"Wie in einem schlechten Katastrophenfilm":

Flutopfer aus Heideck will nicht mehr am Wasser wohnen

25.9.2021, 07:04 Uhr
Der Blick vom Haus des Ehepaars Kraft-Börder zu den Nachbarn: Nichts als Wasser, wo vorher ein Hof war.

© privat, NN Der Blick vom Haus des Ehepaars Kraft-Börder zu den Nachbarn: Nichts als Wasser, wo vorher ein Hof war.

„Das Wasser scheint uns zu folgen...“, sagt Romana Kraft sichtlich zerknirscht und weist mit weit ausholender Geste auf all die Gegenstände, die sich vor dem unauffälligen Zweifamilienhaus in Heideck türmen: Stühle, Regale, Lampen, Bretter, Kartons... - Es ist Krafts Elternhaus. Eigentlich sei sie ja wegen eines Trauerfalls angereist, doch dann hätten sie und ihr Mann den Wasserschaden im Keller entdeckt. „Jetzt“, erklärt die 47-Jährige, „ist erstmal Aktionismus angesagt“. Schon wieder.

Wollte man sarkastisch werden, könnte man das durchfeuchtete Untergeschoss nämlich als Déjà-vu bezeichnen, als ein allzu bekanntes Ereignis für Romana Kraft und Alexander Börder. Aber Wasser mit Wasser zu vergleichen, ist in diesem Fall mehr als unangebracht. Es verbietet sich. Denn hinter dem Ehepaar Kraft-Börder liegen traumatische Monate. - Aufarbeitung läuft.

Die IT-Servicemanagerin und der Security-Analyst leben im Westen der Republik. Bis vor Kurzem lautete ihre Adresse: Groß-Vernich, Gemeinde Weilerswist, Kreis Euskirchen. Ein flaches, unspektakuläres Fleckchen Land in der Voreifel, an dem die Erft vorbeiplätschert. Jenes unscheinbare Gewässer, das Mitte Juli vom „Furzbach“ (Börder) zum Schreckensszenario anschwoll und Romana Kraft sowie Alexander Börder zu Betroffenen der Flutkatastrophe 2021 machte.

Zwei Zusammenbrüche

Ganz leicht sei´s nicht, das Geschehene erneut aufzurühren, gesteht Kraft. Die Vorkommnisse hätten ihr bereits zwei persönliche Zusammenbrüche beschert, das Hochwasser habe sie quasi mitangeschwemmt. „Man kann sich das nicht vorstellen...“, meint die etwas müde wirkende Frau und sucht im Handy nach Bildern, um ihre Schilderung zu illustrieren: Wohnzimmermobiliar, das sofahoch in einer trüben Brühe versumpft; Autos, von denen nur noch Metalldächer aus einer überfluteten Straßenzeile ragen; Landmasse, die einer beigen Spiegelfläche gewichen ist.

Dabei habe alles so harmlos begonnen, als der Regen kam. Wer konnte denn ahnen, dass 26 Personen aus dem Kreis Euskirchen nach dem 15. Juli nicht mehr am Leben sein würden wegen des Wassers. Wasser, das irgendwann „aus allen Rohren und Öffnungen“ drang.

Romana Kraft, die ihren Wohnsitz schon 2002 von Heideck nach Nordrhein-Westfalen verlegt hat, schüttelt den Kopf. „Wie in einem schlechten Katastrophenfilm“ sei´s gewesen, erinnert sie sich. Bereits seit dem Wochenende hatte es immer wieder auf Groß-Vernich heruntergeprasselt. Am Mittwoch, dem 14. Juli, regnete es schließlich „ohne Ende“. Abends ließen die Niederschläge dann nach. Allerdings hatte ein abschüssiger gelegenes Haus in der unmittelbaren Nachbarschaft „klamme Füße“ bekommen: Regenwasser, das in den satt-nassen Böden nicht mehr versickern konnte, war dort zusammengelaufen und hatte sich 20 Zentimeter hoch angestaut, sodass flugs alle verfügbaren Hände anpackten, um wieder für einigermaßen „trockene Verhältnisse“ zu sorgen.

"Wir hatten keine Ahnung, was los ist"

Alexander Börder weiß noch genau, wie er anschließend, „gegen 2 Uhr nachts und ziemlich erledigt“, vor der Glotze „ein bisschen runterkommen“ wollte, als das TV-Gerät plötzlich den Dienst versagte - und mit ihm die gesamte Elektrik. Kurz danach setzten die Sirenen ein: Katastrophenalarm! Das sei dieser auf- und abschwellende Heulton, der Börder auch Wochen später noch verfolgte, „weil er sich tinnitusartig in die Gehörgänge schraubt“.

Feuerwehr und Polizei waren plötzlich omnipräsent, Blaulicht überall, Helikopterlärm gesellte sich hinzu. „Wir hatten keine Ahnung, was los ist“, zumal man Durchsagen nur schwer verstand. Irgendwann sickerte durch: Hochwassergefahr! Ein Damm drohe zu brechen, vermeldete der „Flurfunk“. Das sei freilich nur die halbe Wahrheit gewesen.

Der 39-jährige Alex Börder klebte also flugs die Türen mit Teichfolie ab – hoffend, dass von außen nichts in die Wohnräume dringt. „Leider musste ich ihm da schon erklären, dass sich soeben ein braunes Rinnsal den Weg aus der Dusche bahnt“, rekapituliert Romana Kraft matt. Das Paar klopfte noch fix die 82-jährige Nachbarin raus, die vom Geschehen rundherum nichts mitbekommen hatte, um sich schließlich auf den Weg zur Mehrzweckhalle zu machen, wie allenthalben angeordnet.

Corona? Kein Thema mehr...

„Da war natürlich full house“, berichten die beiden. An Corona wurde hier kaum noch ein Gedanke verschwendet. Will heißen: „Masken? Abstand? - meist Fehlanzeige!“ Wegen einer chronischen Vorerkrankung Romana Krafts trat man daher den Rückzug an. Ernst der Lage? „Kam nicht so richtig bei uns an“, gibt Alexander Börder zu. Die Handys waren ja tot, Infos hätte man weiter keine gehabt.

Da bleibt im Nachhinein ein ungläubiges Kopfschütteln nicht aus: Romana Kraft und Alexander Börder sichten die Hochwasserbilder, die sie mit dem Handy aufgenommen haben.   

Da bleibt im Nachhinein ein ungläubiges Kopfschütteln nicht aus: Romana Kraft und Alexander Börder sichten die Hochwasserbilder, die sie mit dem Handy aufgenommen haben.   © privat, NN

Also hockten sich die beiden in den etwas erhöht gelegenen Garten am Haus und beobachteten die Entwicklungen. Gegen 7.45 Uhr sei das Wasser im Erdgeschoss knöcheltief gestanden und innerhalb von 30 Minuten um weitere 50 Zentimeter gestiegen. „Keiner wusste, wo und wann das aufhört“, räumt Börder ehrlich ein. Hätte er geahnt, wie nebenan in Erftstadt gerade ganze Häuser versanken, Teile der benachbarten A61 weggerissen wurden oder im 30 Kilometer entfernten Kall Lastwagen wie Pingpong-Bälle durch die Straßen trieben – womöglich wäre er dann nicht mit den wichtigsten Habseligkeiten – jene, die noch zu retten waren – in den ersten Stock gestiegen und hätte ein paar Stunden später versucht, zu schlafen...

"Großes Glück" gehabt

„Wir hatten großes Glück“, resümieren die Eheleute. Glück, dass das 250 Jahre alte Bauernhaus, in dem sie zur Miete lebten, höher lag als andere Anwesen, die voll liefen. Glück, dass der Stromverteiler „wie Scheiblettenkäse geschmolzen ist“ und nicht zur tödlichen Gefahr wurde, als Alexander Börder bis zur Hüfte „in der braunen Soße“ stand.

„Die Szene war surreal“, beschreibt Romana Kraft den nächsten Morgen: blauer Himmel, strahlender Sonnenschein - und Verwüstung. Das Wasser war zwar zurückgegangen, hatte aber flächendeckend seine bestialisch stinkenden Hinterlassenschaften verteilt – eine schlammige Mixtur aus Öl, Düngemittel, Fäkalien „und was da sonst noch drin rumgetrieben ist“. Auch die apokalyptischen Gesamtausmaße des Naturereignisses offenbarten sich nun peu à peu.

In Aktionismus geflüchtet

Wie man mit all dem umgegangen sei? „In Aktivität flüchten, Emotionen beiseite schieben: Zwei Wochen lang standen nur Putzen und Sortieren auf dem Plan!“, blickt Romana Kraft zurück. „Zum Glück war die Solidarität gigantisch!“ Nicht nur Betroffene halfen zusammen, auch Arbeitskollegen der beiden - samt Manager! - standen mit einem Mal auf dem Hof. Freunde kamen von weither und karrten an, was fehlte.

„Eine syrische Familie im Ort hat Unmengen gekocht, der Mann vom Asialaden fuhr mit Lebensmitteln vor und der Metzger hat sein Fleisch für die Leute gegrillt.“ Außerdem: „Ohne das Zutun der Bauern, die den ganzen Müll mit ihren Landwirtschaftsmaschinen weggefahren haben, wären wir noch mehr im Chaos versunken".

Und dennoch: „Wir konnten da nicht mehr wohnen.“ Romana Kraft und Alexander Börder mussten feststellen, dass die denkmalgeschützte Substanz des Anwesens völlig hinüber war: Lehmwände bröckelten kindskopfgroß, Schimmel bemächtigte sich der Umgebung – Atemwege inklusive – und die Versorgung mit Strom, Wärme, Wasser, Internet, der Aufbau der Infrastruktur... - „Vergiss´ es! Das dauert Monate, Jahre...“, zieht Börder Bilanz.

Kursierende Gedankenspiele

Elementarversicherung? Nein, die hätte im Katastrophengebiet zuvor kaum jemand abgeschlossen. Umso dankbarer sei man nun für die finanzielle Unterstützung, die von vielen Seiten fließe – Bund, Land, karitative Organisationen oder Privatspender. Allerdings dürfe man sich auch nix vormachen: „Allein wir bleiben am Ende auf mindestens 20 000 Euro Schaden sitzen – von ideellen Werten gar nicht zu sprechen“, schätzt Alexander Börder, der denkt, dass es vielen Haushalten ähnlich gehen werde.

Was den Klimawandel betrifft - „den hat kaum jemand auf´m Schirm, glaub´ ich“. Trotz allem. Registriert hätten die Menschen aber durchaus das: Die zunehmende Versiegelung der Landschaft werde zum Problem. „Wo früher Wiesen waren, stehen heute Häuser. Da kann kaum noch was ablaufen...“

Laut seien auch die Rufe nach einem besseren Katastrophenschutzmanagement geworden, weiß Romana Kraft. Die Europäische Flutwarnbehörde habe im Vorfeld der Regenfälle zwar „sehr wohl angekündigt, dass es heftig werden würde“, aber dieser Warnschuss hätte sich in der Bevölkerung nicht strukturell verbreitet. Leider. Andernfalls „wären sicher mehr Menschenleben zu retten gewesen...“

Das alles seien „Gedankenspiele, die aktuell die Runde machen“. Denn an den Orten des Geschehens „ist man gerade mittendrin, zu verarbeiten“, kennt Kraft die Lage. Doch ein Trauma wie dieses sitze tief, „die Leute sind noch immer total durch den Wind.“ Da werde ein lachender Landesvater à la Armin Laschet mit Recht zum absoluten „No-go“ gestempelt!

"Stressmäßig auf ´nem Dauerstromlevel"

Alexander Börder sagt über sich selbst, er sei vergesslich geworden - „weil du stressmäßig auf ´nem Dauerstromlevel bist, das sich nicht mehr so leicht abschütteln lässt.“ Und Romana Kraft meint: „Würden wir noch da wohnen, würde ich jeden Wetterbericht, der ein Tief meldet, mit Angst verfolgen.“

Auch deshalb haben sie Mitte August ihre Koffer gepackt und sind umgezogen. Weg von jeglichem Gewässer. Das sei ihnen wichtig gewesen. Romana Kraft und Alexander Börder leben jetzt in der Nähe des Westerwaldes, an der Grenze zu Rheinland-Pfalz. Auf einem Höhenzug namens Leuscheid. „Wenn hier mal das Wasser kommt, sind Hamburg und Heideck schon untergegangen“, witzelt Alexander Börder. Aber es dürfte ihm ernst sein.

ZUR SACHE

Mitte Juli 2021 sorgte das Tief „Bernd“ in mehreren Regionen Deutschlands für heftige Niederschläge. Binnen 24 Stunden - Schwerpunkt war der 14. Juli - fielen mancherorts mehr als 150 Liter Regen pro Quadratmeter. Laut Deutschem Wetterdienst geschieht das höchstens alle 100 Jahre. Die enormen Regenmassen verursachten starke Überschwemmungen. Besonders betroffen waren Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Für die zwei Bundesländer löste Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer am 16. Juli 2021 den militärischen Katastrophenalarm aus. Durch die Unwetter starben dort mindestens 180 Menschen – weitaus mehr als beim sogenannten „Jahrhunderthochwasser 2002“, bei dem in Deutschland 21 Menschen ums Leben kamen.

Keine Kommentare