Zeitepochen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg ließ Stadtführerin Marlene Lobenwein in Form von Dokumentationen aufleben, die Rother Bürgermeister Robert Groß (1919 bis 1945) und Heinrich Pürner (1946 bis 1969) angefertigt hatten. Ob Ralph Edelhäußer, der aktuelle Rother Bürgermeister, mit dem Kopf genickt hat, als Vor-Vor-Vorgänger Pürner in seinen Betrachtungen anklingen ließ, dass das Schloss ein kalter Steinbau sei, der in erster Linie sehr viel Geld kosten würde, ist Marlene Lobenwein zwar entgangen.

Dass aber der Stadt ihr Wahrzeichen nicht nur lieb ist, sondern auch viel Geld kostet, ist zu Edelhäußers Zeiten nicht viel anders als es bei Pürner war. Freilich: Zu Zeiten des ersten freigewählten Bürgermeisters nach dem Krieg plagten Roth ganz andere Sorgen als heute. Wohnungsbau und Infrastrukturmaßnahmen hatten oberste Priorität. Inzwischen gilt Schloss Ratibor als wichtiger Tourismus-Faktor und als willkommene Bereicherung des Kulturlebens.

Nicht angestaubt

Ganz am Ende der Führung diskutierten Referentin und einige ihrer Zuhörer über die Marketing-Anstrengungen des "neuen" Roth und kamen dabei rasch auf einen gemeinsamen Nenner. Der Slogan "voll auf Draht" sei weder angestaubt noch überholt, sondern fasse nach wie vor gut zusammen, was die Kreisstadt ausmacht. Eine Industrie, die in mehreren Bereichen weltweit gefragt ist, und ein Menschenschlag, der seinen Mann steht beziehungsweise "voll auf Draht" ist.

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