Interview:

Familienpsychologin: "Muttertag ist 365 Tage im Jahr"

9.5.2021, 07:00 Uhr
Mutter sein ist eine Herausforderung. Gerade in diesen Zeiten.

© Ikon Images, NN Mutter sein ist eine Herausforderung. Gerade in diesen Zeiten.

Am Sonntag ist Muttertag - für Sie stehen Mütter nicht nur an einem Tag, sondern berufsmäßig das ganze Jahr mit im Fokus ihrer Arbeit. Mal so ganz generell gefragt: Mama-sein heute - ist das ein einfacher oder ein schwieriger Job heute?

Nun ich habe den Eindruck, das war niemals so ganz einfach; und wer es gut machen will, hatte schon immer mit mehr oder weniger großen Freuden aber auch Sorgen zu tun. Andererseits habe ich den Eindruck heute – und noch dazu ganz aktuell in diesen Coronazeiten – ist es fast noch schwieriger für die Mütter, die in den allermeisten Fällen ja berufstätig sind, diese Aufgaben als Mutter für sich und die Umwelt zufriedenstellend zu bewältigen. Ganz aktuell sind es immer noch oft die Mütter, die sich um die Schule, die Alltagsorganisation und grundsätzliche Entwicklungsaufgaben der Kinder kümmern. In diesen Zeiten meine ich schon, dass die Familien - aber auch gerade die Mütter - an die Grenzen ihrer Belastbarkeit kommen.

Seit über 30 Jahren steht Psychologin und Familientherapeutin Marianne Wenzl-Popp ratsuchenden Eltern bei.

Seit über 30 Jahren steht Psychologin und Familientherapeutin Marianne Wenzl-Popp ratsuchenden Eltern bei. © privat, NN

Was unterscheidet die jetzige Generation der Mütter von der ihrer Mütter und Großmütter?

Ich denke, die jungen Mütter sind aus meiner Erfahrung heraus am wirtschaftlichen Fortkommen der Familie entscheidend mitbeteiligt. Die Aufgabe, „nur“ Mutter zu sein, gibt‘s eigentlich schon gar nicht mehr. Auch wenn sich die jungen Familien ihre Elternzeiten oft gleichberechtigt aufteilen, ist es oft immer noch die Mutter, die sich vorrangig um die Kindererziehung kümmert. Meiner Erfahrung nach müssen die Mamas von heute oft multitasking-Talente sein, um alles gemanagt zu bekommen.

Andererseits habe ich den Eindruck, dass sie generell auch sehr auf emotionale Bedürfnisse ihrer Kinder achten, sich intensiv mit deren sozialer und seelischer Entwicklung befassen. Doch quält das auch so manche Mama, wenn sie spürt, dass ihr nicht Balance gelingt zwischen den Anforderungen des Berufs und dem Anspruch, gleichermaßen dem Kind gerecht zu werden.

Ich denke, die Mamas bräuchten nicht nur einen Muttertag im Jahr, so mit Blumen, einem Kuchen und superhilfsbereiten Familienmitgliedern. Sondern eine Mutterauftankstelle jeden Tag. Oder zumindest jede Woche - da kann sich jeder überlegen, wie und was das sein könnte.

Sind die Anforderungen an Mütter grundsätzlich andere als an Väter?

Ich muss jetzt ein bisschen verallgemeinern. Dann generell meine ich schon, dass die Mütter sich selbst, aber auch von Seiten der Familie und der Gesellschaft - Stichwort Kita und Schule - eher in der Verantwortung für das Wohl des Kindes gesehen werden.


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Ich habe in der Beratung deutlich mehr mit Müttern als Vätern zu tun, die versuchen, alles, was gut und sinnvoll für das Kind ist - von der richtigen Ernährung über Hausaufgabenbetreuung bis zur Vorsorgeuntersuchung - unter einen Hut zu bringen.

Die Väter sind oft auch sehr interessiert und engagiert, in der Regel aber dann doch nicht so involviert in die alltäglichen Verpflichtungen. Das klingt ein wenig wie in früheren Zeiten und ist sicher auch nicht zu verallgemeinern; aber ich habe den Eindruck, dass sich da im Lauf der Jahrzehnte nicht wirklich Grundsätzliches verändert hat.

Unbestritten ist, dass gerade Familien in der Corona-Zeit viel zu leisten hatten bzw. es noch immer tun müssen. Welche speziellen Anforderungen stellt Corona nach Ihren Erfahrungen aus der Beratung heraus an die Frauen?

Da haben Sie Recht. Corona verlangt den Familien richtig viel ab. Aber: sie bekommen wirklich vieles ,gebacken‘. Ich habe den Eindruck, dass alle Anforderungen, denen sich Frauen und Mütter in ,normalen‘ Zeiten schon gegenüber sehen, durch Corona wie mit einem Brennglas verstärkt wird.

In vielen Fällen sind die Mütter gleichzeitig und oft in denselben Räumen Ko-Lehrerin, Seelentrösterin, berufstätige Frau, Hausaufgabenbetreuerin, Freizeitgestalterin, Köchin. Mit ein bisschen Nachdenken würden mir sicher noch ein paar Jobs mehr einfallen. Aber da ist es doch kein Wunder, dass so manche Mutter an ihre Grenzen kommt!

Und trotzdem hab ich auch den Eindruck, dass die Mütter der ganzen Situation noch Gutes abgewinnen können - auch, wenn das mittlerweile nachlässt: familiärer Nähe genießen; die Begrenzung durch (Außen-)Kontakte in Form von weniger Freizeitstress erleben; sich wieder miteinander zu befassen, sogar neue Beschäftigungsideen entwickeln – auch das ist eine Folge von Corona. Ausnahmsweise im positiven Sinn.

Begriffe wie Helikopter-Mama, die Rabenmutter, die Teilzeit-Mami und die Karrierefrau mit Kind sind Ihnen sicher nicht fremd. Alles klischeebehaftete Bilder. Wie sieht denn nun aus psychologischer Sicht die „ideale Mama“ aus. Also was macht für Sie eine „gute Mutter“ aus?

Ach die ideale Mama… .Ich denke, das ist auch ein Klischee. Ich weiß nicht, ob es die „ideale Mama“ tatsächlich gibt. Ich denke, es gibt verschiedene kindliche Grundbedürfnisse, die Mütter - und im übrigen auch die Väter - bei ihren Kindern beachten sollten: zum Beispiel das Bedürfnis nach körperlicher Sicherheit und Geborgenheit; oder nach Anerkennung und Wertschätzung. Das Bedürfnis danach, dass die Eltern stolz auf sie sind; dass sie als Kind beachtet und geliebt zu werden.

Ohne dass diese Liste vollständig ist, denke ich, dass das die Grundpfeiler sind, auf denen die Entwicklung eines seelisch gesunden jungen Menschen basiert. Und eine gute Mutter ist für mich eine Mama, die sich regelmäßig fragt, ob eines oder mehrere von diesen Bedürfnissen vielleicht hinten runtergefallen ist in der Alltagshektik - und diese dann wieder ,hochholt‘. Und sich dann im übrigen auch Hilfe suchen kann und darf, wenn sie sich dabei überfordert fühlt!

Es gibt wohl wenig Mütter, die nicht nach diesem Idealbild einer guten Mutter streben. Wenn es allen gleichermaßen gelingen würde, dann wäre ihre Beratungsstelle arbeitslos. Ist sie aber nicht. Im Gegenteil: die Statistik spiegelt das wider. Was macht Müttern in erster Linie zu schaffen? Und was den Vätern?

Nun da fragen Sie im Grunde nach den Sorgen, mit denen sich die Menschen an uns wenden: und das sind ganz verschiedene und ganz individuelle: da gibt’s die Sorgen um das Kleinkind, das nicht zur Ruhe kommt. Genauso wie die Sorgen um das schulische Fortkommen der Grundschulkinder; wenn es Kindern schwer fällt, sich von Mama oder Papa zu lösen; wenn es um Betreuungsangebote geht. Ängste, was die Schulleistungen angeht, machen Kindern zu schaffen. Aber auch partnerschaftliche Konflikte zwischen den Eltern sind oftmals Gegenstand der Beratung bei uns - das sind familiäre Spannungen unter denen auch die Kinder erheblich leiden.

Mütter wie Väter haben bei uns die Möglichkeit, sich darüber auszusprechen und mit uns Fachleuten zu überlegen, wie sie ihren Alltag sortieren können, um sich ihre Energie zu bewahren oder wieder aufzubauen, wenn sie sich erschöpft den Alltagsanforderungen nicht mehr gewachsen fühlen. Um nur ein Beispiel zu nennen. Was ich den Familien von unserer Seite mitgeben möchte ist: Sie können sich mit all ihren Sorgen und Problemen an uns wenden. Damit wir gemeinsam versuchen, individuelle Lösungen zu finden.

Was genau meinen Sie mit: „gemeinsam Lösungen finden“?

Jeder und jede in unseren Beratungsteam wird immer versuchen, mit den Ratsuchenden gemeinsam danach zu forschen, was sie sich wünschen. Was sich verändern sollte. Wir versuchen herauszufinden, was sie selber dazu tun können, welche Umstände sich vielleicht verändern müssen, was ihre Kompetenzen sind, was sie an Stärken und Ressourcen haben, die ja vielleicht auch nur verschüttet sind. Wir sind Begleiter*innen, Unterstützer*innen und Beistand, wenn‘s schwierige Lebenslagen zu bewältigen gibt. Und nicht zuletzt sind wir da, um zuzuhören. Unsere Aufmerksamkeit gilt den Ratsuchenden und wir überlegen gemeinsam, was genau für diese Mutter, für diesen Vater passen könnte. Oder was diese Familie braucht.

Dafür haben wir das Mittel des Gesprächs oder auch den spielerischen Weg mit Kindern und Jugendlichen. Wir haben Zeit und Raum für den Menschen vor uns und schon dadurch eine ganz exklusive Situation: Wer hat das schon im Alltag einen Menschen, der sich füpr einen wirklich Zeit zum Zuhören nimmt. Schon alleine diese Tatsache ist oft sehr wohltuend für Ratsuchenden. Wir wollen, dass sich die Menschen, die zu uns kommen, gestärkt fühlen, sich mit den Anforderungen ihres Alltags zu befassen. Dann auch Möglichkeiten erkennen oder entwickeln, wie sie wieder Lust und Freude an sich und ihrer Familie haben. Das gelingt uns im übrigen in Nuancen erstaunlich oft! Hier sind wir im Internet erreichbar.

Sie sind nicht nur Psychologin. Sondern auch selbst Mutter. Fiel oder fällt es mit dem fachlichen Hintergrund dann leichter, die Mutterrolle auszufüllen?

Nun meine eigenen Kinder sind mittlerweile erwachsen. Zum Glück! Ich würde sagen ja und nein. Es fiel mir manches leichter, weil ich – zumindest im Nachhinein- manches an Entwicklungsaufgaben meiner Kinder und auch meine eigenen Empfindungen dazu ganz gut verstehen konnte. Ich hab‘ mich auch mit meinem Hintergrund als Familientherapeutin recht gestärkt gefühlt, das Projekt „Kindererziehung und Familie bewältigen“ anzugehen.

In manchen Situationen war‘s allerdings vielleicht sogar ein wenig hinderlich, weil ich natürlich auch den Anspruch hatte, es wirklich gut zu machen. Aber da unterscheide ich mich gar nicht von jeder anderen Mutter.


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Was wünschen Sie Müttern am Sonntag ?

Aus Sicht der Erziehungsberatung wünsche ich mir von den Müttern, dass sie sich frühzeitig Unterstützung suchen, wenn‘s hart kommt; sie müssen nicht versuchen, mit ihren Sorgen und Nöten alleine fertig zu werden. Sie können und sollen sich trauen, Rat zu suchen. Bei Familienmitgliedern. Freunden. Oder eben auch bei uns der Erziehungsberatungsstelle.

Und dann wünsche ich uns Müttern Kraft, Geduld, Durchhaltevermögen und Vertrauen - für sich und mit ihren Kindern. Umso mehr in diesen schwierigen Zeiten. Ich wünsche den Müttern, dass sie sich selber nicht vergessen und dies nicht nur am Muttertag, sondern an 365 Tage im Jahr! Und dass sie bei aller Sorge, die Mütter oft so umtreibt, die Freude an ihren Kindern immer wieder auch spüren.

Zur Person

Marianne Wenzl-Popp gehört seit über 30 Jahren zum Team der Erziehungsberatungsstelle Roth-Schwabach, die von Diakonie und Caritas gemeinsam getragen wird. Derzeit wird in erster Linie telefonisch oder per Video-Chat beraten. Doch sind auch persönliche Gespräche möglich. Marianne Wenzl-Popp (62) ist Diplom-Psychologin, Familientherapeutin und auch selbst Mutter.

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